Männliche Erzieher werden dringend gebraucht
Abschied von der Frauendomäne: Kitas suchen Strategien, um bei mehr Männern Interesse am Beruf des Erziehers zu wecken. Bis Ende 2013 läuft das Modellprogramm "Mehr Männer in Kitas", mitfinanziert vom Bundesfamilienministerium. Beteiligt sind 1.300 Kitas in 13 Bundesländern.
22.02.2012
Von Dirk Baas und Bettina Markmeyer

Er ist ein Mann, den viele gerne hätten. Doch so einen wie Alexander Stöhr (40) gibt es nur sehr selten. Er ist Sozialpädagoge und Erzieher und arbeitet in der Darmstädter Kita "Friedrich-Fröbel-Haus" - der einzige Mann unter acht Kolleginnen. Die Leiterin der evangelischen Einrichtung, Irene Mundanjohl, schätzt die Art, wie Stöhr mit den Kindern umgeht. Die, das verrät der Geräuschpegel, der durch die Bürotür dringt, mögen ihn ebenso. Längst hätte die Chefin einen zweiten Erzieher eingestellt. Aber: "Es ist keiner da."

Bundesfamilienministerin Kristina Schröder (CDU) wirbt bei Männern für den Erzieherberuf: "Der Beruf ist spannend und herausfordernd, und er bietet nicht nur Frauen, sondern gerade auch Jungen und Männern gute Beschäftigungsaussichten." Damit die Einrichtungen nicht länger männerfreie Zonen bleiben, hat sich Schröder  ein ambitioniertes Programm auf die Fahnen geschrieben: Mit der Initiative "Mehr Männer in Kitas" lässt sie bis Ende 2013 Strategien entwickeln, wie der Anteil männlicher Fachkräfte gesteigert werden kann. An 16 Modellvorhaben beteiligen sich 1.300 Kitas in 13 Bundesländern.

Erprobt werden etwa Schüler-Praktika, Schnuppertage zur Berufsfindung, der Einsatz von "Werbe-Erziehern", Mentoren-Programme für Erzieher oder Initiativen für aktive Väterarbeit. Langfristig soll all das dazu beitragen, das EU-Ziel von männlichen Erziehern in Kitas in Höhe von 20 Prozent zu erfüllen. 2010 lag der Wert hierzulande bei 2,7 Prozent.

"Wir wollen mehr Männer in den Beruf hereinholen"

Einer von zwei beteiligten Trägern in Hessen ist das Zentrum Bildung der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau (EKHN) in Darmstadt. Es koordiniert die Aktivitäten von 37 Kitas, die nicht nur mehr Erzieher finden wollen. Ziel ist auch, Väter, Großväter und ehrenamtlich aktive Männer "für das Lebens- und Arbeitsumfeld Kita zu begeistern".

[listbox:title=Mehr im Netz[Website der Koordinationsstelle Männer in Kitas##Website des ESF-Modellprogramms "Mehr Männer in Kitas"##Website des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend]]

In den Einrichtungen der EKHN waren 2009 gar nur zwei Prozent der Fachkräfte Männer. Der Handlungsdruck ist groß, auch, weil ab 2013 mit dem Rechtsanspruch auf einen Kita-Platz für unter Dreijährige der Personalbedarf noch deutlich steigen wird. "Schon heute ist es schwierig, im Rhein-Main-Gebiet Fachkräfte zu finden", berichtet Carmen Prasse, Referentin für Gleichstellung bei der EKHN, die das Projekt mit angeregt hat: "Wir wollen mehr Männer in den Beruf hereinholen."

Das habe vor allem pädagogische Gründe: "Kitas sind fast immer eine reine Frauendomäne." Den Kindern fehlten in der frühen Prägung männliche Vorbilder - auch, weil es immer mehr Alleinerziehende gibt. Prasse betont, dass sowohl Männer als auch Frauen in den Einrichtungen gebraucht werden: "Gemischte Teams sind optimal, dann erleben Kinder hautnah, wie die Geschlechter miteinander umgehen." Das sieht auch Ministerin Schröder so: "Es ist wichtig, dass Kinder gerade in diesem Alter sowohl weibliche als auch männliche Bezugspersonen haben, an denen sie sich orientieren können", sagte sie dem Evangelischen Pressedienst.

Anerkennung, bessere Bezahlung und Aufstiegsmöglichkeiten

Ingrid Sehrbrock, stellvertretenden DGB-Vorsitzende, bezweifelt, dass die Kampagne allein zum Ziel führt. "Eine dreijährige Strategieoffensive reicht längst nicht aus, um mehr Männer zu gewinnen." Der Erzieherberuf müsse attraktiver, das Berufsfeld aufgewertet, die Durchlässigkeit etwa zum Studium erhöht und die Bezahlung besser werden. "Die Frage nach einer angemessenen Vergütung ist sicher berechtigt, stellt sich aber nicht nur in Bezug auf die männlichen Fachkräfte", erklärte Bundesfamilienministerin Schröder.

In erster Linie solle die Berufswahl eine Frage der Eignung und Neigung sein, unterstrich die Ministerin. Männer wie Frauen sollten den Beruf ergreifen, weil er Spaß mache und Erfüllung biete. Schröder betonte zugleich, dass das Lohngefüge in der Kleinkindpädagogik angepasst werden müsse, "damit sich Fortbildung und Akademisierung für die Beschäftigten auch finanziell lohnen".

Sind erst einmal Erzieher in der Kita beschäftigt, heißt das nicht, dass sie lange bleiben. "Die durchschnittliche Verweildauer beträgt nur zwei Jahre", berichtet Christian Urbanik, Koordinator der Darmstädter Projektstelle "Mehr Männer für Kitas". Sie bietet jungen Männern im Beruf via Internet "Begleitung von Anfang an". Online-Mentoring heißt das Angebot, bei dem sich erfahrene Berufskollegen mit den Mentees austauschen, Konflikte besprechen oder etwa über die Rolle als Mann in der Kita nachdenken. "Das Angebot kommt gut an, doch muss es noch bekannter werden", sagt Urbanik.

Solche Hilfen braucht Alexander Stöhr nicht mehr. Er hat Beruf und Berufung gefunden. An Anerkennung von Kolleginnen und Eltern fehle es ihm nicht. "Für mich ist das ein Beruf wie jeder andere", sagt Stöhr. Er sieht sich als Teamarbeiter, der "alles macht, was die Kolleginnen auch machen". Dennoch sei sein Umgang mit den Kindern anders als der der Frauen: "Ich spreche die Kinder anders an und handele eben wie ein Mann."

epd