Christine Lieberknecht: "Das Wort vom Gegner gefällt mir nicht"
Christine Lieberknecht (53), Pfarrerstochter, selbst evangelische Pfarrerin und mit einem Pfarrer verheiratet, ist seit 2009 CDU-Landesvorsitzende in Thüringen und Ministerpräsidentin einer Großen Koalition aus Union und SPD. Im Gespräch mit K. Rüdiger Durth, der die Protestantin bereits vor der deutschen Einheit in Erfurt kennenlernte, sieht sie eine große Gemeinsamkeit von Pfarrerin und Politikerin in der Hinwendung zum Menschen. Auch wenn sie seit 1990 als Pfarrerin beurlaubt ist, ist sie auch im politischen Alltag eine engagierte Politikerin geblieben. Ihr Handlungsmaßstab ist das christliche Menschenbild.
27.02.2012
Die Fragen stellte K.Rüdiger Durth

Frau Ministerpräsidentin, Sie sind nicht nur eine der drei Frauen unter den 16 deutschen Ministerpräsidenten, sondern auch die erste Pfarrerin. Predigen Sie eigentlich noch sonntags ab und zu?

Christine Lieberknecht: Nein. Mit meiner Entscheidung, im Jahre 1990 das Amt der Thüringer Kultusministerin zu übernehmen, ging eine sehr persönliche Entscheidung einher – die klare Trennung zwischen dem kirchlichen und dem politischen Amt. Aus diesem Grund habe ich zeitnah das Gespräch mit der Evangelischen Kirche gesucht mit der Bitte, mein Amt auf unbestimmte Zeit ruhen lassen zu dürfen. Ein Wunsch, dem entsprochen worden ist. Seither bin ich in meiner Tätigkeit als Pastorin beurlaubt. Wenn ich heute von der Kanzel zu den Menschen spreche, dann nur ausnahmsweise und zu besonderen Anlässen wie beispielsweise im Rahmen der Andachtsreihe „Eine gute halbe Stunde. Worte zur Bergpredigt“ in der Dresdener Frauenkirche als Einstimmung auf den Evangelischen Kirchentag 2011.

Ist das Pfarramt eigentlich eine gute Vorbereitung für politisches Handeln?

Lieberknecht: Als ich nach dem Abitur 1976 mein Studium der Theologie an der Friedrich-Schiller-Universität aufgenommen habe, war der Gedanke, das erworbene Wissen in Theorie und Praxis eines Tages für die Wahrnehmung eines politischen Amtes zu nutzen, praktisch nicht existent. Die friedliche Revolution 1989/90 wurde für mich – wie für Millionen andere Menschen – zum ganz persönlichen Schicksal. In meinem Fall eines, das mich zur Politik geführt hat. Allerdings besteht zwischen Predigt und politischer Rede ein wichtiger Unterschied. Das Fundament der Predigt ist die Bibel. Insofern ist Gegenstand der Predigt, die Auslegung der Heiligen Schrift. Der politischen Rede liegt hingegen ein eigenes politisches Konzept zugrunde, das in der Verantwortung des Redners liegt. Was beide Ämter für mich verbindet und somit auch voneinander partizipieren lässt, ist die Hinwendung zum Menschen – das christliche Menschenbild.

Christine Lieberknecht. Foto: dpa/Robert Schlesinger.

Das christliche Menschenbild steht im Zentrum der Programmatik Ihrer Partei, der CDU. Gerät dieses nicht schon einmal in Konflikt mit politischen Entscheidungen?

Lieberknecht: Nein, ganz im Gegenteil! Das christliche Menschenbild ist und bleibt die feste Basis des politischen Handelns der CDU. Natürlich bedürfen vor diesem Hintergrund nicht wenige politische Entscheidungen einer besonderen Diskussion und Abwägung. Denken Sie nur an die rege und kontroverse Diskussion in den zurückliegenden beiden Jahren zur sogenannten Präimplantationsdiagnostik. Gerade hier hat sich die CDU mit ihrer Entscheidung klar zum christlichen Menschenbild bekannt. Es gehört zu den herausfordernsten Aufgaben der Union, in einer Welt, in der fast alles möglich scheint, bestimmte Grundwerte zu bewahren und zum unumstößlichen Maßstab wichtiger Entscheidungen zu erheben. Das gibt Orientierung und Halt in einer Zeit der Globalisierung und einer schier „grenzenlosen“ Welt.

Zwei Drittel der Menschen in Ihrem Freistaat - wenn nicht noch mehr – gehören keiner Kirche (mehr) an – trotzdem steht eine Pfarrerin an der Spitze der Landesregierung. Ist der Osten Deutschlands doch nicht so heidnisch wie allgemein angenommen wird?

Lieberknecht: Den Gegenstand Ihrer Frage betrachtend, scheint Thüringen mit Blick auf die Bundesebene ja im Trend zu liegen.(lacht) Aber Spaß beiseite. Ich denke, dass das eine mit dem anderen wenig zu tun hat. In erster Linie kommt es auf den Menschen an, der von sich behauptet, Führung für ein Land übernehmen zu können. Wenn dieser Mann oder diese Frau für Solidität, Verlässlichkeit und Kompetenz steht, dann stehen auch die Chancen gut, auf Dauer das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger zu genießen. Es geht hier also in erster Linie nicht um die Profession, sondern um den Menschen an sich, der um das Vertrauen der Wählerinnen und Wähler wirbt. Zwei Diktaturen auf dem Gebiet der ehemaligen DDR mögen in Zahlen ausgedrückt eine Gesellschaft mit geringerer konfessioneller Bindung hinterlassen haben als im Vergleich zur „alten Bundesrepublik“. Aber das Bedürfnis der Menschen, an etwas zu Glauben und jemandem zu Vertrauen, ist auf beiden Seiten doch gleich groß.

Wie gestaltet sich das Verhältnis Ihrer Regierung zur Evangelischen Kirche Mitteldeutschlands, die ja auch von einer Frau geleistet wird?

Lieberknecht: Sehr partnerschaftlich. Es finden in regelmäßigen Abständen Gespräche zwischen der Thüringer Landesregierung und der Evangelischen Kirche Mitteldeutschlands zu aktuellen gesellschaftspolitischen Themen statt. Der Gedankenaustausch dient der beiderseitigen Arbeit. Gegenseitige Kritik erfolgt konstruktiv und ohne Anspruch auf absolute Wahrheit, die es bekanntlich ja auch nicht gibt.

Mitte September 2011 haben Sie Papst Benedikt XVI. im Freistaat Thüringen willkommen geheißen. Hat er Sie auf Ihr früheres Amt als Pfarrerin angesprochen und welche Bedeutung hat dieser Besuch für Thüringen?

"Es gehört zu den besonderen Erlebnissen

in meinem Leben, dass ich Papst Benedikt XVI.

persönlich kennenlernen durfte"

 

Lieberknecht: Obwohl das Ereignis nun schon einige Monate zurückliegt, wirkt es immer noch nach. Der Besuch von Papst Benedikt XVI. war ein großer Moment für die katholischen Christen in unserem Land, aber natürlich auch für die Thüringerinnen und Thüringer insgesamt. Es war der erste Besuch eines Papstes auf dem Gebiet der fünf jungen Länder und der erste Besuch eines Papstes in Thüringen seit über 500 Jahren. Das zeigt nicht nur die Dimension des Ereignisses, sondern ist auch Ausdruck der großen Anerkennung, die Papst Benedikt XVI. den Christen der ehemaligen DDR entgegengebracht hat.
Es gehört ganz gewiss zu den besonders beeindruckenden Erlebnissen in meinem Leben, dass ich Papst Benedikt XVI. auch ganz persönlich kennenlernen durfte. In einem Vier-Augen-Gespräch ergab sich dabei die Möglichkeit des gedanklichen Austausches über meine Arbeit als Theologin. Es war ein unvergesslicher Tag.

Geht eine Theologin im hohen Regierungsamt mit dem politischen Gegner anders um als ein Nichttheologe?

Lieberknecht: Diese Frage müssen Sie dem außen stehenden Betrachter stellen. Ich kann nur für mich und meinen Politikstil sprechen, der auf einem konstruktiven Miteinander beruht. Zudem gefällt mir das Wort Gegner nicht. Grundsätzlich muss alle demokratischen Parteien der Wille zu einer guten Politik für das Land und für die Menschen einen. Der Weg dorthin ist schließlich das die Parteien und Fraktionen trennende Element. Hier kommt es auf die Programmatik an. Es darf einer Partei nie nur darum gehen, andere demokratische Mitstreiter zu bekämpfen, sondern es schlicht und einfach besser zu machen. Dafür sind wir als Volksvertreter gewählt. Darauf haben die Menschen in diesem Land einen berechtigten Anspruch.

Welche gesellschaftlichen Themen liegen Ihnen als ehemalige Pfarrerin besonders am Herzen?

Lieberknecht: Als Thüringer Ministerpräsidentin stehe ich in Verantwortung für jeden politischen Bereich. Darauf verpflichtet mich schon die Richtlinienkompetenz. Auch wenn ich länger darüber nachdenke, fällt mir kein politisches Themengebiet ein, das nicht auf irgendeine Art und Weise mein tieferes Interesse weckt. Direkt auf die gesellschaftlichen Themen der Zeit angesprochen, mache ich mir derzeit intensiv Gedanken über die Frage des „gesellschaftlichen Zusammenhalts“. Hier vollzieht sich seit einigen Jahren ein tiefgreifender Wandel. Auch hier ist Politik gefordert, eine Antwort zu geben. Eine Antwort, die sich nicht auf das politische Tagesgeschäft beschränkt, sondern umfassender nach einer Lösung sucht. Die Frage des „gesellschaftlichen Zusammenhalts“ hätte mich ganz sicher auch als Pastorin umgetrieben und zu einer gedanklichen Auseinandersetzung bewegt.

Sie sind stellvertretende Bundesvorsitzende des Evangelischen Arbeitskreises (EAK) der CDU/CSU und stellvertretendes Mitglied der Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland. Haben beide Ämter eine Bedeutung für Ihr politisches Handeln?

"Die Mitarbeit beim Evangelischen Arbeitskreis

der Union sowie in der EKD-Synode bereichert

mich und meine meine Arbeit sehr"

 

Lieberknecht: Natürlich, denn genau hier findet die tiefgründige und intensive Auseinandersetzung mit politischen Themen vor dem konfessionellen Hintergrund unserer Partei, der CDU, statt. Hier werden Papiere, Anträge und Standpunkte entwickelt, die direkt in die Arbeit der Union einfließen. Ich mag die dortige Atmosphäre einer "Denkwerkstatt". Die Mitarbeit beim EAK, aber auch der Synode bereichert mich und meine Arbeit sehr. Aus diesem Grund stehe ich für beide Ämtern seit vielen Jahren zur Verfügung. Ein Höhepunkt in diesem Jahr wird dabei ganz gewiss die große Jubiläumsveranstaltung „60 Jahre EAK“.

Welche Bedeutung haben die berühmten Lutherstätten Mansfeld, Eisenach, Wartburg und Erfurt für Ihr Land?

Lieberknecht: Wir befinden uns ja seit dem Jahr 2008 in der sogenannten Lutherdekade, die den spirituellen Weg zum Reformationsjubiläum 2017 darstellt. In diesem Jahr lautet das Motto: „Reformation und Musik“. Ein sehr die Sinne anregendes Themenjahr wirft hier seine Schatten in Thüringen und Sachsen-Anhalt voraus. Beide Länder pflegen mehrmals im Jahr einen regen Gedanken– und Informationsaustausch zu den Themenjahren, aber vor allen Dingen auch zum großen Gedenkjahr „500 Jahre Reformation“ 2017. In diesem Zusammenhang sind die von Ihnen aufgezählten Lutherstätten, also die Orte seines Denkens und Wirkens, von immenser Bedeutung. Auch wenn die Wartburg schon heute als UNESCO-Weltkulturerbe weithin bekannt ist, 2017 wird die Burg über den Dächern Eisenachs weltweit in aller Munde sein. Thüringen ist in diesem Jahrzehnt an religiösen Ereignissen von Weltrang reich beschenkt. Der Papstbesuch 2011 und das Reformations-Jubiläum 2017 sind nur zwei dieser großen Ereignisse. Aber allein schon diese beiden zeigen, welch kulturell reich gesegnetes Land ich regieren darf.


Chistine Lieberknecht (53) ist die erste Ministerpräsidentin der CDU in Deutschland und gegenwärtig eine von dreien in der Bundesrepublik Deutschland. Die gebürtige Weimarerin studierte in Jena Theologie, war anschließend Gemeindepfarrerin und trat 1981 in die CDU-Ost ein. 1989 unterschrieb sie den "Weimarer Brief", der die Lösung der CDU von der SED forderte. Nach der Wende machte sie schnell Karriere in der CDU als Kultusministerin, Bundesratsministerin, Landtagspräsidentin, Sozialministerin und CDU-Fraktionsvorsitzende im Thüringer Landtag. Nach dem Rücktritt von Ministerpräsident Dieter Althaus (CDU) wurde sie 2009 im dritten Wahlgang zur Ministerpräsidentin gewählt. Sie leitet eine Große Koalition aus CDU und SPD.

K. Rüdiger Durth ist Journalist und Theologe. Er arbeitet in Bonn und Berlin ist schreibt regelmäßig für evangelisch.de.