Wenige Tage vor den Präsidentschaftswahlen in Russland hat sich das Oberhaupt der russisch-orthodoxen Kirche, Patriarch Kyrill I., indirekt für eine Rückkehr Wladimir Putins in das höchste Staatsamt ausgesprochen. Wenn in Russland solche Kräfte an die Macht kämen, die Konsum und Reichtum propagierten, drohe dem Land der Verlust seines Status als unabhängige Großmacht, sagte der Patriarch am Wochenende bei einem Kongress der von Ministerpräsident Putin ins Leben gerufenen Volksfront.
Die russische Opposition wird von Putin-Unterstützern häufig als hedonistisch und wegen ihrer Orientierung an westlichen Demokratien als unpatriotisch diskreditiert. Nach den jüngsten Großdemonstrationen rief Kyrill die orthodoxen Gläubigen auf, derartigen Ereignissen fernzubleiben. Statt zu protestieren sollten Gläubige lieber im Stellen beten, empfahl das Kirchenoberhaupt. Der Moskauer Patriarch warnte bei der Veranstaltung zur Unterstützung von Armee, Marine und Rüstungsindustrie auch vor einer "Informationsattacke", die Russland von innen und außen bedrohe: "Der Kampf findet heute auf der Ebene der Ideen, Überzeugungen, Einstellungen und Weltabschauungen statt."
Das Bewusstsein der Massen beherrschen
Niemand könne den Informationsfluss regeln, jeder Mensch mit einem Computer lasse eine Vielzahl von Überzeugungen, Meinungen und Versuchungen in sein Leben, unterstrich das geistliche Oberhaupt von weltweit rund 150 Millionen russisch-orthodoxen Christen. So sei es heute leicht, das Bewusstsein der Massen zu beherrschen, warnte der Patriarch. Er spielte damit offenbar auf die Rolle des Internets bei der Formierung der Protestbewegung gegen Wladimir Putin in den vergangenen Wochen und Monaten an.
Bei einem Treffen der russischen Religionsvertreter mit dem Regierungschef und Präsidentschaftskandidaten Putin Anfang Februar hatte Kyrill das Verhältnis von Staat und Kirche in den vergangenen zwölf Jahren, seit dem Machtantritt Putins, als ein "Wunder Gottes" bezeichnet. Er sprach dem Politiker sein Vertrauen aus und bezeichnete ihn als den Kandidaten mit den besten Erfolgsaussichten. Putin seinerseits versprach bei der Begegnung, dass sich der Staat nicht in innerkirchliche Angelegenheiten einmischen werde. Er beklagte, dass die Stimme der Kirche im Fernsehen zu selten zu vernehmen sei und stellte einen eigenen Kirchensender, ein lange gehegter Wunsch der Orthodoxen, in Aussicht.
Sowohl Putin als auch der amtierende russische Präsident Dmitri Medwedew bekennen sich zum orthodoxen Glauben und nehmen regelmäßig an hohen kirchlichen Feiertagen teil. Im Januar überraschte Putin anlässlich des orthodoxen Weihnachtsfestes mit dem Bekenntnis, dass er in der St. Petersburger Verklärungskirche getauft worden sei: "Für mich ist das eine besondere Kirche. Ich wurde hier etwa sechs Wochen nach der Geburt getauft." Seine Mutter und eine Nachbarin hätten ihn heimlich zur Taufe in die Kirche gebracht, erzählte Putin, dessen Vater als Mitglied der Kommunistischen Partei jede Form von Religion ablehnte.
Putin und Medwedew sind fleißige Kirchgänger
Unter dem Duo Medwedew und Putin wurde an russischen Schulen orthodoxer Religionsunterricht eingeführt. Die Kirche ihrerseits macht sich unter anderem gegen Abtreibung, Abwanderung und Alkoholismus stark und ist in diesem Sinne ein wichtiger Verbündeter des russischen Führungstandems.
Nach den ersten größeren Oppositionsdemonstrationen gegen Wahlfälschung im Dezember hatte sich Oberpriester und Kirchensprecher Wsewolod Tschaplin noch für einen Dialog zwischen der Staatsmacht und den Unzufriedenen ausgesprochen und die Kirche dabei sogar als Vermittler ins Spiel gebracht. Wenn die Macht nicht auf die Sorgen des Volkes höre, könne sie langsam und bei lebendigem Leibe ausgefressen werden, sagte Tschaplin, der für seine markige Ausdrucksweise bekannt ist.