"Der pure Raum!" Eine Kirche wird zur Kunstgalerie
Eine Kirche ist zum Singen und Beten da! Eine Kirche ist dafür da, Gottesdienst in ihr zu feiern! Im Prinzip richtig, aber nur, wenn das Geld reicht. Das Berliner Erzbistum musste Gotteshäuser aufgeben. Auch die St. Agnes-Kirche in Kreuzberg steht seit sieben Jahren zum Verkauf. Als Zwischennutzer nutzte die freie "City-Kirche Berlin International"-Gemeinde den 60er-Jahre-Betonbau. Doch die Gemeinde hatte ebenfalls kein Geld für Sanierungen oder gar einen Kauf. Statt christlicher Andacht kommen jetzt Kunstverkäufer: St. Agnes wird zur Galerie. Ist das eine sinnvolle Kirchen-Umnutzung?
28.02.2012
Von Thomas Klatt

Die Kreuzberger St.-Agnes-Kirche ist fast leer. Die Kirchenbänke sind bereits ausgeräumt. Bald werden auch die Orgel und der Steinaltar entfernt. Nur noch die in Kartons herumliegenden Gesangbücher erinnern daran, dass hier bis vor kurzem die freie evangelische "City-Kirche Berlin International"-Gemeinde Gottesdienst gehalten hat.

"Als ich die Kirche vor sieben Jahren zum ersten Mal gesehen und betreten hatte, war ich überwältigt. Diese Höhe und dieser einzigartige Baustil hat mich so fasziniert, dass mein erster Spruch war, hier möchte ich heiraten, und das hab ich dann auch wirklich getan. Mein Mann und ich haben in dieser Kirche vor fünf Jahren geheiratet", sagt die freikirchliche Pastoralreferentin Bärbel Rogait.

"Es ist ein sehr besonderer Raum", schwärmt der Galerist

Doch mit Singen, Beten oder Hochzeit halten ist nun Schluss. Der Galerist Johann König hat zugegriffen. Via Erbbaupachtvertrag gehört St. Agnes nun für mindestens 99 Jahre ihm. Für ihn ist das Gebäudeensemble des Berliner Architekten Werner Düttmann, der unter anderem auch das Berlin-Dahlemer Brücke-Museum und die Akademie der Künste am Berliner Hanseatenweg gebaut hat, einfach perfekt.

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Der strenge Zementwurfputz außen ist auch innen im Raum zu sehen. Das Gebäude ist komplett fensterlos und weist nur Lichtbänder auf, deren Licht-Flächen auf die anderen Wandflächen ausstrahlen. Oben an der Decke sind Tageslichtschlitze, die dem Raum sehr gutes Licht geben. "Schon damals hat Düttmann das Ganze als sehr geeignet für Ausstellungen bezeichnet. Der pure Raum! Es ist ein sehr besonderer Raum", schwärmt der 30 Jahre alte Galerist. Ist die 1967 errichtete rund 800 Quadratmeter große Kirche also immer schon eine Art Ausstellungshalle gewesen, die nur versehentlich für Gottesdienste genutzt wurde?

"Mich interessiert sehr stark dieses Phänomen der Aneignung, was in der Hausbesetzerszene oder in der Club-Kultur angefangen hat, die Verwendung von rohen Räumen. In diesem Zusammenhang sehe ich diese heute diese denkmalgeschützte Kirche auch. Es ist ein Paradebeispiel der Berliner Nachkriegsmoderne", sagt König. Vor zehn Jahren begann der Kölner damit, in Berlin Kunst zu verkaufen.

Mit dem Christentum hat das alles nichts mehr zu tun

Wegen immer wieder steigender Mieten musste er mit seiner Galerie mehrmals umziehen. Nun investiert er etwa zwei bis drei Millionen Euro in die mittlerweile in die Jahre gekommene Betonkirche, um Mietfreiheit und Planungssicherheit zu haben. Die neue Adresse in der Alexandrinenstraße unweit des Jüdischen Museums könnte der hippeste und angesagteste Kunstkommerz Berlins werden, wenn nicht sogar Deutschlands, glaubt er.

Neben der Galerie sollen auf den insgesamt 2.500 Quadratmetern Geschossfläche Büros, ein Café oder Restaurant und weitere Räume für Kreatives entstehen. Nur mit dem Christentum hat das alles dann nichts mehr zu tun. Bei allem Respekt vor der Religion werde St. Agnes spätestens ab März nächsten Jahr nur noch Raum für Plastiken, Skulpturen und Klang-Installationen als Verkaufsobjekte bieten, verspricht Johann König.

Nur hätte das Berliner Erzbistum nicht auch von alleine auf so eine Idee kommen können, um wenigstens die Kernkirche als christlichen Gottesdienstraum zu erhalten? Der Pressesprecher winkt ab: Man musste sich von Immobilien verabschieden, um Kosten zu sparen. Und besser aus einer ehemaligen Kirche wird eine Galerie als Schlimmeres.

"Das muss man einem Käufer erstmal zumuten"

"Es ist natürlich nicht in unserem Interesse, dass da ein Bordell, Spielsalon oder gar eine Bank einzieht, sondern dass es eine für den Raum würdige Nachnutzung gibt", sagt der Sprecher des Erzbistums Berlin Stefan Förner. Auch dass das Erzbistum ihr Tafelsilber billig preisgebe, verneint der Katholik vehement: "Aus dem Verkauf einer Kirche einen Erlös zu erzielen ist nicht so einfach, wie manche meinen. Das muss man einem Käufer erst einmal zumuten, dass er da Millionen in eine alte Kirche steckt."

Eine Menge Geld, das die freie evangelische Gemeinde nicht hat, die die Kirche vorher nutzte. Die Freikirchler haben jetzt zwar Asyl in der nahen St.-Simeon-Gemeinde gefunden, suchen aber nun eine dauerhafte Bleibe.

Bärbel Rogait, die hauptamtlich als Pflegedienstleiterin arbeitet, wäre lieber in St. Agnes geblieben, wenn nur das Geld gereicht hätte. "Ich bin sehr traurig, dass wir in Deutschland unser Christentum nicht mehr als das leben, als was es gedacht ist, dass unsere Kirchen verkauft werden oder anders genutzt werden, als Restaurant oder kulturelles Gebäude. Die Botschaft von Jesus kommt einfach nicht mehr so bei uns Deutschen an", klagt die Freikirchlerin.


Thomas Klatt ist evangelischer Theologe und freier Journalist in Berlin.