Schneider kündigt möglichen Abbau der Sozialarbeit an
Der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Nikolaus Schneider, erwägt, in Zukunft kirchliche Sozialarbeit einzustellen, wenn sie nicht mehr zu fairen Arbeitsbedingungen erbracht werden könne.

"Wir müssen sowohl nach innen als auch nach außen sagen, dass wir Angebote nicht mehr aufrechterhalten können und wollen, wenn es den Einrichtungen unmöglich gemacht wird, Gehälter nach den kirchlichen Arbeitsrechtsregelungen zu zahlen", sagte Schneider bei einer Tagung zum kirchlichen Arbeitsrecht am Montag in Eichstätt.

Der SPD-Bundestagsabgeordnete Ottmar Schreiner bezeichnete diesen Schritt als "ultima ratio", also als letzten Ausweg für die Kirchen. "Denn wenn es nicht einmal mehr den Kirchen gelingt, eine gute Pflege zu fairen Arbeitsbedingungen anzubieten, wem könnte es dann gelingen?", fragte er. Schneider hatte in seiner Ankündigung den Tatbestand angesprochen, dass die Unterfinanzierung sozialer Arbeit, wie etwa der Pflege, auch kirchliche Einrichtungen zu einem für ihn inakzeptablen Lohndumping veranlasst.

SPD-Politiker Schreiner fordert einheitlichen Tarifvertrag in Sozialbranche

In seiner Reaktion auf den EKD-Ratsvorsitzenden kritisierte Schreiner die arbeitsrechtliche Situation bei der evangelischen Kirche als "chaotisch". 16 der insgesamt 22 Landeskirchen haben ihre eigenen arbeitsrechtlichen Bestimmungen. Schreiner verwies auf ein Urteil des höchsten evangelischen Kirchengerichts aus dem Jahr 2007, in dem das Gericht die dauerhafte Leiharbeit in einem Bremer Diakonieunternehmen untersagt hatte. Bis heute werde das Urteil von der diakonischen Großeinrichtungen ignoriert werde. "Hier sehe ich den Staat gefordert", sagte er.

Der SPD-Politiker forderte für die Sozialbranche einen für alle Einrichtungen verbindlichen Tarifvertrag. Diese 100-prozentige Tarifbindung ist aus seiner Sicht die Antwort auf Dumpinglöhne und prekäre Arbeitsverhältnisse, die mit dem Einzug privater und gewinnorientierter Unternehmen seit einigen Jahren ein Kennzeichen des Sozialmarktes geworden sind.

Nach geltendem Recht können die Tarifpartner unter bestimmten Voraussetzungen bei den Landesregierungen die Allgemeinverbindlichkeit beantragen. Die Gewerkschaft ver.di fordert seit einiger Zeit einen einheitlichen Sozialtarif. Dieser Forderung sollten sich die Kirchen anschließen, appellierte Schreiner.

Zum sich zuspitzenden Tarifstreit in der Diakonie sagte Schreiner: "Die Kirchen müssen einen Dauerkonflikt mit den Interessenvertretern ihrer Beschäftigten vermeiden." Dies könne ihnen nur gelingen, wenn die Mitarbeitervertreter "auf Augenhöhe" Verhandlungen über Löhne und Arbeitsbedingungen führen könnten. Dazu gehört nach Schreiners Überzeugung auch, dass die Kirche in ihrem Arbeitsrecht das Streikverbot abschafft.

Dritter Weg: "Partnerschaftliche Regelung der Arbeitsbedingungen"

Schneider verteidigte demgegenüber erneut den sogenannten Dritten Weg der Kirchen, bei dem anders als in der Privatwirtschaft und im öffentlichen Dienst Arbeitsbedingungen sowie Löhne und Gehälter von einer Arbeitsrechtlichen Kommission ausgehandelt werden. Der Dritte Weg könne auch für die Zukunft ein kirchengemäßes und effektives Verfahren der partnerschaftlichen Regelungen der Arbeitsbedingungen der Mitarbeiter darstellen, sagte der rheinische Präses.

Schneider betonte: Zwar werde in Einzelfällen das kirchliche Arbeitsrecht unterschritten oder nicht angewendet, in der Gesamtschau sei jedoch festzustellen, dass die Tariffindung auf dem Dritten Weg einen sehr hohen Grad an Tarifbindung nach sich ziehe. Schwierigkeiten bei der Tariffindung im Rahmen des Dritten Weges führte er darauf zurück, dass Verfahrenbeteiligte die Spielregeln verletzten. Dies sei insbesondere der Fall, wenn Mitarbeitervertretungen die Mitarbeit im Dritten Weg verweigerten und das Funktionieren des Systems dadurch verhinderten.

Der Ratsvorsitzende ergänzte: "Einseitig gestaltete Regelungen, die das Niveau kirchlicher Arbeitsrechtsregelungen unterschreiten, sind schlicht nicht akzeptabel und beschädigen die Dienstgemeinschaft und das Ansehen unserer Kirchen insgesamt." Für Mitarbeiter in Diakonie und Kirche müssten die Gehälter und Arbeitsbedingungen fair und angemessen sein und in einer gleichberechtigt ausbalancierten Sozialpartnerschaft geregelt werden. An der Tagung an der katholischen Universität in Eichstätt nehmen nach Angaben der Veranstalter mehr als 500 Besucher teil.

Am 26. März ist im Bundestag eine Anhörung zu den Arbeitsbedingungen bei den großen christlichen Kirchen und ihren Wohlfahrtseinrichtungen geplant. Die Anhörung im Bundestagsausschuss für Arbeit uns Soziales geht auf eine Initiative der Linken zurück.

epd