Viele junge Leute haben null Bock auf Bohlen & Co.
Bin ich begabt genug? Eine Studie hat herausgefunden, dass die meisten Jugendlichen nicht im Traum daran denken, bei einer Castingshow mitzumachen. Eltern dürfen aufatmen.
11.03.2012
Von Martin Weber

Sie drängen sich zu Tausenden vor den Toren von "Deutschland sucht den Superstar" oder "Germany's Next Topmodel", und die Bilder von riesigen Bewerberschlangen gehören zum Auftakt jeder Castingshow wie Dieter Bohlens fiese Sprüche oder Heidi Klums zickiger Befehlston. Heerscharen junger Leute wollen unbedingt Karriere als Gesangskünstler oder lebender Kleiderständer machen, eine ganze Generation, so suggerieren es die Fernsehbilder, träumt vom Ruhm auf der Bühne oder dem Laufsteg.

Nur: Das stimmt so gar nicht, hat jetzt eine neue repräsentative Studie herausgefunden, die im Zentrum des von den Medienwissenschaftlern Daniel Hajok, Olaf Selg und Achim Hackenberg herausgegebenen Buchs "Auf Augenhöhe? Rezeption von Castingshows und Coachingsendungen" (steht. Entwarnung für Millionen Eltern: Die meisten Kinder und Jugendliche denken nicht im Traum daran, sich vor Bohlen oder Klum zum Affen zu machen.

Mitmachen? Keine Option

Zwar schalten nach wie vor Millionen junger Leute den Fernseher ein, wenn "Deutschland sucht den Superstar", "Germany's Next Topmodel", das vergleichsweise harmonische "The Voice of Germany" oder eine andere Castingshow über den Bildschirm flimmert – als Kandidat dabei sein wollen jedoch nur die wenigsten, die Menschen in den Bewerberschlangen sind eine Minderheit.

"Selbst einmal bei einer Castingshow mitzumachen, ist (...) nur für die wenigsten der befragten Heranwachsenden eine Option", schreiben die Autoren. Und weiter: "Auch wenn es ihnen ihrer eigenen Einschätzung nach nicht an Talent fehlt, fürchten sie, sich mit einem Auftritt bei DSDS und GNTM zu 'blamieren', oder finden es schlichtweg 'peinlich', auf diese Art und Weise in der Öffentlichkeit zu stehen. Insgesamt betrachtet sprechen für die Heranwachsenden mehr Gründe gegen als für eine Teilnahme."

Das ist das Kernergebnis der von der "Arbeitsgemeinschaft Kindheit, Jugend und neue Medien" (AKJM) in Auftrag gegebenen Studie, bei der knapp 1.200 Kinder und Jugendliche zwischen 12 und 17 Jahren und knapp 1500 junge Erwachsene zwischen 18 und 24 zu Castingshows befragt wurden. So gaben genau zwei Drittel der 12- bis 17-jährigen Befragten an, sie hätten Angst, sich als Kandidat einer Castingshow zu blamieren, gut die Hälfte empfand den Gedanken an den Auftritt in einer derartigen Show geradezu als peinlich. Dass es ihnen an Showtalent fehle, glaubten dagegen nur 41 Prozent der jüngeren und 48 Prozent der etwas älteren Befragten.

Gesunde Distanz zum Geschehen

Die meisten jungen Leute haben zum Thema Casting offenbar eine gesunde Distanz und gehen mit den entsprechenden Shows souverän um – Unterhaltung, Spaß und Spannung sind laut AKJM-Studie die vorherrschenden Motive, RTL oder Pro Sieben einzuschalten, wenn Dieter Bohlen über die stimmlichen Bemühungen von Kandidaten lästert oder Heidi Klum spindeldürre Nachwuchsmodels professionellen Modefotografen vor die Linse treibt.

Dabei werden die in Shows wie "Deutschland sucht den Superstar" oder "Germany’s Next Topmodel" propagierten Eigenschaften wie Ehrgeiz, Disziplin und Durchsetzungsvermögen von vielen Jugendlichen zwar durchaus als vorbildlich begriffen – nicht aber der oft harsche, zuweilen sarkastische und manchmal herabwürdigende Umgang mancher Show-Jurys mit den Kandidaten.

"Die AKJM-Studie kann die Kritik vonseiten der Öffentlichkeit und des Jugendmedienschutzes, Kinder und Jugendliche könnten den hämischen und zynischen Umgang der Jury mit den Kandidaten als nachahmenswerte Verhaltensmuster übernehmen, nicht bestätigen", heißt es in dem Buch. Zu einer Verrohung jugendlicher Sitten tragen Bohlen und Co. der Studie zufolge viel weniger bei als gemeinhin angenommen wird – auch in dieser Hinsicht müssen sich Eltern also kaum Sorgen machen.

Daniel Hajok, Olaf Selg und Achim Hackenberg (Hg.): Auf Augenhöhe? Rezeption von Castingshows und Coachingsendungen, UVK-Verlag, 272 Seiten, 29 Euro


Martin Weber ist freier Medienjournalist in Berlin.