Koran-Proteste in Afghanistan weiten sich aus
Die Unruhen wegen der Koranschändung in Afghanistan fordern immer mehr Opfer. Nach den Freitagsgebeten droht neue Gewalt. Obamas Entschuldigung dürfte die aufgebrachten Afghanen kaum besänftigen. Die Taliban riefen zum Töten von Ausländern auf, Politiker mahnten zur Ruhe.

Die blutigen Proteste in Afghanistan haben trotz beschwichtigender Worte von Präsident Hamit Karsai zugenommen. Am Donnerstag demonstrierten Tausende Menschen am dritten Tag in Folge gegen die Koran-Verbrennung durch US-Soldaten, wie die afghanische Nachrichtenagentur PAN berichtete. Dabei seien mindestens 17 Menschen getötet worden - darunter zwei US-Soldaten. Die aufständischen Taliban forderten die Bevölkerung zu Racheakten auf. US-Präsident Barack Obama entschuldigte sich. Außenminister Guido Westerwelle (FDP) rief die Afghanen zu Gewaltlosigkeit auf.

Neue Gewalt befürchtet - Polizei in Alarmbereitschaft

Aus Angst vor neuen Ausschreitungen nach dem Freitagsgebet wegen der Koranverbrennung durch US-Soldaten ist die Polizei in Afghanistan in Alarmbereitschaft. "Die Polizei ergreift im ganzen Land Maßnahmen", sagte der Sprecher des Innenministeriums, Sedik Sedikki. Es habe bisher zwei kleinere Demonstrationen gegeben. Das sei aber "kein Grund zur Beunruhigung".

Die Bundeswehr zog sich wegen der gewaltsamen Proteste vorzeitig komplett aus ihrem Stützpunkt Talokan zurück. Allerdings sollte das Lager im März ohnehin geräumt werden. Angesichts eines Auflaufs von rund 300 Demonstranten unmittelbar vor dem Stützpunkt habe der Kommandeur der Nordregion am Donnerstag die mit der Räumung beschäftigten Kräfte ins rund 70 Kilometer entfernte größere Feldlager Kundus abrücken lassen, teilte die Bundeswehr mit. Ein Sprecher des Einsatzführungskommandos sagte, die rund 50 Soldaten hätten sämtliche Fahrzeuge mitgenommen.

Ein ZDF-Reporter berichtete, das Lager sei mit Steinen beworfen worden. Der relativ kleine Komplex ist schwierig zu sichern, weil er mitten in der 200.000-Einwohner-Stadt liegt.

Obama entschuldigt sich

Obama schrieb in einem Brief an Karsai, er wolle sein tiefes Bedauern für den Vorfall äußern, wie PAN unter Berufung auf einen Sprecher des afghanischen Präsidenten berichtete. Die Verbrennung sei unbeabsichtigt erfolgt. Die US-Regierung werde alles tun, damit sich ein solches Ereignis nicht wiederhole und um die Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen, sicherte Obama Karsai zu. Es werde eine Untersuchung eingeleitet.

Westerwelle sagte in London, er bedauere zutiefst, dass es erneut Todesopfer gab. Die Bundesregierung sei bestürzt, dass durch die Verbrennung religiöser Texte die Gefühle vieler Menschen in Afghanistan verletzt wurden. "Deutschland und alle unsere Vertreter in Afghanistan empfinden tiefen Respekt für den Islam, seine Anhänger und seine Schriften", versicherte der Außenminister.

Präsident Karsai rief das Parlament zu einer Eilsitzung zusammen, um über die Lage im Land zu beraten. Gleichzeitig warb er für Ruhe und Besonnenheit. Doch die Worte des Regierungschefs beschwichtigten den Zorn über die Koran-Verbrennung kaum: Volksvertreter riefen während der Sitzung zum Dschihad, zum Gotteskrieg gegen das amerikanische Militär auf. Weltliche Afghanen befürchten, dass die Proteste am Freitag nach dem traditionellen Gebet in den Moscheen noch gewalttätiger werden könnten.

Der Kommandeur der Internationalen Schutztruppe, US-General John Allen, rief zur Ruhe auf. "Ich appelliere an jeden im ganzen Land - Isaf-Angehörige und Afghanen -, Geduld und Zurückhaltung zu üben." Die Isaf teilte mit, die gemeinsame Untersuchung mit den afghanischen Behörden zur Verbrennung von Koran-Exemplaren auf der US-Basis Bagram dauere an. Noch stehe kein Datum für ihren Abschluss fest.

Taliban fordern Rache für Koranverbrennung

Anscheinend aus Wut über die Koranverbrennungen erschoss ein afghanischer Soldat zwei NATO-Soldaten, wie die Internationale Schutztruppe ISAF mitteilte. Laut unbestätigten Berichten waren sie US-Amerikaner. Taliban-Sprecher Zabihullah Mujahid rief die Afghanen auf, Westler zu "töten, zu verprügeln und gefangen zu nehmen, um ihnen eine Lehre zu erteilen, nie wieder den heiligen Koran zu entweihen".

In einer Taliban-Mitteilung hieß es unter Verweis auf den Propheten Mohammed, wer einen Ungläubigen töte, werde nicht ins Höllenfeuer kommen. "Das bedeutet, dass man sich durch das Töten eines kriegführenden Ungläubigen einen Platz im Paradies verdient." Außerdem würden die Täter "vom Volk während ihres Lebens und nach ihrem Tod als Helden verehrt und erinnert werden".

Zwei afghanische Untersuchungskommissionen mit Regierungsvertretern, Geistlichen und Abgeordneten verurteilten die "beleidigende und schändliche Tat der Koranverbrennung". Sie appellierten in einer gemeinsamen Erklärung aber auch an die Afghanen, Zurückhaltung zu üben.

Die Proteste hatten begonnen, nachdem Afghanen angekohlte Reste des Korans auf dem US-Stützpunkt Bagram etwa 60 Kilometer von Kabul gefunden hatten. Der Koran ist im Islam heilig. Das Buch zu beschädigen, gilt als eines der schlimmsten Vergehen. Der US-Kommandeur Allen sagte, die Exemplare des Korans seien "irrtümlich" in eine Verbrennungsanlage geworfen worden.

epd/dpa