Um die Familienpolitik der Bundesregierung ist es sehr ruhig geworden. Fehlt ihr die Kraft oder die Lobby, um sich auf dem Feld der anderen politischen Themen zu behaupten?
Hermann Kues: In der Tat stehen momentan andere Themen wie Europa und die Schuldenkrise im Fokus der Öffentlichkeit. Doch auch im Familienbereich läuft weiterhin eine ganze Menge. Gerade erst haben wir das Bundeskinderschutzgesetz durchgesetzt. Ein weiteres Beispiel ist die Familienpflegezeit, die Anfang des Jahres in Kraft getreten ist und es Berufstätigen ermöglicht, sich um ihre Angehörigen zu kümmern, ohne ihre Arbeit aufgeben zu müssen. Wir haben also viel geleistet, allerdings haben wir auch noch einiges vor uns. Das Wichtigste ist sicher, dass wir die Kinderbetreuung wie geplant bis 2013 in ganz Deutschland bedarfsgerecht ausbauen. Da ist für die Länder und Kommunen noch viel zu tun, da müssen wir darauf achten, dass das klappt. Deshalb sage ich auch ganz klar: Am Rechtsanspruch der Eltern auf einen Krippenplatz ab 2013 wird nicht gerüttelt.
Hermann Kues. Foto: privat
Die Pflege kranker und alter Angehöriger wird zu einem immer größeren Problem für die Familien. Warum wird das Thema weithin dem Gesundheitsminister überlassen?
Kues: Der Gesundheitsminister ist nun einmal primär für die Pflegeversicherung zuständig. Wir im Familienministerium befassen uns mit dem Thema Alter und Pflege in einer ganzheitlichen Weise, beispielsweise mit unserer Initiative für eine Familienpflegezeit. Die Berufstätigen können sich nun um ihre Angehörigen kümmern, ohne aus dem Beruf ausscheren zu müssen und haben ein- wenn auch reduziertes – Einkommen. Das ist ein völlig neuer Ansatz. Das Gesetz zur Familienpflegezeit ist ja gerade erst in Kraft getreten, aber das Interesse ist hoch und ich bin sicher, dass es ein Erfolg wird. Auch die Themen Demenz und Wohnen im Alter spielen bei uns im Ministerium eine große Rolle.
Sie haben darauf hingewiesen, dass am Rechtsanspruch auf einen Krippenplatz ab 2013 festgehalten wird. Aber nach wie vor sind vor allem in den alten Bundesländern fehlende Krippen- und Kitaplätze für berufstätige Familien eine große Belastung…
Kues: …wobei im Bereich der Kinderbetreuung in den vergangenen Jahren eine Menge passiert ist, vor allem eben auch in den alten Bundesländern. An diesem Erfolg haben auch die Kirchen ihren Anteil. Sie haben in ihren Einrichtungen den Ausbau der Betreuungsplätze forciert. Wir haben also schon eine Menge erreicht. Doch mancherorts stockt der Ausbau. Hier sind die Länder und Kommunen in der Pflicht, ihren Teil zu tun. Das ist übrigens in ihrem ureigenen Interesse – ab 2013 haben die Eltern die Möglichkeit, einen Betreuungsplatz für ihr Kind vor Gericht einzuklagen. Das steht so im Gesetz und daran werden wir auch festhalten.
Ruhig ist es auch um die sogenannten Mehrgenerationenhäuser geworden, die in de Bevölkerung sehr populär sind. Fehlt es an den notwendigen finanziellen Mitteln?
Kues: Die entspannte Berichterstattung über die Mehrgenerationenhäuser in den Medien zeigt, dass diese vielerorts ein fester Bestandteil des örtlichen Familienangebots geworden ist. Bei Besuchen bin ich immer wieder erstaunt, was in den Häusern an Initiativen und Projekten angestoßen wird. Hier bildet sich auch Bürgergesellschaft ab. Nachdem die erste Förderperiode Ende 2011 ausgelaufen ist, haben wir ein Anschlussprogramm aufgelegt, so dass auch in den nächsten Jahren 450 Mehrgenerationenhäuser in ganz Deutschland ihre Arbeit als Treff- und Anlaufpunkt und Zentren für Familiendienstleistungen fortsetzen können.
"Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf
ist sicherlich eine Schlüsselfrage
für erfolgreiche Familienpolitik"
Die Vereinbarkeit von Beruf und Familie steht seit Jahren auf der politischen Agenda. Was muss getan werden, um auf diesem Gebiet wirklich voranzukommen?
Kues: Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf ist sicherlich eine Schlüsselfrage für erfolgreiche Familienpolitik. Hier gibt es in vielen Unternehmen noch immer Nachholbedarf. Doch ich bin optimistisch, denn in der jüngeren Berufsgeneration hat sich da schon eine ganze Menge getan im Hinblick auf die konkrete Vereinbarkeit. Dazu haben auch familienpolitische Entscheidungen beigetragen. Ganz wichtig ist natürlich das Elterngeld, das wir auch nach Möglichkeit weiter entwickeln wollen, Dazu kommt der bedarfsgerechte Ausbau der Kinderbetreuung bis 2013, der sicherstellen wird, dass die Kinder gut und sicher betreut werden und die Eltern die Möglichkeit haben, ihrer Arbeit nachzugehen. Und man muss hier auch die bereits erwähnte Familienpflegezeit nennen, denn Familie besteht ja nicht nur aus jungen Eltern mit kleinen Kindern.
Wie sieht Ihr familienpolitisches Konzept für eine immer älter werdende Gesellschaft aus?
Kues: Die Gestaltung der alternden Gesellschaft ist eine gesellschaftspolitische Aufgabe allererster Ordnung. Sie braucht pragmatische Lösungen in allen Bereichen. Sie braucht aber auch einen Einstellungswandel. Die letzten beiden Altersberichte der Bundesregierung markieren den Abschied von einem defizitären Altenbild und betonen die Potentiale des Alters. Älterwerden wird in Zukunft bedeuten: Aktiv sein, eingebunden sein, solange es die körperlichen und geistigen Kräfte erlauben. Die Formen werden vielfältig sein, von der längeren Erwerbsarbeit über das Senior-Expertentum bis hin zu Freiwilligendiensten als Familienpaten und Lesehelfern. Wir brauchen ein Bewusstsein, dass nicht die Verpflichtung im Vordergrund steht, sondern die Befähigung dazu, sich selbst, sein Lebens- und Erfahrungswissen als einen Schatz einzubringen, auf den die zukünftige Gesellschaft nicht verzichten kann.
"Ich kann mir nicht vorstellen, dass es in Deutschland
einzig eine finanzielle Frage ist, ob
man sich für Kinder entscheidet oder nicht"
Stimmt es eigentlich, dass die eigentlichen familienpolitischen Probleme nicht so sehr finanzieller, sondern eher struktureller Natur sind?
Kues: An dieser Frage ist etwas dran. Ich kann mir nicht vorstellen, dass es in Deutschland einzig eine finanzielle Frage ist, ob man sich für Kinder entscheidet oder nicht. Hier spielen Werte und Einstellungen eine große Rolle. Wenn wir es nicht schaffen, Unternehmen von Familienfreundlichkeit zu überzeugen, dann wird in Deutschland eine Trendumkehr bei den Geburten ausbleiben. Das Bundesfamilienministerium verfolgt ja einen Dreiklang in der Familienpolitik: Geld, Zeit und Infrastruktur. In allen drei Bereichen sind wir große Schritte vorangekommen. Das Elterngeld unterstützt junge Eltern finanziell und mit der Möglichkeit, sich um das Neugeborene zu kümmern, ohne sich Gedanken um Beruf und Geld machen zu müssen. Bei der Infrastruktur, die sicher mindestens so wichtig ist, sind wir mit dem Ausbau der Kinderbetreuung dabei, dieses Problem größtenteils zu lösen.
Kaum ein Land gibt soviel Geld für die Familien aus wie Deutschland, aber in keinem anderen Land ist die Kritik an der Familienpolitik des Staates so groß. Haben Sie eine Erklärung für diesen Widersprich?
Kues: Familie ist ein hoch emotionales Thema, bei dem sich jeder auch persönlich angesprochen fühlt. Gleichzeitig haben wir viele Jahrzehnte ideologisch Debatten darüber geführt, wie Familie zu funktionieren hat. Das Ergebnis: Es gibt zahlreiche einzelne Maßnahmen, aber noch ist kein ganzheitliches Förderkonzept von Familie umgesetzt. Die zahlreichen familienpolitischen Debatten der letzten Jahre sind deshalb positiv. Denn es ändern sich auch Einstellungen in Unternehmen, Kommunen, Einrichtungen gegenüber Familien, Im übrigen habe ich den Eindruck, dass die neuen Wege in der Familienpolitik breit akzeptiert sind. Nicht zuletzt auch bei den Gruppen, die anfangs noch sehr skeptisch waren.
"Kirche kann ein ganz
entscheidender Stabilitätsfaktor
in einer Partnerschaft sein"
Was ist eigentlich für Sie Familie angesichts der steigenden Zahl von nicht verheirateten Lebenspartnern mit Kindern?
Kues: Familie ist das tägliche und enge Miteinander der Generationen. Dass heute nicht mehr alle Eltern verheiratet sind, mag der eine oder andere bedauern. Es ist auch eine Aufgabe von Kirchen, für die Sinnhaftigkeit von Familie und auch für die Ehe zu werben. Sie kann ein ganz entscheidender Stabilitätsfaktor in einer Partnerschaft sein. Entscheidend ist, dass Kinder in guten, liebevollen Verhältnissen aufwachsen, egal ob mit oder ohne Trauschein.
Hat die traditionelle Familie eigentlich noch Zukunft?
Kues: Die klassische Familie – Mama, Papa und Kinder – bleibt lebendig. Davon bin ich überzeugt. Es wird oft übersehen, dass 80 Prozent der Kinder unter 18 Jahren bei ihren beiden leiblichen Eltern aufwachsen. Gleichzeitig ist Familie insgesamt bunter und vielfältiger geworden. Doch Familie war immer einem Wandel unterworfen. Beispielsweise gab es auch nach dem Zweiten Weltkrieg viele alleinerziehende Mütter, da viele Väter nicht aus dem Krieg zurückgekehrt sind. Wir werden also immer wieder Antworten auf veränderte gesellschaftliche Bedingungen finden müssen. Wahlfreiheit heißt für mich, dass jeder sein Familienleben so gestalten kann, wie er es will, beispielsweise ob beide Elternteile erwerbstätig sind oder ob sich die Partner bei der Familien- und Erwerbsarbeit abwechseln.
Welche familienpolitischen Erwartungen haben Sie an die Kirchen?
Kues: Kirchen können für ein Leben mit Kindern werben. Sie müssen jungen Menschen sagen: Du kannst es schaffen und wir werden dir auch helfen, beispielsweise mit den vielen Einrichtungen der Diakonie. Es hilft nicht, lediglich Erwartungen zu äußern, wie eine ideale Familie zu sein hat, ohne praktische Hilfestellung zu geben. Kirche kann also für die Sinnhaftigkeit von Familie auch von Ehe werben. Und ich bin mir sicher, dass eine Kirche, die sich für Familien einsetzt, auch im Hinblick auf religiöse Fragen neugierig macht.
Hermann Kues (CDU), Diplomvolkswirt, vertritt seit 1994 den Wahlkreis Mittelems im Deutschen Bundestag. Seit 2005 ist er Parlamentarischer Staatssekretär bei der Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend. Kues ist verheiratet und Vater von drei Kindern.
K. Rüdiger Durth, Journalist und Theologe in Bonn und Berlin, schreibt für evangelisch.de.