Lesen wird mobil, ob mit E-Reader oder Tablet
Die Grenzen zwischen E-Reader und Tablets verschwimmen zunehmend. Und das Lesen ohne Papier wird immer sozialer - aber in geschlossenen Systemen.
28.02.2012
Von Christiane Schulzki-Haddouti

Die Märkte für Tablets und E-Reader nähern sich an, insbesondere seitdem Amazon mit dem Kindle Fire einen farbigen E-Reader vorgestellt hat und Apple mit seinem iPad kräftig unter Druck setzt. Der Trend zum digitalen Lesegerät ist ungebrochen: Sowohl diesseits als auch jenseits des Atlantiks brummte in letzter Zeit das Geschäft. Die bisherige Zurückhaltung der Käufer scheint gebrochen zu sein: Der Weltbild eBook Reader verkaufte sich mehrere hunderttausend Mal, bei Amazon war der deutschsprachige Kindle das meistverkaufte Produkt – und auch die Verkaufszahlen für E-Books stiegen entsprechend in die Höhe.

Eine Umfrage des amerikanischen Pew Research Center stellte nach dem Weihnachtsgeschäft fest, dass sich der Anteil der Erwachsenen in den USA, die einen Tablet-Computer besitzen, zwischen Mitte Dezember und Mitte Januar von zehn auf 19 Prozent fast verdoppelte. Genau dieselbe Entwicklung stellte sie auch für E-Reader fest. Inzwischen besitzen 29 Prozent der Amerikaner diese digitalen Lesegeräte. In den Monaten zuvor hatte sich an den Besitzverhältnissen hingegen kaum etwas verändert.

Amazon jagt dem Konkurrenten Apple Kunden ab ...

Während sich E-Reader bislang durch schwarz-weiße Bildschirme mit elektronischer Tinte auszeichneten, die sehr wenig Strom verbrauchten und in der Regel schon für 100 Euro zu haben waren, galten Tablets als kleine Notebooks ohne Tastatur – mit einem vergleichbar hohen Energieverbrauch und einem erheblich höheren Preis. Mit Amazons neuestem Kindle Fire nähern sich die Produktarten aber weiter an. Denn der Kindle ist mehr Tablet als E-Reader, kostet aber erheblich weniger. Trotz seines farbigen Displays kostet das Gerät nur 199 Dollar – das günstigste iPad kostet immerhin 499 Dollar. Gedacht ist der Kindle Fire nicht nur für E-Books, sondern vor allem für Spielfilme, TV-Sendungen, Musik und Spiele, die über Amazons US-Filiale erhältlich sind.

Amazon subventioniert das 7-Zoll-Gerät allerdings erheblich. Weil die Geräteeinführung im Herbst in den USA so erfolgreich war, schmälerte sich Amazons Gewinn um 58 Prozent: Jedes Gerät wird mit 50 Dollar bezuschusst, weil die Herstellungskosten wesentlich über dem aktuellen Verkaufspreis liegen. Die Kampfstrategie scheint sich aber zu lohnen. Mindestens vier Millionen Geräte soll Amazon im November und Dezember verkauft haben. An Apples Preisstrategie hat das noch nichts geändert, doch Barnes & Noble sah sich bereits genötigt, mit dem ähnlich leistungsstarken Nook-Tablet zum selben Preis zu kontern.

Diese neuen Tablet-E-Reader-Hybriden bieten mit ihrem günstigen Preis einen Kaufreiz für viele Käufer, die bisher noch nicht zu einem Tablet greifen wollten. Amazon konnte mit seinem auf dem Android-Betriebssystem basierenden Gerät dem iPad bereits einige Marktanteile abjagen, stellte das Marktforschungsunternehmen IHS iSuppli fest - zugleich machen die günstigen Android-Tablets den Markt insgesamt größer. Weltweit liegt Amazon bei den Tablet-Verkäufen hinter Apple bereits auf Rang 2, gefolgt von Samsung auf Platz 3.

... aber das iPad ist immer noch Marktführer

Vor zwei Jahren hatte Apple mit den Tablet-Markt mit dem iPad aufgerollt. Bis heute beherrscht der kalifor-nische Gerätehersteller den Markt zu 75 Prozent. Vor wenigen Tagen stellte Apple die neueste Version vor, das "neue iPad", wie Apple das Gerät nun offiziell nennt. Es hat ein wesentlich besseres Display als sein Vor-gänger. Wie schon beim iPhone spricht Apple von einem "Retina Display", weil das menschliche Auge bei einer bestimmten Entfernung keine Bildpunkte mehr erkennen kann. Die Auflösung liegt bei 2048 zu 1536 Pixeln.

Außerdem verfügt das neue Gerät über einen schnelleren Prozessor, der sogar Videos in HD-Auflösung auf-nehmen kann. Schließlich punktet das neue iPad mit einer schnelleren Datenübertragung. Laut Apple-Werbung unterstützt es den schnellen Datenfunk-Standard LTE. Allerdings werden europäische Nutzer die neuen LTE-Netze nicht nutzen können, weil LTE in Europa und den USA auf verschiedenen Frequenzen läuft. Das neue iPad ist ab 499 Dollar erhältlich, während das iPad 2 nur noch 399 Dollar kosten soll. Trotz des LTE-Debakels dürfte Apple vor allem auf dem europäischen Markt seine Position ausbauen.

Preislich punkten jedoch die immer beliebter werdenden Android-Geräte, stellten Marktbeobachter von Strategy Analytics fest. Im Vergleich zum Vorjahr verkaufte Apple im vierten Quartal 2011 zwar 111 Prozent mehr iPads, doch die Android-Konkurrenz legte insgesamt mit 234 Prozent noch stärker zu. Apple bleibt damit zwar noch auf Platz 1, doch Amazon setzt jetzt schon wieder nach: So soll die nächste Version des Kindle Fire nicht mehr über eine Bildschirmgröße von sieben Zoll, sondern bereits über zehn Zoll verfügen und damit in iPad-Größen vorstoßen.

Der deutsche Markt muss noch ohne Kindle Fire leben

Wann jedoch diese neuen Geräte auf den deutschen Markt kommen werden, ist noch ungewiss. Die deutschen Kindle-Geräte jedenfalls gibt es nach wie vor nur dem schwarz-weißem E-Ink-Bildschirm: zum Lesen sehr gut geeignet, für alles andere nicht. Das fortgeschrittenste Modell gibt es jedoch auch hierzulande immerhin schon mit Wlan und 3G. Das Interneterlebnis ist aber eingeschränkt, weil die Browser auf den E-Readern einfach nicht alles können.

Dass das digitale Lesen sich dennoch durchsetzt, legen die Verkaufszahlen der letzten Monate nahe. Doch darf dabei eines nicht übersehen werden: Die Lesegeräte gelten im Moment als ideale Geschenkartikel, die bei den Beschenkten nicht unbedingt so ankommen wie es die Schenkenden meinen. So stellte kürzlich eine Umfrage eines britischen Marktforschungsunternehmens fest, dass gut die Hälfte Beschenkten ihre neuen Geräte noch immer nicht nutzten. Sie fanden das digitale Lesen offenbar doch nicht so attraktiv wie die Verschenker.

Leseanreiz durch "soziales Lesen"?

Verlage und Vertriebsplattformen für E-Books experimentieren daher mit unterschiedlichen Methoden, die digitalen Bücher reizvoller zu machen. Neben verschiedenen multimedialen Anreicherungen soll vor allem der Austausch mit anderen Lesern stimulierend wirken. Der kanadische E-Book-Anbieter Kobo bietet seit Oktober in Deutschland und Österreich seinen E-Reader "Kobo Touch" an, der über ein eigenes soziales Netzwerk eine enge Verknüpfung zwischen den Lesern herstellen kann. Kobo-Vizechef Michael Tamblyn hat mit Kobos Angebot "Reading Life" die Erfahrung gemacht, "dass die Kunden, die im sozialen Umfeld lesen, mehr Zeit mit unserem Angebot verbringen und länger digital lesen, als solche, die es nicht tun". Das Lesen werde "attraktiver, fesselnder, sobald es sich mit anderen teilen lässt".

Auf das "soziale Lesen" setzt jetzt auch Amazon. Jeder Amazon-Kunde kann im Bereich "Community" ein Profil anlegen, über das sich sich alle geschriebenen Rezensionen einsehen lassen, aber auch Wunschzettel oder kürzlich gekaufte Artikel. Für Datenschutz-bewusste Nutzer lassen sich all diese Informationen aber auch auf privat stellen oder gar löschen. Eine Zwischenlösung, die es erlauben würde, nur mit bestimmten Nutzern die eigenen Daten zu teilen, gibt es allerdings nicht. In der englischen Version können sich Kunden bereits gegenseitig "folgen", Lesenotizen veröffentlichen und auf das eigene Twitter-Konto verlinken. Damit versucht Amazon, bereits etablierten Leser-Netzwerken wie "Goodreads" und "Librarything" Konkurrenz zu machen - und Kunden in seinem eigenen geschlossenen System zu halten.


Christiane Schulzki-Haddouti arbeitet als freie Journalistin in Bonn.