7 Wochen Ohne: Der Größenwahn des Machbaren
Höher, schneller, weiter, das liegt dem Menschen im Blut. Zurück ist keine Richtung, Aufgeben ist keine Option: Solche Sprüche hat jeder schon gehört. Aber wann ist es genug? Darf, ja, muss man mit dem Erreichten nicht auch mal zufrieden sein? Die Fastenaktion "Sieben Wochen ohne falschen Ehrgeiz" fordert uns auf, zu hinterfragen.
22.02.2012
Von Hanno Terbuyken

Dubai ist ein verrückter Ort. Schnee in der Wüste, Künstliche Halbinseln in Form von Palmen, die man vom Mond aus sehen kann, das Burj Al Arab, seines Zeichens das luxuriöseste Hotel der Welt, eine Skihalle in der Wüste und natürlich das Burj Kahlifa, das höchste Gebäude der Welt: Hier gibt es nichts, was es nicht gibt. Das Emirat steht dieser Tage beispielhaft dafür, dass "groß genug" nicht der Maßstab ist.

"Alles hier ist groß", kommentierte Brad Bird, Regisseur des Kinofilms "Mission Impossible 4", in einem Interview mit AP. Er schickte Tom Cruise auf eine Klettertour am Burj Khalifa, inszenierte eine Verfolgungsjagd in einem Sandsturm und drehte das Filmfinale in einem automatisierten Parkhaus.

Höher, schneller, weiter – das ist nicht nur das Motto von Hollywood. "Gut genug" geht gar nicht. In einer Welt, in der amerikanische Smartphones aus chinesischen Fabriken kommen, in der Wachstum von keiner Grenze mehr gehalten wird, darf außer Computerchips nichts kleiner werden. Die Autos werden größer (man schaue nur mal auf den VW Golf), die Züge werden schneller, die Schiffe fassen mehr Kreuzfahrer, die Flugzeuge mehr Passagiere.

Falscher Ehrgeiz kann Opfer fordern

Oft geht es nur um technische Machbarkeit. Warum baut VW mit seiner Luxuxmarke Bugatti den Supersportwagen Veyron? Weil VW-Chef Ferdinand Piech es wollte und weil die Ingenieure es konnten. Manchmal hat der Größenwahn natürlich eine Rechtfertigung. Mit der Titanic beispielsweise konnte die White-Star-Line mehr Passagiere über den Atlantik tragen als die Konkurrenz, ebenso wie Fluglinien heute mit dem Airbus A380 mehr Fluggäste transportieren können. Diese beiden klammern das 20. Jahrhundert ein: die Titanic wurde 1909 auf Kiel gelegt, der Bau des A380 begann im Jahr 2000.

Beide stehen für technische Innovation, die zugleich eine große Faszination ausübt. 1912 galt die Titanic als Ingenieurswunder, als unsinkbar, als die Zukunft der Passagierschifffahrt. Ausgestattet mit dem neuesten Luxus und dem absoluten Vertrauen der Reeder, Crew und Passagiere rammte das Wunderschiff am 14. April 1912 einen Eisberg und sank. 1.500 Menschen starben. Gottseidank hat der A380 bisher keinen solchen Unfall hingelegt. Dennoch gab und gibt es auch mit der fliegenden Wundermaschine Schwierigkeiten: Haarrisse in den Tragflächen, möglicherweise instabile Nieten am vorderen Rumpf. Kein Wunder, wenn da etwa 550 Tonnen Elektronik, Aluminium und Stahl einfach so in den Himmel gewuchtet werden.

Der Mensch hat den Impuls, Grenzen zu überwinden, weiter nach vorn zu gehen, auf dem Alten aufzubauen und es durch das Neue zu ersetzen. Aber manchmal ist es sinnvoller, auch mal zufrieden zu sein. Der Kapitän der Costa Concordia, des schwimmenden Ferientempels, der im Januar vor Italien sank, kann davon ein Liedchen singen: Er wollte noch näher am Festland vorbeifahren, übersah ein Riff und verlor sein Schiff. 17 Menschen starben, 15 weitere werden vermisst. Falscher Ehrgeiz kann auch Opfer fordern. Sich selbst oder andere.

Nicht ewig ausruhen, aber innehalten

Das Gefühl, immer noch mehr zu können, da geht noch was, Grenzen zu verschieben, vielleicht zu überwinden: dieses Gefühl ist menschlich. Aber es ist nicht immer der beste Ratgeber. Manchmal muss man innehalten, den eigenen Ehrgeiz überprüfen und sich selbst fragen: Wann tue ich etwas, nur weil ich es kann? Und ist das eigentlich sinnvoll, hält es meinen eigenen Maßstäben stand? Bin ich nicht gerade jetzt gut genug?

Die Fastenaktion "7 Wochen ohne falschen Ehrgeiz" gibt uns diese Zeit. Damit es uns nicht ergeht wie den Baumeistern von Babel, die auch nicht innehielten und am Ende von Gott die Quittung ihres unaufhörlichen Ehrgeizes ausgestellt bekamen, sollten wir sie nutzen.

Natürlich muss man sich Ziele setzen. Auf dem einmal Erreichten kann man sich nicht ewig ausruhen. Aber Innehalten ist erlaubt, sogar erwünscht. Mal fünfe gerade sein lassen, mal die eigenen Ansprüche hinterfragen, mal aufs Machbare schauen statt aufs Gewünschte: die Passionszeit ist eine gute Zeit dafür. "Reality check", die Idee mit der Wirklichkeit abgleichen, nennen das die Amerikaner.

In Dubai, dem verrückten Ort, hat sich diese Wirklichkeit schon zu Wort gemeldet und die Idee längst eingeholt. Vor der Küste Dubais liegen künstliche Halbinseln, drei Stück, geformt wie Palmen, von Menschenhand gemacht. Ein Abbild der Welt sollte folgen, "The World", eine Inselgruppe in Form einer Weltkarte, mit Ländern und Kontinenten. Die Palmen stehen. Aber seit einem Jahr wird an "The World" nicht mehr gebaut. Das Meer holt sich die Sandaufschüttungen langsam zurück. Der Größenwahn des Machbaren hat seine Grenze erreicht. Es ist genug.


Hanno Terbuyken ist stellvertretende Portalleitung von evangelisch.de. Falscher Ehrgeiz hat dazu geführt, dass er sich 2011 im Sommer beim Wandern im Spessart übernommen hat. 2012 wird's einen neuen Anlauf mit weniger Strecke geben. Das ist dann gut genug.