Was glauben Sie eigentlich, Pfarrer Gauck?
Ein ehemaliger evangelischer Pfarrer wird am Sonntag zum Bundespräsidenten gewählt. Doch über das theologische Profil von Joachim Gauck ist bisher wenig bekannt - berühmt wurde er als Bürgerrechtler in der DDR und dann als Leiter der Stasi-Unterlagenbehörde. Bürgerrechte, Politik und Theologie sind für Joachim Gauck nicht voneinander zu trennen - er ist ein politischer Prediger.

Der Rostocker Pfarrer Joachim Gauck stammt aus einem nicht sehr religiösem Elternhaus. Er studierte evangelische Theologie, ohne zunächst das Berufsziel Pfarrer vor Augen zu haben. "Ich wollte prüfen, was ich bisher nur vermutet und andeutungsweise von Gott gewusst hatte", beschreibt er in seiner Autobiografie seine Motivation. "Ich wählte das Studium also nicht, weil ich mich berufen fühlte, auf der Kanzel zu stehen und vom Reich Gottes zu künden, sondern eher aus persönlichen und politischen Gründen."

Über den Beginn seiner Berufslaufbahn als Pfarrer in der DDR sagt er: "In der Anfangszeit hatte ich große Ängste: Ob ich tief genug glaubte, ob ich den Menschen ein Vorbild sein könnte, ob mich die Zweifel am Glauben nicht verunsichern würden?" Er habe gelernt, "dass Glaube eigentlich ein Dennoch-Glaube ist, ein Glaube auch gegen den Augenschein, und dass es erlaubt ist, mit dem Zweifel in den Kreis der Glaubenden einzutreten, auch mit dem Zweifel zu leben und zu predigen".

Gott kann auch aus Bösem Gutes entstehen lassen

Gaucks theologisches Denken fußt auf biblischen Erzählungen über existenzielle Lebenserfahrungen. In der Jungen Gemeinde setzt sich Gauck, der 1990 auf eigenen Antrag aus dem Dienst als Pfarrer entlassen wird, kritisch mit der NS-Diktatur auseinander. Der in der NS-Zeit ermordete Theologe Dietrich Bonhoeffer und dessen Vorstellung von einem Gott, der auch aus dem Bösen Gutes entstehen lassen kann, prägen den späteren Pfarrer.

In der DDR arbeitet Gauck in einer Kirche, die sich Themen annimmt, die von staatlicher Seite tabuisiert werden - Militarisierung im Schulbereich etwa oder auch Atomenergie. In seinen Predigten setzt er sich unter anderen mit der Bewahrung der Schöpfung auseinander. Durch Begegnungen mit Christen aus dem Westen lernt er zudem das Denken von linken Theologen wie Jürgen Moltmann oder Helmut Gollwitzer kennen.

1990 auf eigenen Wunsch aus dem Dienst der Kirche entlassen

Als Gemeindepastor war Gauck zunächst ab 1967 in Lüssow (Landkreis Rostock) und dann ab 1971 in Rostock tätig. Zudem war er Vorsitzender des Kirchentagsausschusses in Mecklenburg. Durch diese Arbeit sei er sehr bekanntgeworden, "vor allem durch seine Reden und Predigten", hieß es aus der Pressestelle der mecklenburgischen Landeskirche. Im November 1990 sei Gauck auf eigenen Antrag aus dem Dienst als Pastor in der Landeskirche entlassen worden. Er bekomme deswegen auch keine Versorgungsleistungen der Landeskirche.

Als Gauck die Synode seiner früheren Landeskirche am 16. März 2012 spontan besuchte, sagte er, die Lebensstation Rostock sei "eine wesentliche Zeit" seines Lebens gewesen, die ihn geprägt habe. Das wichtigste für ihn in dieser Zeit sei gewesen, die dortige Gemeinde aufzubauen und sie unter den Bedingungen einer Diktatur zu gestalten. Er wolle nun alte Verbindungen aufleben lassen und als Bundespräsident auf die Kirche zugehen. Diesem Milieu fühle er sich verbunden, unterstrich Gauck.

Der Vorsitzende der Kirchenleitung der Nordelbischen Kirche, Bischof Gerhard Ulrich, hatte Gauck anlässlich seiner Nominierung für das Amt des Bundespräsidenten eine "in jeder Hinsicht überzeugende Persönlichkeit" genannt. Mit seiner Lebensgeschichte bezeuge er glaubwürdig und kräftig die Verantwortung, die aus Freiheit wachse. "In ihm kandidiert eine Persönlichkeit, die unabhängig und klar im christlichen Glauben gegründet für die Menschen eintritt", so Ulrich, der auch leitender Bischof der Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands (VELKD) ist. 

Politische Rede und reformatorische Predigt in einem

Wenn Joachim Gauck zu Lesungen oder Vorträgen eingeladen wird, spricht er meistens über sein Lebensthema: "Freiheit  und Verantwortung". Es entspringt direkt seiner Biografie, denn zeitlebens hat Joachim Gauck unter der Unfreiheit in der DDR gelitten. Das politische Freiheits-Thema kann Gauck durchaus mit seiner Theologie verknüpfen - so wie Ende Januar in einem Gottesdienst in Stuttgart. "Unsere Liebe zur Freiheit haben wir in unserer Kirche gepflegt", erzählte der ehemalige Pfarrer.

Im Interview in Stuttgart zitierte Gauck die Jahreslosung für 2012, "Meine Kraft ist in den Schwachen mächtig", und erklärte: "Das habe ich politisch erlebt. Dass Schwache zu Bürgern werden und handeln können und Werte wieder ins Leben rufen können, die schon ausgestorben schienen, das haben wir erlebt in Europa!" So hatb das Christsein für Joachim Gauck mit Mut zu tun - Mut, um sich auch politisch zu engagieren. "Glaube bedeutet, dass da ein Kern in dir ist, der an deinem Herzen hängt. Dass du nicht so ängstlich bist. Was kann denn passieren? Du wirst in die Hände Gottes fallen."

Die politische Rede des Bürgerrechtlers Gauck ist meistens auch reformatorische Predigt - und die Predigt des Pfarrers Gauck ist meistens auch Bürgerrechtspolitik.  

epd/evangelisch.de/aka