Muss Joachim Gauck jetzt "so schnell wie möglich seine persönlichen Verhältnisse ordnen?" Das fordert der CSU-Politiker Norbert Geis, und er meint: Scheiden lassen, heiraten, aber dalli. Als Jurist müsste Norbert Geis wissen, dass "ganz schnell" bei wichtigen amtlichen Vorgängen wie Heirat und Scheidung in Deutschland sowieso nicht geht. Das ist auch gut so. Aber hat er denn inhaltlich recht, der Herr Geis? Muss Gauck schnell heiraten?
Erstens – wer bitte ist Norbert Geis? Er ist nicht "die CSU", wie es bei einigen Medien fälschlicherweise heißt. "Die CSU" besteht aus vielen Menschen, die sich zurecht im Moment zurück halten mit Moralappellen, unter anderem weil sie – wie Seehofer – ebenfalls "unordentliche Verhältnisse" pflegten in der Vergangenheit. Auch die CSU ist eine Volkspartei, bei der das ganze pralle Leben vorkommt. Die Medien fragen aber gerne Herrn Geis, weil er das letzte Exemplar Politiker ist, der verlässlich jault, sobald die Themen Scheidung, Patchworkfamilie oder – Sodom und Gomorrha – Schwulenehe auftauchen. Es gibt Talkshow-Redaktionen, die lange suchen, um alle Positionen von liberal bis konservativ zu besetzen. Und wenn ihnen nichts mehr einfällt, und wenn der Sendetermin naht, dann gibt es immer einen, der sagt: Dann nehmen wir den Geis. Der sagt, was man von ihm dann hören will.
Fernbeziehung, Pendelei – das ganz normale Leben
Zweitens: Das mit den "ordentlichen Verhältnissen" ist so eine Sache. "Die neue Liebesunordnung" hieß schon in den 90ern ein wegweisendes Buch des französischen Philosophen Alain Finkielkraut. Und Frankreich ist in der Tat ein gutes Beispiel für ein Land, das bereits seit einigen Jahren mit Liebesunordnung an seiner Spitze lebt. Und überlebt. Sarkozy hat sich mitten im letzten Wahlkampf verliebt, Frau Bruni ist im Elysee Palast Mutter geworden. Die Ex-Gattin von Gegenkandidat Hollande ist jetzt seine parteiinterne Konkurrentin. Wird das französische Staatsoberhaupt deshalb von UNO-Konferenzen ausgeladen? Muss er, wenn er nach Warschau oder nach Islamabad fährt, seine zweite Gattin verstecken? Ach was, die Diplomatie ist schon mit ganz anderen Herausforderungen zurecht gekommen. Wir empfangen in Berlin ja auch Staatsgäste, die ihre tief verschleierte Gattin mitbringen. Dann wird Herr Gauck ja in Dubai auch mit einer nicht-verheirateten Frau auftreten dürfen.
Ach, wie schön. Unsere Regierenden leben jetzt so wie wir selber. Frau Merkel ist kinderlos und in zweiter Ehe verheiratet. Herr Westerwelle ist schwul. Herr Gauck hat eine offenbar patente, selbständige Karrierefrau an seiner Seite, Fernbeziehung, Pendelei – das ganz normale Leben. Warum er seine erste Ehe noch nicht aufgelöst hat? Wer von uns wollte ihm da rein reden. Dafür kann es viele Gründe geben, von Verantwortungsgefühl bis zu Versorgungsansprüchen.
Ich als Staatsbürgerin kann das gut aushalten, dass unsere Chefs mit den selben Themen zu tun haben wie ich. Ich fand eher peinlich, wie Wulff die Trennung von seiner ersten Frau so geschickt mit der BILD eingefädelt hat, dass kein böses Wort in der Zeitung stand. Und sein Privatdarlehen ewig weg gemauschelt hat. Mir wäre er hundertmal sympathischer gewesen, wenn er gesagt hätte: Ich hatte eine Scheidung zu verkraften, das hat weh getan. Und das war teuer. Und dazu habe ich Freunde gebraucht, die haben mir geholfen. Mit dieser Art von Unordnung wäre ich gut zurecht gekommen, so ist das Leben.
Also – wegen mir muss er nicht heiraten, der Gauck. Aber wenn er es denn doch tut, und bitte ganz aus freien Stücken und vielleicht sogar aus Liebe - dann kann es eine wirklich coole Party werden im Schloss Bellevue.
Ursula Ott ist Chefredakteurin von evangelisch.de