Präses Kurschus: Die Frau, die in große Schuhe tritt
Sie predigt ihr theologisches Grundsatzprogramm: Annette Kurschus, die neue Präses der westfälischen Kirche. Vom Leben und von Gottes Kraft handelt ihre Predigt im Einführungsgottesdienst in Bielefeld - und davon, dass sie die Worte, die davon zeugen, kaum selbst verkündigen kann. Von Zuversicht und Gottvertrauen ist die Rede. Die Gemeinde fühlt sich aufgehoben.
04.03.2012
Von Anne Kampf

Die Glocken werden leiser, die Menschen in der Zionskirche in Bethel räuspern sich noch mal, "noch zehn Sekunden" ruft eine Stimme in die Kirche. Spannung. Dann ziehen sie ein, Alfred Buß, der bisherige Präses der Evangelischen Kirche von Westfalen, Nikolaus Schneider, Ratsvorsitzender der Evangelischen Kirche in Deutschland, die Liturgen, und Annette Kurschus, die neue Präses der westfälischen Kirche, die in diesem Gottesdienst in ihr Amt eingeführt wird. Ernst schaut sie, angespannt. Dieser Tag ist nicht irgendeiner.

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Rote Lichter leuchten an den Kameras auf, die Gottesdienstgemeinde versucht, sich auf Psalmgebet und Musik zu konzentrieren, Fernsehleute hantieren leise. Die Spannung entlädt sich erst, als die Gemeinde "Lobe den Herrn, meine Seele" schmettert, singend schreitet Altpräses Alfred Buß nach vorn - er freut sich über diesen Tag. Und sein Ton wird dann doch wieder ernst und getragen, als Annette Kurschus vor ihm auf einem roten Kissen kniet. Buß, ein Baum von einem Mann, steht - noch riesiger als sonst - auf einer Stufe, überragt seine Amtsnachfolgerin um fünf Köpfe und fragt: "Bist du bereit, den Dienst als Präses der Evangelischen Kirche von Westfalen zu übernehmen und versprichst du (...), dein Amt so zu führen wie du es bei der Ordination versprochen hast, zur Ehre Gottes und zum Wohl der Kirche Jesu Christi?" - sie antwortet laut und deutlich: "Ja, mit Gottes Hilfe."

Das Versprechen der Mitarbeiter

Auch die Mitglieder der Synode, des Kirchenamtes und der Kirchenleitung geben im Chor das Versprechen ab, die neue Präses zu unterstützen und für sie zu beten. Segensworte werden ihr zugesprochen, mit Handauflegung, Annette Kurschus blickt nach unten, das kennt sie schon von der Ordination und von der Einführung als Superintendentin in Siegen. Dankbar lächelt sie ihre Kollegen jeweils kurz an und gibt am Schluss Alfred Buß die Hand. Nun ist Annette Kurschus Präses.

[listbox:title=Mehr im Netz[Infos über die neue Präses und ihr Amt auf der Website der Evangelischen Kirche von Westfalen##Annette Kurschus' Predigt über 2. Timotheus 1,7##Der Fernsehgottesdienst im WDR]]

Und tut als allererstes das, was sie am besten kann, am liebsten tut und was ihr wichtigstes Amt ist als leitende Geistliche der Evangelischen Kirche von Westfalen: predigen. Sie tut es in diesem Gottesdienst - jetzt mit dem Präseskreuz um den Hals - genauso wie immer: gut gelaunt, authentisch und entspannt. Einen Moment hat sie noch, bis der Gemeindegesang zu Ende ist, sie blinzelt Menschen in der Kirche an, ihre Brüder sind da, ihr Vater, etliche Wegbegleiter aus verschiedenen Lebensstationen - viele aus ihrer Heimat Siegen.

Auch die Predigt beginnt mit einer Szene aus Siegen: Annette Kurschus erzählt, wie Kindergartenkinder ihr ein selbstgemaltes Bild überreicht haben: Jesus und seine Jünger im Boot sind darauf zu sehen, um sie herum tosen die Wellen, Jesus im weißen Gewand steht stark und sicher vorn im Boot.

"Du brauchst keine Angst zu haben"

Ein kleiner Junge spricht ihr Gottes Wort zu. "Du brauchst keine Angst zu haben. Der Jesus hat nämlich meistens ziemlich gute Ideen" - das war die Botschaft der Kinder, und Annette Kurschus beschreibt den Moment: "Da war sie auf einmal. Die Kraft Gottes. Sie ging mitten ins Herz. Mächtig und wärmend." Sie predigt über 2. Timotheus 1, Vers 7, über den Geist der Kraft und der Liebe und der Besonnenheit. Dabei schlägt sie einen kleinen Bogen im Timotheusbrief - um davon zu reden, was ihr Amt ist: die Botschaft vom Leben weitersagen.

Annette Kurschus stellt in dieser Predigt ihr theologisches Grundsatzprogramm als Präses vor: "Jesus Christus hat dem Tode die Macht genommen und das unvergängliche Leben ans Licht gebracht", zitiert sie den Apostel Paulus. Diese Worte vom "Weg, der zum Leben führt" zu verkündigen, das übersteige alle Erfahrung, allen Glauben und die Erwartungen der anderen erst recht. Doch Gott sei Dank: "Nicht wir müssen die Wahrheit tragen. Die Wahrheit trägt uns." Die neue Präses, die begnadete Predigerin, steht hier auf der Kanzel vor tausenden Fernsehzuschauern und sagt sinngemäß: "Ich kann das gar nicht. Ich spreche nur Gottes Wort nach - Gott macht." Nur so will sie die Kirche leiten, und nur so wird die Kirche bestehen - wenn ihre Leitenden und ihre Gläubigen an der Verheißung Gottes festhalten.

Präses Annette Kurschus und ihr Vorgänger Alfred Buß.

Dann kommt der Moment, in dem Annette Kurschus, die zierliche Frau, ausnahmsweise einmal größer ist als Alfred Buß. Der Altpräses kniet, Kurschus steht zwei Stufen höher, überragt ihn um einen Kopf. Die neue Präses legt ihrem Amtsvorgänger die Hand auf und betet für ihn um Vergebung für Fehler und Versäumnisse, "Gott segne sein Loslassen." Ein berührender Moment. Alfred, "nun bist du frei!" Buß bekommt später nach seinem Abschieds-Grußwort stehende Ovationen von der Gottesdienstgemeinde.

Ein Termin bei Frau Kraft

Hannelore Kraft, die Ministerpräsidentin des Landes NRW gesteht, dass Buß' Ruhestand ein Verlust für das Bundesland sei. "Sehr verehrte Frau Präses Kurschus", sagt sie an die neue Präses gewandt und mit Betonung auf dem Wort "Frau", "Sie treten in wirklich große Schuhe." Annette Kurschus wird als erste Frau die westfälische Landeskirche mit 2,5 Millionen Mitgliedern und 31 Kirchenkreisen leiten und hat schon einen ersten Gesprächstermin mit der Ministerpräsidentin vereinbart. "Ich kann Ihnen sagen", gibt Hannelore Kraft ihr zur Amtseinführung mit auf den Weg, "Erste Frau in einem Amt zu sein, ist Freude!" Für die katholische Kirche spricht Erzbischof Hans-Josef Becker aus Paderborn. Er verhaspelt sich bei der Anrede "Liebe Schwester Kurschus" - und gibt zu, dass er sich an die Kollegin erst noch gewöhnen muss.

Sie wird sich gerne von dem katholischen Bruder einladen lassen, "ökumenische Weite" hat Annette Kurschus in ihrer Rede vor der Landessynode im November versprochen. Außerdem "wache Zeitgenossenschaft" und "theologische Konzentration". Zu politischen und gesellschaftlichen Fragen will sie ihre Stimme - die Stimme der Kirche - immer dann erheben, wenn es "vom Evangelium her geboten" sei. Ihr Kerngebiet aber ist das Wort Gottes. Die Kirche brauche eine "Gründung in der Tiefe", eine "Rückbindung an die biblische Botschaft". Ihr Amt ist das der Geistlichen Leitung der Evangelischen Kirche von Westfalen. "Ich habe die Kirche lieb", hatte Annette Kurschus Ende 2011 in einem Radiointerview gesagt. Das war deutlich zu spüren in diesem besonderen Gottesdienst.


Anne Kampf ist Redakteurin bei evangelisch.de.