Egal, wer die Parlamentswahlen im Iran auch gewinnt: Auswirkungen auf den Konflikt des Landes mit der Weltgemeinschaft wird die Abstimmung nicht haben. Der Atomstreit, die damit verbundenen Sanktionen und ein möglicher Militäranschlag Israels auf die iranischen Atomanlagen sind sogenannte "Staatsangelegenheiten", bei denen das Parlament nichts zu sagen hat. Sie werden von Ajatollah Ali Chamenei, dem obersten Führer des Landes, und seinen engsten Beratern entschieden. Die verschieden Fraktionen streiten deshalb vor allem um die Innenpolitik.
Dennoch ist es im siebten Jahr der Präsidentschaft von Mahmoud Ahmadinedschad interessant zu sehen, dass der einstige Liebling des Establishments von allen Seiten Druck bekommt und in die Oppositionsrolle gedrängt wird. "Vor sieben Jahren hatte er im Establishment alle für, nun alle gegen sich", kommentiert ein Politologe in Teheran die wachsende Kritik ehemaliger Weggefährten Ahmadinedschads am Präsidenten.
Ahmadineschad laufen die Unterstützer davon
Einer der Gründe ist die neue politische Linie der Pro-Ahmadinedschad-Fraktion, die auf einmal weniger Islam und dafür mehr Nationalismus will. Diese Einstellung wird nicht nur vom konservativen Lager, sondern auch vom Klerus als Unterminierung des herrschenden islamischen Systems betrachtet. Dementsprechend gelten manchen Klerikern Anhänger dieser Fraktion als "Abweichler", die gar die Mullahs weghaben wollen. Ahmadinedschad hält sich zwar bedeckt und schweigt "der nationalen Einheit wegen", doch distanziert von den Vorwürfen hat er sich auch nicht.
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Kritik hagelt es auch für die Wirtschaftsreformen des einst als Robin Hood der Unter- und Mittelschicht gefeierten Präsidenten. "Aus dem Robin Hood der Armen wurde eher der Sheriff von Nottingham", so ein ausländischer Diplomat.
Nach den jüngsten Sanktionen des Westens wirkten Ahmadinedschad und seine Regierung fast ratlos. In den vergangenen zwei Monaten halbierte sich der Wert der nationalen Währung Rial, die Inflationsrate ist astronomisch. "Die gegenwärtige Situation bringt das Land an den Rand des Bankrotts", warnte der konservative Abgeordnete Ahmed Tawakoli.
Ali Laridschani: Der Nachfolger?
Weit mehr als die Hälfte der 3.400 Kandidaten bei der Parlamentswahl sind Konservative, die sich dem Establishment verbunden fühlen und sich selbst Prinzipalisten nennen. Sie werden wohl, schon wegen der hohen Anzahl der Bewerber, die Wahlen gewinnen. Angeführt werden sie vom derzeitigem Parlamentspräsidenten Ali Laridschani. Der ehemaliger Atom-Chefunterhändler Ahmadinedschads zählt mittlerweile zu seinen ärgsten Kritikern - und wird bereits als Nachfolger bei der Präsidentschaftswahl nächstes Jahr gehandelt.
Die Reformer um den ehemaligen Staatspräsidenten Mohammad Chatami dagegen sind zwar im Rennen, können sich für die nächste Legislaturperiode aber nicht viel Hoffnungen machen. Der harte Kern der Reformer boykottiert die Wahlen. Ihre Führer, Mir-Hossein Mussawi und Mehdi Karrubi, stehen unter Hausarrest und sind de facto politisch ausgeschaltet. Andere sitzen im Gefängnis oder haben sich aus der Politik zurückgezogen.
"Wählen können die Herrschaften ja auch alleine"
Das Establishment hofft auf eine hohe Beteiligung der mehr als 48 Millionen Wahlberechtigten. Die "Feinde" des Landes wollten dies mit Hilfe des Internets jedoch verhindern, heißt es. "Über soziale Netzwerke wie Facebook und Twitter wird zum Wahlboykott aufgerufen", klagte Innenminister Mostafa-Mohammad Nadschar. Tatsächlich gibt es allein auf Facebook mehrere Seiten, auf denen zum Boykott aufgerufen wird. Rund 17 Millionen Facebook-Nutzer gibt es im Iran. Obwohl das Netzwerk blockiert ist, finden sie über bestimmte Programme Zugang.
Ein noch gewichtigerer Grund für eine möglicherweise niedrige Wahlbeteiligung könnte der Wahltermin sein. Der Urnengang findet weniger als drei Wochen vor dem persischen Neujahrsfest (21. März) an einem arbeitsfreien Freitag statt. "Ich habe noch so viel zu tun, und wählen können die Herrschaften ja auch alleine", meint etwa die 40 Jahre alte Hausfrau Farideh aus Teheran - und spielt damit auf die angeblichen Fälschungen bei der Präsidentschaftswahl 2009 an, bei der Ahmadinedschad mit deutlichem Vorsprung im Amt bestätigt wurde.
Amnesty wirft Iran Einschüchterung vor
Im Iran ist nach Einschätzung von Amnesty International vor der Parlamentswahl an diesem Freitag eine massive Einschüchterungskampagne in Gang. Die Verfolgung von Oppositionellen sei in den vergangenen Monaten "deutlich verschärft" worden, kritisierte die Menschenrechtsorganisation in einem am Dienstag veröffentlichten Bericht. Auf diese Weise sollten Proteste wie nach der Präsidentenwahl 2009 verhindert werden.
Amnesty-Experte Dieter Karg sprach von einer "regelrechten Verhaftungswelle". Dieser seien unter anderem Anwälte, Studenten, und Journalisten zum Opfer gefallen. Zudem zwinge eine neue "Cyber-Polizei" seit vergangenem Monat die Besitzer von Internet-Cafés, Überwachungskameras zu installieren und die Identität von Kunden festzuhalten. Mit solchen Methoden werde versucht, "ein Klima der Angst schaffen, um jegliche Proteste im Keim zu ersticken".