Frau Kurschus, wie wollen Sie das Präsesamt ausfüllen?
Annette Kurschus: Ich will das Präsesamt nicht im Sinne von Management führen, sondern betrachte es als ein zutiefst geistliches Amt. Der oder die Präses hat bei uns nicht nur den Vorsitz der Synode und des Landeskirchenamtes inne. Das Amt ist – auch wenn wir es nicht so nennen – zuallererst ein Hirtenamt.
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Was bedeutet es für Sie, dass erstmals eine Frau in dieses Amt gewählt wurde?
Kurschus: Dass erstmals eine Frau an der Spitze der westfälichen Kirche steht, ist für mich eine Selbstverständlichkeit und jetzt einmal dran.
Was sind die drei wichtigsten Aufgaben, die Sie angehen wollen?
Kurschus: Wir müssen vor allem unsere missionarischen Aufgaben wieder stärker wahrnehmen und positiv vermitteln, was uns wichtig ist. Wir haben eine Botschaft, die wir uns nicht selbst sagen können und nicht selbst sagen müssen, die aber in dieser Welt gebraucht wird. Vermittelt wird sie nicht nur durch Gottesdienste und Andachten, sondern auch durch soziales, diakonisches und politisches Engagement.
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Zweitens hat die westfälische Landeskirche ein großes Potenzial, das wir stärker zum Tragen bringen können. Ich will dazu beitragen, dass wir unsere Kompetenzen noch besser vernetzen und aufeinander beziehen. Drittens wird unsere Kirche künftig stärker von Ehrenamtlichen mitgetragen. Ihre Engagement sollten wir noch mehr begleiten und erleichtern, etwa durch Schulungen und bessere Arbeitsbedingungen.
Die Kirche hat mit sinkenden Zahlen zu kämpfen. Wie wirkt sich das aus?
Kurschus: Wir werden weniger Theologen und weniger Kirchen haben. Dadurch wird es auch ein Umdenken in den Gemeinden geben müssen. In Zukunft wird nicht mehr jedes Gemeindeglied davon ausgehen können, dass es zu Fuß zur Kirche gehen kann. Flächendeckend präsent zu sein bedeutet nicht, in jedem Ortsteil eine Kirche zu haben. Sondern es heißt, dass jeder Mensch in der Gemeinde weiß, an wen er sich mit seinen Fragen wenden kann.
Bei weniger Theologen: Was wird künftig die Aufgabe der Pfarrer sein?
Kurschus: Die Theologen sollten ihren Schwerpunkt im Bereich Verkündigung, Seelsorge und Lehre haben. Sie müssen in Zukunft zudem viel mehr als bisher Multiplikatoren sein, die ihr Know-how weitergeben an andere Berufsgruppen und an Ehrenamtliche. Wir brauchen ein Miteinander der Professionen. Die Pfarrer sind nicht wichtiger als die Jugendreferenten. Nur gemeinsam geht es.
Hat die Volkskirche noch Zukunft?
Kurschus: An der Volkskirche müssen wir festhalten. Man kann auch grundsätzlich dazu gehören, ohne zu glauben – der Glaube sollte nicht die Eintrittskarte sein. Sonst schließen sich viele Türen für Begegnungen mit Menschen, die jetzt offen sind – etwa bei Tauf- oder Traugesprächen.
Zu welchen politischen und gesellschaftlichen Themen wollen Sie sich äußern?
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Kurschus: Die Kirche ist eine gestaltende Größe in unserem Gemeinwesen, die auch gehört wird. Sie muss sich nicht bei allen Themen einmischen. Sondern sie hat sich da zu Wort zu melden, wo Fragen auftauchen, zu denen vom Evangelium her Entscheidendes zu sagen ist. Also zum Beispiel überall da, wo es um Fragen von Gerechtigkeit, Frieden oder um die Bewahrung der Schöpfung geht.
Dazu haben wir eine unverwechselbare Stimme einzubringen. Dabei dürfen wir nicht damit hinterm Berg halten, dass Gott selbst die Quelle unseres Handelns ist. Der Glaube ist keine Privatsache, sondern will in die Welt. Was die Kirche als Botschaft vertritt, hat elementar mit der Welt zu tun und darf nicht hinter Kirchenmauern bleiben.
Die EKD-Synode hat das Streikverbot per Kirchengesetz bekräftigt. Wie denken Sie über den kirchlichen Sonderweg beim Arbeitsrecht, den Dritten Weg?
Kurschus: Das kirchliche Arbeitsrecht ist grundsätzlich ein guter und angemessener Weg. Wir tragen in der Diakonie Fürsorge für andere Menschen, das muss an erster Stelle stehen. Es kann nicht sein, dass alles stillsteht, wenn ich für meine Interessen streike, und Menschen unversorgt bleiben. Andererseits haben wir auch eine Fürsorgepflicht für unsere Mitarbeitenden. Dazu gehört, dass in Kirche und Diakonie die Arbeitsbedingungen stimmen müssen und nicht zu wenig bezahlt werden darf.
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Was ist Ihnen persönlich wichtig am christlichen Glauben?
Kurschus: Ich verdanke mich nicht mir selbst, sondern bin ein gewolltes und geliebtes Kind Gottes. Mein Sein in dieser Welt hat einen Grund, einen Sinn und ein Ziel. Das stellt meine Füße auf weiten Raum: Ich muss mir nicht selbst vergeben. Gott ist in Jesus Christus ein Gegenüber, das mich ansieht, annimmt und mir täglich neu die Möglichkeit schenkt, umzukehren und mich zu verändern. Diese Grundgewissheit trägt mich und lässt mich auch getrost Verantwortung übernehmen.