Noch ist es nicht das ganz große Protokoll. Noch ist es nur der "Bürger Joachim Gauck", wie er sich selbst so gern nennt, der am Donnerstag in der Universität Lodz eine Rede hält. Aber zufälligerweise ist aus Warschau schon mal der deutsche Botschafter angereist. Der frühere Außenminister Wladyslaw Bartozewski, der Senior der deutsch-polnischen Beziehungen, sitzt in der ersten Reihe. Und die Männer vom Bundeskriminalamt, die schon seit einigen Tagen mit Gauck unterwegs sind, haben sich unauffällig in der Aula postiert.
Denn selbstverständlich geht es hier nicht mehr um den "Bürger Gauck", sondern um das deutsche Staatsoberhaupt in spe. Lodz ist für den ehemaligen Leiter der Stasi-Unterlagenbehörde der letzte Termin im Ausland, bevor er in zweieinhalb Wochen mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zum neuen Bundespräsidenten gewählt wird. Und auf das Verhältnis zu Deutschland kommt es den Polen besonders an.
Dementsprechend ist auch das Interesse. Fast tausend Leute haben sich im größten Hörsaal versammelt: Studenten vor allem, aber auch viele ältere Semester. Viele müssen stehen. Eigentlich wollte Gauck schon im vergangenen Oktober zum ersten Mal nach Lodz kommen, aber damals war der Nebel auf dem Flughafen zu dicht. Dieses Mal kam er mit dem Auto.
Verheißungen und böse Traditionen
In der "Roten Aula" hält der 72-Jährige eine Rede, die sein zentrales Thema zum Titel hat: "Freiheit - Verheißung und permanente Herausforderung". Gleich zu Beginn geht es um die gemeinsame Geschichte: das Ghetto in Lodz, eines der größten in Europa, wo die Nazis nur einige wenige Juden am Leben ließen. Gauck spricht von einer "Wiederbegegnung mit den bösen Traditionen deutscher Dominanz". Hitler-Deutschland habe Polen und Juden "unendliches Leid" zugefügt.
Im Unterschied zu seinen Lesereisen hat er sich für die Uni eine Krawatte umgelegt. Aber noch spricht er, den Ellbogen lässig auf das Pult gelegt, mehr wie ein Pastor oder Professor. Staatsmann kommt später. Zu seinen Vorhaben als Präsident äußert er sich nur arg im Ungefähren. Alles andere verbietet sich auch vor der Wahl. Aber Gauck lässt keinen Zweifel daran, dass er sich um die Polen besonders kümmern will. "Ich habe eine Menge eigener Vorstellungen über das deutsch-polnische Verhältnis."
Und macht dann auch klar, dass er neue Akzente setzen will. Gauck findet zum Beispiel, dass sich die Deutschen an den Polen in manchen Bereichen durchaus ein Beispiel nehmen können. "Europa guckt gerne nach Westen und die Deutschen zumal. Dabei könnte meine Nation hier eine Menge lernen." Im Unterschied zu Deutschland herrsche in Polen "viel weniger Verdruss". "Sich nicht entmutigen lassen, sondern Dinge anzupacken, das hat mir viel Eindruck gemacht."
"Ich habe eine verschleppte Erkältung"
Die verschiedenen Versuche, mehr über die künftigen Aufgaben aus ihm herauszulocken, pariert er gut. Auch als er gefragt wird, ob er im Sommer nicht vielleicht als Staatsoberhaupt zur Fußball-Europameisterschaft nach Polen zurückkommen wolle. "Ich habe eine verschleppte Erkältung, und die legt sich aufs Ohr", entschuldigt er sich. "Deswegen verstehe ich manche Frage nicht so richtig. In diesem Moment war das gerade so." Der Saal lacht und klatscht.
Nach zwei Stunden ist für den "Bürger Gauck" der vielleicht letzte unpräsidiale Termin im Ausland vorbei. Beim Hinausgehen bekommt er nicht einmal mit, wie ihn Bartozewski als "Idealbesetzung für die Polen" lobt. Am Nachmittag steht dann noch ein Besuch in einer Erinnerungsstätte für die Ghetto-Opfer auf dem Programm, dem "Park der Überlebenden", wo mehr als 360 "Erinnerungsbäume" gepflanzt wurden. Ohne Kranzniederlegung, ohne großes Zeremoniell. Das kommt später.