Malaysias verbotene Bibel wird 400 Jahre alt
Die Alkitab, die Bibel in malaiischer Sprache, wird 400 Jahre alt – Grund zur Freude für Bischöfe und Laien, Pastoren und Bibelexperten. Trotzdem ist die Stimmung angespannt: Die Alkitab ist nämlich seit den 1980er Jahren verboten.
13.03.2012
Von Michael Lenz

Nur Europäer sind erstaunt, wenn Malaysier als Hobby "Shopping" angeben. Etwa zweihundert Malaysier aber entsagten am ersten Samstagvormittag im März ihrer Lieblingsbeschäftigung in den üppigen Shoppingmalls, um in der schmucklosen Trinitiy Methodist Kirche in Petaling Jaya, der Schwesterstadt von Kuala Lumpur, Zeuge eines Ereignisses von großer historischer und politischer Bedeutung zu werden: des 400. Geburtstags der Alkitab, der seit fast drei Jahrzehnten offiziell verbotenen Bibel in malaiischer Sprache.

Vor vierhundert Jahren übersetzte der holländische Kaufmann Albert Cornelisz Ruyl das Matthäusevangelium als ersten Bibeltext auf malaiisch und legte damit 1612 den ersten Bibeltext in einer nicht-europäischen Sprache vor. Zudem ist die malaiische Alkitab nur ein Jahr jünger als die 1611 erschienene King-James-Bibel der Anglikanischen Kirche. Die Teilnehmer der Feierstunde mit Vorträgen und Diskussion diskutierten aber auch Möglichkeiten zur Lösung der von konservativen islamischen Kräften in Malaysias Regierung entfachten Kontroverse um die Alkitab.

Stein des Anstoßes ist der Gebrauch des Wortes Allah in der Alkitab für Gott. Nach malaysischem Recht ist es Christen und anderen Minderheitsreligionen verboten, islamische Begriffe wie Alkitab – arabisch für Buch oder Schrift – oder Allah bei Veröffentlichungen in der Landessprache Bahasa Malaysia zu benutzen.

Bibelforscher wiesen in Vorträgen während der Feierstunde jedoch nach, dass Christen von Ägypten über Saudi-Arabien bis nach Indonesien in den vom Arabischen beeinflussten Landessprachen ohne Probleme Gott mit Allah übersetzen. "Davon hatte auch Ruyl sich bei seiner Bibelübersetzung leiten lassen", betonte Daud Soesilo, langjähriger Koordinator für asiatische Bibelübersetzungen der United Bible Societies. Dr. Ng Kam Wenig vom malaysischen Kairos Research Centre ergänzt: "Es ist absolut unstrittig, dass 'Allah' unter den monotheistischen Religionen im vor-islamischen Arabien weit verbreitet war." Folglich sei die Prämisse "Wenn X Arabisch ist, dann gehört X dem Islam" eindeutig falsch.

Bedrohung der "nationalen Sicherheit"?

Das Verbot erließen einst Premierminister Mohamed Mahatir und sein damaliger Vize, der heutige Oppositionsführer Anwar Ibrahim. Der Grund ist schwer zu verstehen - die "nationale Sicherheit" wird ebenso ins Feld geführt wie der Schutz der malaysischen Muslime vor "Verwirrung". Das ging mit der vor gut 20 Jahren begonnenen Islamisierung Malaysias einher, seinerzeit vorangetrieben von Anwar Ibrahim. Die Regierung von Mahatir sowie alle nachfolgenden Regierungen haben seitdem den Islam zur Sicherung ihrer Macht politisiert. Zum dem Zweck habe man wohl auch die Kontrolle über die Sprache gewinnen müssen, mutmaßt Lee Min Choon, Präsident der Bibelgesellschaft Malaysias.

Trotzdem konnte in der Ära Mahatir die Alkitab weitgehend unbeanstandet erscheinen, auch wenn schrittweise die meisten der malaysischen Bundesstaaten das Verbot übernahmen. Ausgerechnet in der Regierungszeit von Mahatirs Nachfolger Abduallah Badawi, der sich einem "moderaten Islam" verpflichtet fühlte, wurde und des seit 2009 amtierenden Premierministers Najib Razak - selbst Zögling einer katholischen Schule - begannen die Probleme.

Hetzkampgane gegen Christen

Tausende aus Indonesien importierte Bibeln wurden beschlagnahmt, Politiker der Regierungspartei Umno und mit ihnen verbündete malaiisch-islamisch-nationalistische Organisationen starteten eine Hetzkampgane gegen Christen. Die absurden Vorwürfe: Christen überredeten durch Bestechung und "Prostitution" Muslime dazu, in Massen zum Christentum zu konvertieren oder sie planten einen Staatsstreich zur Abschaffung der Vormachtstellung des Islams in Malaysia.

Bischof Ng Moon Hing ist ein Mann des offenen Worts. Foto: Michael Lenz

Die Hetze zeigte Wirkung. Als ein Gericht in Kuala Lumpur Ende 2009 das Allah-Verbot für die katholische Zeitschrift "Herald" in einem aufsehenerregenden Urteil als Verstoß gegen die Verfassung aufhob, zündeten aufgebrachte Muslime Kirchen an. Malaysias Regierung legte im Januar 2010 Berufung gegen das Urteil ein, seitdem wird die Festlegung des Termins für die Berufungsverhandlung verschleppt.

Islam als Staatsreligion

Malaysia ist ein komplexes Land. 60 Prozent der 28 Millionen Einwohner sind Malaien, die laut Verfassung dem Islam angehören müssen. 40 Prozent sind Chinesen, Inder und Ureinwohner.

Politik, Gesellschaft, Medien und auch die Kirchen sind entlang der ethnischen Grenzen organisiert. Es gibt Gottesdienste in chinesischer und tamilischer Sprache, in Bahasa Malaysia und auf Englisch. Allenfalls zu den großen christlichen Feiertagen kommen die Gruppen zusammen.

Malaysia ist zudem geografisch in die Halbinsel und Ostmalaysia gespalten, wie die beiden Bundesstaaten Sabah und Sarawak auf Borneo genannt werden. In den beiden Staaten leben gut 70 Prozent der malaysischen Christen. Und die sprechen Malaiisch und Stammessprachen, während die Christen auf der Halbinsel vorwiegend malaysische Chinesen und Inder sind, die Chinesisch, Tamilisch oder Englisch sprechen und beten. Bibeln in diesen Sprachen können problemlos vertrieben und publiziert werden.

Plötzlich drei Parteien

Diese Gemengelage aus geografischen, ethnischen und sprachlichen Besonderheiten wurde mit dem spektakulären Erfolg der Oppositionskoalition 2008 zusätzlich mit politischem Zündstoff aufgeladen. Erstmalig kam die seit über 50 Jahren regierende malaiisch-nationalistische United Malays national Organisation (Umno) und die mit ihr in der Barisan Nasional (BN) verbündeten kleinen ethnischen Parteien der Chinesen und Inder an den Rand einer Wahlniederlage. Schlimmer noch ist aus Sicht des malaysischen Machtestablishments der Umstand, dass plötzlich drei malaiische Parteien um die Gunst der malaiisch-muslimischen Wähler buhlen: die Umno und auf Seiten der Opposition die islamische PAS sowie Anwar Ibrahims Volksgerechtigkeitspartei.

Um die Reihen ihrer konservativen malaiischen Wählerbasis bis zur nächsten Wahl fest zu schließen, malen seit 2008 die Umno, die ihr gehörende malaiische Tageszeitung "Utusan" sowie rechte malaiische Gruppierungen wie Perkasa am Bild des christlichen Buhmanns. Die Christen wehren sich - juristisch und politisch. Mit dem anglikanischen Bischof Ng Moon Hing und Bischof Paul Tan Chee Ing, dem Vorsitzenden der Katholischen Bischofskonferenz, haben die Kirchen zwei Männer in Führungspositionen berufen, die frank und frei ihre Meinung sagen.

Bei der Wahl werden die Stimmen der Christen gebraucht

Es gilt als sicher, dass Premierminister Najib Razak in Kürze Neuwahlen ausrufen wird. Bischof Ng Moon Hing ist zuversichtlich, dass die antichristlichen Töne während des Wahlkampfs zumindst nicht an Lautstärke zunehmen: "Die Grundlagen sind gelegt. Auf dem Land, wo die Mehrheit der muslimischen Malaien leben, die für Informationen fast nur auf die regierungsnahen Medien angewiesen sind, ist das Bild der christlichen Gefahr zuhause. Jetzt werden versöhnlichere Töne angeschlagen, denn die die Stimmen der Christen werden gebraucht."

Diese Taktik wurde bereits vor einem Jahr kurz vor der Landtagswahl in Sarawak erfolgreich praktiziert. Urplötzlich wurde die seit Jahren beschlagnahmten Bibeln freigegeben. Seitdem konnte die Bibelgesellschaft sogar 100.000 Bibeln importieren und verteilen, wenn auch mit der Auflage, dass die Bücher auf dem Einband ein Kreuz und den Warnhinweis "Christliche Publikation" tragen müssen.

Ziel der Bibelgesellschaft ist es, eine Million Alkitabs zu verteilen. Gedruckt werden die malaiischen Bibeln im benachbarten Indonesien. Malaysische Druckereien nehmen auf Grund von politischem Druck solche Aufträge nicht an.

Die Alkitab des Kaufmanns Ruyl wurde erstmalig 1629 hergestellt. Wer das Original bewundern will, muss allerdings nach Stuttgart reisen: Unter der Signatur "Ba malai.1629 01" findet sich in der Württembergischen Landesbibliothek die 1629 in Enkhuizen gedruckte älteste Ausgabe der Evangelien auf Malaiisch.


Michael Lenz ist freier Journalist in Südostasien.