Medienpreis für umstrittenen Pfarrer Mitri Raheb
Dem Pfarrer der Bethlehemer Weihnachtskirche, Mitri Raheb, wird an diesem Freitag von Alt-Bundespräsident Roman Herzog der Deutsche Medienpreis überreicht, der von dem privaten Marktanalysten Media Control seit 1992 ausgelobt wird. Damit soll das Engagement des palästinensischen Theologen, der in Marburg studierte, für Versöhnung zwischen Christen, Juden und Muslimen im Heiligen Land geehrt werden. Doch der Preisträger ist heftig umstritten.
22.02.2012
Von Thomas Klatt

Auch mit deutscher Unterstützung unterhalten die palästinensischen Christen Schulen und sozialdiakonische Einrichtungen. Doch nicht jeder ist von der Ehrung Mitri Rahebs beglückt. Sowohl die Deutsch-Israelische Gesellschaft als auch der Deutsche Koordinierungsrat der Gesellschaften für Christlich-jüdische Zusammenarbeit, immerhin Dachverband von gut 80 jüdisch-christlichen Dialoggruppen, protestieren vehement: Mitri Raheb sei alles andere als ein Friedensstifter, sondern ein ausgemachter Antisemit.

Zwar weist der Pfarrer der Bethlehemer Weihnachtskirche, Mitri Raheb, darauf hin, dass er den Deutschen Medienpreis für sein Bildungs- und Sozialengagement in Palästina erhält, aber er spricht im Interview auch bereitwillig über das sogenannte Kairos-Palästina-Dokument, das er 2009 mit auf den Weg gebracht hat. Mit Hilfe des Ökumenischen Rates der Kirchen wurde es in 13 Sprachen verbreitet. Rahebs Kritiker sagen, er sei der führende Kopf dieser neuen Form der Israelkritik.

Doch der Geistliche versteht die Aufregung im Vorfeld der Preisverleihung nicht: "Sehr viele Kirchen haben das Kairos-Dokument rezipiert. Unsere Webseite bekommt 25.000 Besucher im Monat. Es ist ein Dokument der Stimme der palästinensischen Christen, das versucht, den Konflikt durch Glaube, Liebe und Hoffnung aufzurollen", so der Theologe. Auch wenn die Christen lediglich zwei bis drei Prozent der palästinensischen Bevölkerung ausmachen, so appelliere das Papier doch an alle Parteien, endlich Frieden miteinander zu schließen.

"Palästinenser werden von den Juden unterdrückt"

"Dieses Dokument will den Alltag beschreiben. Wir befinden uns in einer Sackgasse - 17 Jahre Verhandlungen zwischen Israel und der PLO haben zu nichts geführt, die Situation ist schlimmer und der bewaffnete Kampf war auch nicht konstruktiv. Wir haben eine dritte Alternative, nämlich den gewaltlosen Widerstand", sagt Raheb, der seit letztem Jahr auch Präsident der Synode der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Jordanien und im Heiligen Land ist. Wie damals die südafrikanischen Christen in den 1980er Jahren gegen den Apartheidsstaat aufbegehrten und in ihrem Kairos-Papier zum Widerstand aufriefen, so gelte Ähnliches jetzt auch beim Kairos-Palästina-Dokument. Die Palästinenser würden von den Juden unterdrückt, und das müsse eben klar benannt werden.

"Die Westbank sieht aus wie ein Emmentaler Käse. Israel bekommt den Käse und die Palästinenser werden in die Löcher verdrängt. Bethlehem ist so ein Loch, von drei Seiten Mauer umgeben. Es sind 22 jüdische Siedlungen, die das ganze Land um Bethlehem herum enteignet haben. So kann unsere Stadt nicht mehr wachsen. Ich nenne das Besatzung und Siedlungsbau. Es gibt einen südafrikanischen islamischen Theologen, Farid Isaac: Als er Palästina besucht hat, sagte er, das ist schlimmer als Apartheid", bringt Raheb seine Haltung auf den Punkt.

Mitri Raheb schrieb zudem ein wohlwollendes Vorwort zum aktuellen Buch von Mark Bravermann mit dem Titel "Verhängnisvolle Scham. Israels Politik und das Schweigen der Kirchen". Darin wird Israel mit dem Regime in Südafrika verglichen. So wie die Buren sich als von Gott auserwähltes weißes Volk über die Schwarzen stellten, so würden es heute die Juden gegenüber den Palästinensern tun, schreibt Bravermann. Der Autor sei mit seinen Ansichten ein durchaus gern gesehener Gast in Bethlehem gewesen, schreibt Raheb in seinem Vorwort.

Schwarzweißdenken als Sackgasse

Ist Israel also ein Apartheid-Staat? Der Generalsekretär des Zentralrats der Juden in Deutschland, Stephan Kramer, wehrt sich gegen den Vergleich Israels mit dem Südafrika der Rassentrennung zwischen Schwarz und Weiß. In dem rbb-Radiofeature "Der Israel-Komplex - Das Schweigen der Kirchen zu Palästina", gesendet Mitte Dezember 2011, sagte er: "Es wird ja immer gerne der Apartheid-Schutzwall mit dem Zaun verglichen. Der Zaun wurde errichtet, um Terroristen aus dem israelischen Kernland fernzuhalten, oftmals auch zulasten der Palästinenser. Der oberste israelische Gerichtshof hat aber in vielen Fällen die israelische Regierung dazu verdonnert, diesen Zaun anders zu bauen", so Kramer. "Der Vergleich mit dem Apartheid-Staat ist also völlig deplatziert."

Auch der rheinische Landespfarrer für den christlich-jüdischen Dialog, Volker Haarmann findet den Vergleich Israels mit dem früheren Regime in Südafrika unangemessen, "weil es einen sehr komplexen Konflikt auf eine viel zu einfache Formel zu bringen versucht, in einer Schwarz-Weiß-Kategorie Täter und Opfer gegenüberstellt und Israel an den Pranger stellt". Israel werde in Mitri Rahebs Kairos-Papier einseitig als Aggressor und Besatzer verurteilt, Haarmann in dem rbb-Feature. Dem palästinensischen Widerstand werde geradezu Verständnis im Sinne einer Entschuldigung entgegengebracht.

"Kritik rechtsradikaler christlicher Zionisten"?

Von immer mehr deutschen Theologen werde diese Position aber zunehmend unkritischer aufgenommen, warnt wiederum Ricklef Münnich, evangelischer Präsident des Deutschen Koordinierungsrates der Gesellschaften für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit. Der Deutsche Koordinierungsrat bezeichnet die palästinensische Befreiungstheologie Rahebs als "geradezu antisemitisch". Mitri Raheb ersetze die biblische Verheißung Gottes an Israel durch Palästina. In seinen Predigten behaupte er sogar, Jesus sei Palästinenser und kein Jude gewesen.

Und was sagt der Kritisierte dazu? Mitri Raheb weist diese Vorwürfe bei aller Freundlichkeit seines Auftretens scharf zurück. "Das sind so rechtsradikale christliche Zionisten, die mir vieles vorwerfen, was gar nicht stimmt. Das sind Lügen. Diese Leute wollen keinen sachlichen Dialog führen, sondern die Menschen gegen mich aufhetzen, weil sie wissen, dass ich ein Ansehen in Deutschland genieße. Die Christen und die Gemeinden aus Deutschland sind bemüht, sich ein eigenes Bild vom Heiligen Land zu machen", weiß der palästinensische Pfarrer.

Mitri Raheb lobt, dass gerade die evangelischen Christen in Deutschland an der Sache der Palästinenser sehr interessiert seien. In Bethlehem versuchten sie etwa im evangelischen Bildungszentrum Talitha Kumi Frieden zu stiften. Raheb ist auch Gründer und Präsident der Dar al-Kalima Hochschule, die Diplome für Porzellan- und Glasgestaltung wie auch in moderner Kunst, Theater und Filmgestaltung vergibt. Versöhnung und Friedensbildung zwischen Juden, muslimischen und christlichen Palästinensern sei seine wichtigste Aufgabe, beteuert er.

Aufruf zum Boykott

Die Kirchen weltweit sollten sich aber endlich auch für die Sache seines Volkes einsetzen, fordert Mitri Raheb. Daher hofft der Pfarrer aus Bethlehem darauf, dass gerade die hiesigen Gemeinden die Sache der Palästinenser noch mehr unterstützen - und das bedeute für ihn Boykott. Nicht unbedingt ein Boykott Israels, aber von Produkten aus und Dienstleistungen in den jüdischen Siedlungsgebieten. Sein Argument: "Die jüdischen Siedlungen sind nach internationalem Recht illegal. Sollen deutsche Gruppen in Siedlungen gehen und dort übernachten? Da sagen wir, das ist illegal."

Mitri Raheb hat in Deutschland Theologie studiert. Er weiß um die Brisanz der Forderung: "Kauft nicht von Juden!", auch wenn er nur Produkte aus den Siedlungsgebieten meint. In den 1980er Jahren unterstützten viele evangelische Gemeinden den Aufruf "Kauft keine Früchte der Apartheid!", um das weiße Regime in Südafrika unter Druck zu setzen. Im Kairos-Palästina-Papier richtet sich der Boykottaufruf übrigens nicht nur gegen die Siedlungsgebiete, sondern gegen ganz Israel: "Deshalb fordern wir (…), ein System wirtschaftlicher Sanktionen und Boykottmaßnahmen gegen Israel einzuleiten." Dies könne ein "ernsthafter Schritt zur Verwirklichung eines gerechten und dauerhaften Friedens" sein.

Dass es nun in der evangelischen Kirche in Deutschland keine ähnliche Boykottbewegung gegen Israel oder jüdische Waren aus den Siedlungsgebieten gibt, hält zumindest der rheinische Pfarrer Volker Haarmann für richtig. Und er mahnt: "Warum gibt es keinen Aufschrei wie damals gegen Südafrika gegen Israel? Ganz einfach, weil Israel kein Apartheid-Staat ist und weil wir es viel zu einfach machen würden, wenn wir die Schuld nur auf die eine Seite schieben würden."


Thomas Klatt ist evangelischer Theologe und freier Journalist in Berlin.