Koalitionsrunde: Keiner musste Kröten schlucken
Nach gut zweieinhalb Stunden ist die erste Koalitionsrunde in diesem Jahr zu Ende: CDU, CSU und FDP verkünden Einigungen bei Sachthemen. Doch über das Klima zwischen Merkel und Rösler sagt das nichts aus.
05.03.2012
Von Jörg Blank und Tim Braune

Diesmal ging es ganz schnell: In nur gut zweieinhalb Stunden einigten sich die notorisch zerstrittenen schwarz-gelben Koalitionäre auf ein ganzes Bündel von Maßnahmen, die bisher zwischen Union und FDP nicht gelöst werden konnten. Darunter sind zahlreiche Reformen in der Familien-, Rechts- und Wettbewerbspolitik. So soll unverheirateten Eltern das gemeinsame Sorgerecht schneller und einfacher erteilt werden. Ferner sollen auf Bewährung verurteilte jugendliche Straftäter zur Warnung vorübergehend ins Gefängnis kommen können.

Die Koalitionsspitzen gaben auch endgültig grünes Licht für die Aufstockung der Mittel zur Gebäudesanierung auf 1,5 Milliarden Euro. Zudem streben Union und FDP noch in dieser Wahlperiode eine Grundgesetzänderung an, um das Kooperationsverbot von Bund und Ländern in der Bildungspolitik zu lockern. Mit den Beschlüssen werden mehrere Vereinbarungen aus ihrem 2009 geschlossenen Koalitionsvertrag erfüllt. Heikle Themen wie Mindestlohn oder Vorratsdatenspeicherung wurden ausgeklammert.

"Deutschland hat einen Reformstau"

Der Parlamentarische Geschäftsführer der SPD-Fraktion, Thomas Oppermann, bezeichnete die Ergebnisse des Koalitionsausschusses in einer ersten Stellungnahme als beschämend. "Bei diesem Treffen sollten Themen und ein Fahrplan für den Rest der Legislaturperiode festgelegt werden. Das ist nicht geschehen", kritisierte er. "Deutschland hat einen Reformstau."

Die Koalition wollte zeigen, dass sie trotz des tiefgreifenden Streits um die Nominierung von Joachim Gauck für das Amt des Bundespräsidenten noch handlungsfähig ist. Vor allem wollte sich Schwarz-Gelb offensichtlich als Anwalt der Bürger präsentieren - "näher beim Bürger" könnte das Motto lauten.

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Keiner der Koalitionäre, so ist der Eindruck, musste bei den Einigungen Kröten schlucken, viele Dinge waren schon im Vorhinein bis ins Detail ausgehandelt worden. Die Chefs mussten bei vielen Punkten nur noch abhaken. Ein Thema, das besonders der FDP am Herzen lag, blieb allerdings offen: Auf Maßnahmen gegen die hohen Benzinpreise einigten sich die Koalitionäre nicht.

Schutz vor riskanten Finanzprodukten

Zu den Beschlüssen der Koalition gehört auch, dass Geschäfte mit der Sterbehilfe unter Strafe gestellt werden sollen. Dazu soll ein neuer Tatbestand im Strafgesetzbuch geschaffen werden, der die gewerbsmäßige Förderung der Selbsttötung unter Strafe stellt.

Die Verbraucher sollen nach dem Willen der Koalition besser vor riskanten Finanzprodukten geschützt werden. Dazu soll die Stiftung Warentest im Auftrag des Staates Finanzprodukte prüfen und bewerten.

Ferner soll die seit 2009 sehr weitgehende Kronzeugenregelung geändert werden. Eine Strafmilderung soll auf Fälle begrenzt werden, in denen die Offenbarung des Täters im Zusammenhang mit der eigenen Straftat steht. Das Kartellamt soll mehr Macht erhalten, um die Rechte mittelständischer Betriebe gegen große Konzerne besser zu schützen. Bei Missbrauch sollen Konzerne notfalls zerschlagen werden können.

"Gespräche aus dem Tierreich hat es nicht gegeben"

Streitthemen, bei denen sowieso keine Einigung zu erwarten war, hatte die Spitzenrunde ausgeklammert: Vorratsdatenspeicherung, Mindestlohn und private Pflegeversicherungen standen erst gar nicht auf der 13 Punkte umfassenden Themenliste. "Es sollen nur schöne Sachen rauskommen" - das war die Losung für das Spitzentreffen.

Doch ob das persönliche Verhältnis zwischen Kanzlerin Angela Merkel (CDU) und Vizekanzler und FDP-Chef Philipp Rösler wieder zu kitten sein wird, ist offen. Nach dem Zerwürfnis um die Nominierung von Joachim Gauck als Kandidaten für das Bundespräsidentenamt war die Stimmung zwischen den beiden auf den Nullpunkt gefallen.

"Gespräche aus dem Tierreich hat es nicht gegeben", verkündete CSU-Generalsekretär Alexander Dobrindt immerhin nach dem Treffen - eine Anspielung auf einen öffentlichen Ausspruch Röslers, der die Situation der Kanzlerin in der Diskussion um Gauck mit der eines Frosches verglichen hatte, der langsam gekocht wird.

Rückblick: Als die wichtigsten Leute von Schwarz-Gelb vor genau zwei Wochen am gleichen Ort über die Nachfolge des gerade zurückgetretenen Bundespräsidenten Christian Wulff berieten, stand Schwarz-Gelb plötzlich kurz vor dem Aus. Rösler und sein Fraktionschef Rainer Brüderle machten Merkel aus heiterem Himmel klar, dass sie notfalls gemeinsam mit SPD und Grünen deren Kandidaten Joachim Gauck mitwählen würden. Die Kanzlerin stand vor der Wahl: einknicken oder FDP-Minister rausschmeißen. Sie entschied sich für die Koalition - und lenkte ein.

Welcher Frosch wird am Ende gekocht?

Fast schlimmer noch als das Ja für Gauck war für Merkel - so ist zu hören -, wie Rösler mit seinem Erfolg öffentlich hausieren ging. In einer Talkshow fiel dann auch noch der Frosch-Vergleich in Richtung Kanzlerin. "Seitdem ist der Ofen zwischen Frau Merkel und Rösler ziemlich aus", sagt ein Unionsmann. Selbst in der FDP seien viele entsetzt über das Vorgehen Röslers, erzählen andere.

An der Kanzlerin werde sich der FDP-Chef die Zähne ausbeißen, orakeln sie auf Unionsseite. Bis Schleswig-Holstein-Wahl Anfang Mai dürfte zunächst Burgfrieden herrschen. Fliegt die FDP dann aus dem Landtag in Kiel, könnte es ganz schnell auch wieder um die Zukunft Röslers als Parteichef gehen.

Denn ganz genau haben sie in der Koalition die jüngsten Umfragen registriert. Demnach kann die FDP bisher nicht davon profitieren, dass sie Gauck gegen den ausdrücklichen Willen Merkels durchgedrückt hat. Wie im Vormonat lagen die Liberalen im ARD-Deutschlandtrend bei 3 Prozent. 67 Prozent glauben nicht, dass der FDP ihr Coup am Ende etwas nützt. Der Kanzlerin schadet ihr Einknicken dagegen nicht, sie bleibt beliebteste Politikerin in Deutschland. 81 Prozent finden es sogar vernünftig, dass Merkel nachgegeben hat. Wer also am Ende der Frosch ist, der gekocht wird, ist völlig offen.

dpa