Auch in Deutschland trauern Japaner nach Fukushima
Japan leidet unter der dreifachen Katastrophe im März 2011: Aber auch viele Japaner in Deutschland haben ein emotionales Jahr hinter sich. Sie haben getrauert, getröstet, geholfen und gespendet. Den Schock haben sie noch nicht überwunden.
09.03.2012
Von Yuriko Wahl-Imme

Es sind einzelne Schicksale, die auch ein Jahr danach den Trauernden fast den Verstand rauben können. "Ein guter Freund arbeitete in einer Grundschule in Sendai, als der Tsunami kam. Er konnte sich in letzter Sekunde aufs Dach retten. Aber einige Kollegen nicht. Und viele Kinder nicht. Sie werden noch heute vermisst." Yuki Kiyomoto, Erzieherin in einem japanischen Kindergarten in Düsseldorf, lassen die Schilderungen über Qual und Leid in ihrer Heimat nicht los. Die Bilder vom geschundenen Nordosten tun weh. "Der 11. März ist ein besonders trauriger Tag und wird es immer bleiben."

Ein Erdbeben der Stärke 9,0 und ein Jahrhundert-Tsunami verwüsteten am 11. März 2011 Teile des Landes und lösten einen gravierenden Atomunfall in Fukushima aus. Auch bei den rund 30 000 Japanern in Deutschland lässt sich das Entsetzen über die fast 16 000 Toten, die Entwurzelten und Obdachlosen und all die Zerstörung nicht abschütteln. Zum Jahrestag an diesem Sonntag werden viele der Opfer gedenken. Einige kommen in Düsseldorf in einem japanischen Tempel des Eko-Kulturzentrums zu einer Zeremonie zusammen.

Der Schock bei den Japanern sitzt noch tief

"Es war ein sehr schwieriges Jahr. Das Schockgefühl ist noch da - und die Trauer", sagt Professor Takao Aoyama, Direktor im Eko-Haus. Eine gerettete Familie will bei der Gedenkfeier von ihren traumatischen Erlebnissen berichten und Videoaufnahmen zeigen. "Wenn man die Bilder sieht, kommt alles ganz nah. Es ist schrecklich." Aoyama hatte 40 Jahre an der Universität in Sendai gelehrt, bevor er nach Deutschland kam. Sein Haus hielt dem Beben stand, nur war alles völlig durcheinandergewirbelt. Die ihm einst so vertraute Küste erkannte er aber nicht wieder. Zerstörung überall.

Im Düsseldorfer Raum leben - nach Paris und London - die meisten Japaner in Europa. Die Gemeinde rund um die NRW-Landeshauptstadt mit rund 8200 Mitgliedern verfügt über eine eigene Schule, Geschäfte, Restaurants, Verbände und hat sich über Jahrzehnte hinweg eine eigene Infrastruktur aufgebaut. Hier sind besonders viele Hilfsaktionen, Benefizkonzerte oder Spendenprojekte entstanden. Japanische Musiker und Künstler, der Japanische Club, Geschäftsleute - Jung und Alt sind für die Opfer aktiv geworden. "Alle wollen etwas leisten für ihr Land, wollen Hilfe schicken. So viele Japaner haben sich hier engagiert", berichtet Aoyama.

Japan ist keine "No-Go-Area" und kann bereist werden

"Für die japanische Community kann ich sagen, dass nach vielen Veranstaltungen und Anstrengungen ein Erschöpfungszustand eingetreten ist", erzählt Pia-Tomoko Meid vom Vorstand des Verbands der Deutsch-Japanischen Gesellschaften. "Es war ein sehr angespanntes Jahr auch für die Japaner in Deutschland." So mancher sei zudem unter Druck geraten angesichts bohrender Fragen, warum er denn nicht gleich die ganze Verwandtschaft aus Japan hergeholt habe. Einige seien auch enttäuscht über eine zuweilen undifferenzierte Wahrnehmung ihres Landes in Deutschland - dass angeblich ganz Japan verstrahlt und eine "No-Go-Area" geworden sei, in die man nicht mehr reisen könne, sagt Halbjapanerin Meid.

In der japanischen Schule mit 520 Kindern in Düsseldorf ist das schreckliche Drama mit Erdbeben, Tsunami und Atomunfall ständig präsent. "Das Thema spielt bei uns dauernd eine Rolle, auch bei denen, die dort nicht direkt Familie oder Freunde haben", sagt ein Sprecher. Mit einer großen Fotoausstellung in der Schule über den Wiederaufbau in der Tohoku-Region hatten sich die Düsseldorfer Japaner vor wenigen Tagen für die Hilfe aus Deutschland bedankt.

Der Jahrestag lastet auch schwer auf Tomoyuki Takada. Seit der Reaktorkatastrophe ist er sechs Mal nach Fukushima gereist. Er hat Hilfe vor allem für Not leidende Kinder organisiert, etwa die Lieferung von Biolebensmitteln. Takada hofft, dass neben dieser Unterstützung für die Opfer auch eine ganz andere Art der Solidarität aus Deutschland kommt. Nachdem inzwischen die meisten Atommeiler in Japan abgeschaltet wurden, meint der aktive Atomkraftgegner: "Wir haben eine Riesenkrise in Japan, aber auch eine Riesenchance für ein atomfreies Land. Ich hoffe, dass uns die deutsche Seite hilft, hier Missstände in unserem Land abzustellen."

dpa