Ein Bundespräsident jenseits des Regenbogens
Großer Zapfenstreich für den scheidenden Bundespräsidenten: Zum militärischen Ehrenritual hat Christian Wulff sich besondere Musik gewünscht. Ob sie etwas mit ihm selbst zu tun hat?
07.03.2012
Von Thomas Östreicher

Wir haben bei früherer Gelegenheit bereits darauf hingewiesen, aber falls es jemandem inzwischen entfallen ist: Der "Große Zapfenstreich" - die offizielle Verabschiedung aus dem Dienst in Form eines militärischen Zeremoniells - ist ausschließlich Bundespräsidenten, Bundeskanzler(inne)n und Verteidigungsministern vorbehalten. "Gut so", stöhnt wohl mancher, der dienstverpflichtet dort erscheinen muss. Ginge das Gebläse nebst Strammstehen bei jedem Politiker, der sein Amt verliert, aufs Neue los, wäre das Groteske der Veranstaltung gar nicht mehr zu ertragen.

Bis dahin sorgen die Verabschiedeten für die nötige Klarheit, was sie vom Antreten in der Dämmerung halten. Man sehe sich, mit Überwindung oder nicht, nur einmal im Video (auch unten auf dieser Seite zu sehen) den ehemaligen Verteidigungsminister zu Guttenberg an, wie er feixend der Bundeswehrkapelle lauscht, die sich unerschrocken durch das berühmteste Hardrock-Riff der Musikgeschichte quält.

Jedem Trompeter, jedem Posaunisten dieser in die Annalen der Rockmusik eingegangenen Version von "Smoke On The Water" gebührt ein Orden für Tapferkeit vor dem Feind, Aufopferungsbereitschaft für eine offensichtliche Narretei sowie Disziplin und Durchhaltevermögen angesichts eines ehemaligen Dienstherren, der seinerseits damit kämpft, nicht jeden Moment vor Lachen loszuprusten.

Wulff wünscht...

Denn, so will es die Gepflogenheit: Der Verabschiedete bestimmt die Klänge. Auch Christian Wulff, der einmal Bundespräsident war. Und was wünscht er sich? Den Marsch des russischen Prinzen Alexander aus dem Jahr 1853, anschließend das Neue Kirchliche Lied "Da berühren sich Himmel und Erde" von 1989, und zum Abschluss den schönen Götterfunken, den Schiller und Beethoven in ihrer "Ode an die Freude" so eingängig illustrierten. Eingangs aber erklingt nach dem Willen des Abschied nehmenden Ex-Staatsoberhaupts der Evergreen "Over The Rainbow", den zuerst die blutjunge Judy Garland 1939 im Märchenfilm "Der Zauberer von Oz" schmetterte.

Man könnte sagen: Das Schweben jenseits des Regenbogens lässt tief blicken. "Das zauberhafte Land" hieß das aufwendig produzierte Farbmusical früher hierzulande. Es geht darin um ein junges Mädchen, das sich an einen Fantasieort träumt und dort allerlei seltsame Gefährten kennenlernt, die ihr wohlgesonnen sind, aber auch ein wenig unberechenbar. "Die Träume, die du zu träumen wagtest, werden wahr", heißt es im sehnsuchtsvollen Titelsong. Und er fragt: "Die Vögel fliegen hoch über dem Regenbogen - warum nur, warum ist es mir versagt?"

...die Zauberin zaubert

Damit der Rätsel nicht genug: Im fremden Land ist zudem alles verkehrt herum organisiert beziehungsweise das Gegenteil des Gewohnten - Geiger etwa halten ihren Bogen links, und der Löwe ist ängstlich. Nur die mächtige Zauberin tut, was sie soll: Sie zaubert.

Am Ende schließt die Hauptfigur Dorothy die Augen, murmelt mantragleich, es sei nirgends so schön wie zu Hause ("There's no place like home!") und landet - schwupps! - wieder in der heimischen Provinz. Sie erwacht im eigenen Bett, und all die vermeintlichen Helden, die ihr ringsum beistanden, entpuppen sich lediglich als die spießigen Nachbarn von nebenan. Vom Ausflug ins Zauberland bleibt nicht mehr als ein kurzer, bunter Traum.

So weit der Hollywoodklassiker. Ähnlichkeiten mit dem Wulff-Desaster der vergangenen Monate? Rein zufällig.

Als Bonustrack für den jungen Alt-Bundespräsidenten bietet sich übrigens auch Rio Reisers nächtliche Interpretation von "Over The Rainbow" beim Benefizkonzert gegen die atomare Wiederaufbereitungsanlage Wackersdorf 1986 an:

Für alle, die es mit eigenen Augen sehen wollen: Der Große Zapfenstreich zur Verabschiedung von Christian Wulff aus dem Bundespräsidentenamt wird am Donnerstagabend von mehreren Fernsehsendern live übertragen, dazu zeigt die ARD von 19 bis 19.45 Uhr eine Sondersendung mit dem Namen "Abschied von Bellevue". Vorher steht ein Skispringen-Weltcup auf dem Programm, also entfällt das ganze Vorabend-Programm, inklusive "Gottschalk Live". Phoenix berichtet ebenfalls (wie auch die privaten Nachrichtensender). Mit der Präsentation in den öffentlich-rechtlichen hat Ex-Bundespräsident ja schon Erfahrung. Beim Zapfenstreich kann er jedenfalls nichts mehr falsch machen - da muss er nicht reden, sondern kann einfach weiterträumen.


Thomas ÖstreicherThomas Östreicher ist freier Mitarbeiter bei evangelisch.de.