TV-Tipp des Tages: "Tatort: Hinkebein" (ARD)
Der aktuelle Tatort aus Münster glänzt mit vielen guten Ideen und einer erstaunlich vielschichten Geschichte. Wie immer ist das Duo Thiel/Boerne aber die tragende Säule des Tatorts.
11.03.2012
Von Tilmann P. Gangloff

"Tatort: Hinkebein", 11. März, 20.15 Uhr in der ARD

Sonntagabends im "Ersten" will das Fernsehpublikum in der Regel einen Krimi sehen. Der Film soll spannend sein, aber nicht zu sehr, und der Fall gerade so undurchschaubar, dass man mitraten kann, wer der Mörder war. Die Ermittler dürfen gern ein Privatleben haben und sich untereinander ein bisschen frotzeln. Sind diese Bedingungen erfüllt, nimmt man auch eine sozialrelevante Botschaft in Kauf. All das gilt natürlich auch für den "Tatort" aus Münster, allerdings mit einem wesentlichen Unterschied: Hier steht die Hassliebe zwischen den beiden Hauptfiguren eindeutig im Vordergrund.

Ohne die boshaften Dialogduelle zwischen Thiel und Boerne (Axel Prahl, Jan Josef Liefers) wären die Filme stinknormale Krimis, die vermutlich kaum regelmäßig um die 10 Millionen Zuschauer hätten. Auch die Bedeutung der Nebenfiguren ist nicht zu unterschätzen. Boernes kleinwüchsige Assistentin (Christine Urspruch) muss man schon deshalb lieben, weil sie ihrem Chef immer wieder die Stirn bietet; und sei es nur in Form ironischen Gelächters.

Weil der "Tatort" aber keine Comedy ist, haben Stefan Cantz und Jan Hinter, die Schöpfer des Duos aus Münster, von Anfang an großen Wert darauf gelegt, dass die Krimiebene keinesfalls nur kurz kommt. Auch in ihrem siebten Drehbuch für Prahl und Liefers erzählen sie eine immer wieder verblüffend vielschichtige Geschichte. Die besondere Herausforderung der Krimis besteht ja darin, Boerne in die Ermittlungen mit einzubeziehen, schließlich ist er bloß Rechtsmediziner und die Polizeiarbeit nicht sein Beritt. Am einfachsten lässt sich dieses Problem lösen, wenn er das Opfer kennt oder ihm sogar – wie hier – mal ziemlich nahe stand.

Großartige Ideen und ein Schlafsacklapsus

Entsprechend schockiert ist der sonst so kontrollierte Professor, als ihm klar wird, dass es sich bei der entkleidet in den Grünanlagen gefundenen Frauenleiche um eine frühere Geliebte handelt. Die Dame war zudem Thiels Vorgängerin und als Kommissarin vor vielen Jahren in einen offenbar nur vermeintlich gelösten Fall entwickelt: Damals legten Indizien den untrüglichen Schluss nahe, der Zuhälter "Hinkebein" (Wolfram Koch) habe eine seiner Prostituierten ermordet. Der Mann konnte nach Vietnam entkommen und scheint nun Rache nehmen zu wollen, auch an Boerne, denn der hatte das belastende Gutachten erstellt; und ausgerechnet Thiel soll nun seinen Personenschutz übernehmen.

Wie es sich gehört, gibt es auch eine vermeintlich unbeteiligte Randfigur, die so harmlos scheint, dass man sie unbedingt ganz oben auf die Liste der Verdächtigen setzen sollte; und damit ist nicht die Tochter (Michelle Barthel) der Toten gemeint, die aus ihrer Abneigung gegen die Mutter keinen Hehl macht. Aber viel hübscher sind wie stets die Gemeinheiten zwischen Thiel und Boerne, die von Prahl und Liefers in bester Jack Lemmon/Walter Matthau-Tradition vorgetragen werden.

Dass nebenbei immer wieder eine russische Delegation durchs Bild läuft, die ohnehin notorisch schlechtgelaunte Staatsanwältin (Mechthild Großmann) diesmal noch unleidlicher ist, weil sie das Rauchen aufgeben will, und Thiel den Verdächtigen des Nachts in Boxershorts in ein Programmkino verfolgt, sind nur einige der vielen großartigen Ideen des Autorenduos. Bei Regisseur Manfred Stelzer sind Drehbücher mit anspruchsvollem Humor ohnehin in den besten Händen. Deshalb sei den Beteiligten auch ein Lapsus verziehen: Boerne, der doch stets mit seiner humanistischen Bildung protzt, würde einen Schlafsack nie mit der Begründung ablehnen, darin bekomme er Platzangst. 


Der Autor unserer TV-Tipps, Tilmann P. Gangloff, setzt sich seit über 20 Jahren als freiberuflicher Medienkritiker unter anderem für "epd medien" mit dem Fernsehen auseinander. Gangloff (geb. 1959) ist Diplom-Journalist, Rheinländer, Vater von drei Kindern und lebt am Bodensee. Er gehört seit Beginn der 1990er Jahre regelmäßig der Jury für den Adolf-Grimme-Preis an und ist ständiges Mitglied der Jury Kinderprogramme beim Robert-Geisendörfer-Preis, dem Medienpreis der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD).