Falscher Ehrgeiz? "Mehr Gelassenheit tut allemal gut "
Am Aschermittwoch beginnt die evangelische Fastenaktion "7 Wochen Ohne". Das Motto in diesem Jahr: "7 Wochen Ohne falschen Ehrgeiz". Zum Auftakt haben sieben Leitende Geistliche aus evangelischen Landeskirchen für evangelisch.de aufgeschrieben, wann sie selbst schon einmal versucht waren, sich von falschem Ehrgeiz leiten zu lassen.
21.02.2012
Gesammelt von evangelisch.de

Markus Dröge: Wandertag

Markus Dröge ist Bischof der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz.

Dichter Nebel um mich herum. Links eine Felswand, recht der Abgrund. Vom schmalen Bergpfad vor mir sehe ich nur einen knappen Meter. Ängstlich taste ich mich vorwärts, setze Fuß vor Fuß, die Hände tastend an der Felswand. Meine Finger sind eiskalt, trotz der Handschuhe.

In meinem Kopf ist nur ein Gedanke: Hoffentlich hat dieser gefährliche Übergang bald ein Ende. Wir hatten die falsche Entscheidung getroffen, als das Wetter umschlug. Statt umzukehren, wollten wir unbedingt doch noch unser Tagesziel, die Hütte, erreichen. Einfach umdrehen? Kurz vor dem Ziel? Wir doch nicht!

Als ich Jahre später auf einer Bergwanderung einen schmalen, vereisten Pfad vor mir sah, rechts die Felswand, links der Abgrund, habe ich ohne Zögern kehrtgemacht. Es war mir egal, dass andere mutiger waren als ich. Vom falschen Ehrgeiz geheilt bin ich an einem idyllischen Bergbach entlang allein den Weg zurück ins Tal gelaufen. Es war ein wunderschöner Wandertag. (Foto: Jens Bösenberg)


Alfred Buß: Kindheitsträume

Alfred Buß ist Präses der Evangelischen Kirche von Westfalen.

Kindheitsträume haben Macht. Und stacheln den Ehrgeiz an. Mit 17 stand er bei Borussia Dortmund im Tor. Eike Immel. Gewann gegen die Bayern - in seinem ersten Spiel. Wurde Nationaltorwart in den 80er Jahren. Heute ist er hoch verschuldet.

Aus Dummheit, sagt er im Rückblick. In einem hessischen 600-Seelen-Dorf groß geworden, träumte er von schnellen Autos - einem Porsche - schon als Kind. Autos und Frauen wurden ihm zum Verhängnis, als er erfolgreich war.

Ich wäre gern Torwart geworden. War ich auch. Aber kein berühmter. Dafür reichte es nicht. Mit 30 war Schluss mit Träumen. Verdrehtes Sprunggelenk. Wadenbeinbruch. Alle Bänder gerissen. Ich hatte es den Jungen noch einmal zeigen wollen. Als Gemeindepfarrer in Unna.

Dort hatte - 400 Jahre zuvor - ein anderer Pfarrer gewirkt. Philipp Nicolai. Als scharfzüngiger Lutheraner sollte er die Reformierten aus der Stadt vertreiben. Das spornte ihn an. Sein Kindheitstraum: ein neuer Luther sein.

Kaum war er in Unna angekommen, brach die Pest aus. 1.200 Menschen starben. Philipp Nicolai wurde berühmt. Nicht als neuer Luther. Sondern durch die Königinnen der Choräle, die er während der Pest schrieb. Fast nebenbei: "Wie schön leuchtet der Morgenstern" und "Wachet auf, ruft uns die Stimme."

Gut, wenn falscher Ehrgeiz an Grenzen stößt. (Foto:Reinhard Elbracht)


Volker Jung: Wille gegen Vernunft

Dr. Volker Jung ist Kirchenpräsident der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau.

Im Sommer 2003 bin ich viel gelaufen, um mich auf den Berlin-Marathon Ende September vorzubereiten. Ende August war ich gut in Form. Dann bremste mich eine ärgerliche Entzündung. Mit einem Antibiotikum bekam ich die Erkrankung in den Griff. Eine Woche vor dem Marathon sagte mir der Arzt: "Sie können laufen, aber gut ist es nicht."

Ich bin gelaufen, ich habe den Marathon auch geschafft, längst nicht in der Zeit, die ich mir vorgenommen hatte, aber ich hatte es geschafft. Danach ging es mir nicht gut. Immer wieder bekam ich Schweißausbrüche. Ich brauchte ziemlich lange, um mich zu erholen. Bei einem Gespräch mit einem anderen Arzt, der selbst ein erfahrener Läufer ist, sagte der mir: "Du kannst froh sein, dass nicht mehr passiert ist. Das war falscher Ehrgeiz."

Im Nachhinein muss ich sagen: Eigentlich war mir das auch klar, aber hier war der Wille stärker als die Vernunft. Mittlerweile gab es hin und wieder Situationen, und zwar nicht nur beim Sport, in denen ich mich an den Marathon 2003 erinnert habe, um mich kritisch zu prüfen. (Foto:Rolf Oeser/EKHN)


Martin Hein: Keine halben Sachen?

Dr. Martin Hein ist Bischof der Evangelischen Kirche von Kurhessen-Waldeck.

Ich bin anspruchsvoll. Das ist so. Mir selbst gegenüber, aber auch gegenüber anderen. Deshalb versuche ich, das Bestmögliche zu erreichen. Halbe Sachen sind nicht so mein Ding.

Ist das Ehrgeiz? Für mich beginnt der Ehrgeiz problematisch zu werden, wenn sich alles nur noch um einen selbst dreht. Und gefährlich wird der Ehrgeiz, wenn ich andere dadurch beschädige. Dann ist er nichts anderes als purer Egoismus.

Es ist schwer, von sich selber zu sagen, ob man ehrgeizig ist oder nicht und wie das ankommt. Das mögen besser andere beurteilen. Und ich wünschte mir, sie würden es mir auch sagen.

Aber ich weiß: Mehr Gelassenheit tut allemal gut – nicht nur in der Passionszeit. (Foto:epd-bild/Andreas Fischer)


Ulrich Fischer: Gut genug

Dr. Ulrich Fischer ist Landesbischof der Evangelischen Kirche in Baden.

Es war ein schöner Herbsttag vor etwa 10 Jahren: Halbmarathon am Rhein, der erste Halbmarathon meines Lebens. Wochenlang hatte ich trainiert - manchmal gemeinsam mit meinem Schwiegersohn. Wir waren fit. Hatten uns ausgerechnet, mit welchem Tempo wir die Strecke angehen müssten. Der Wendepunkt war nach circa 50 Minuten erreicht. Ich war zufrieden. Mein Schwiegersohn nicht, er gab wenig später auf.

Also lief ich den Rückweg allein und spürte, dass ich mich mit dem Anfangstempo übernommen hatte. So erreichte ich das Ziel nach 1 Stunde 48 Minuten. Es wurde meine beste Halbmarathonzeit, aber erkauft um den Preis völliger Erschöpfung. Als meine Frau mich durchs Ziel laufen sah, erschrak sie. Ich muss kreidebleich ausgesehen haben. Es folgte ein familiäres Halbmarathon-Verbot, das erst nach einigen Jahren aufgehoben wurde.

Ich war nun weniger ehrgeizig; meinte nicht mehr mit all den Jüngeren auf der Strecke mithalten zu müssen. Heute laufe ich so, wie ich Lust habe, nicht so, wie ich meine laufen zu müssen. Und das ist gut genug, vor allem gut für die Gesundheit. (Foto: Ekiba)


Jochen Bohl: Zwischen Nutzen und Zerstörung

Jochen Bohl ist Landesbischof der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Sachsens.

Als Jugendlicher habe ich leidenschaftlich Fußball gespielt. Hätte man mich gefragt, worum es dabei geht, so hätte ich geantwortet "um den Sieg". Ich wollte gewinnen, auf gar keinen Fall verlieren und konnte es auch nicht, was gelegentlich zu Konflikten mit Schiedsrichtern führte. Nach dem Spiel war mir das dann peinlich – wie konnte ich mich nur so aufführen?

Später habe ich entdeckt, dass es noch um anderes und ebenfalls wichtiges ging: die Freude an der Bewegung und am Zusammenwirken in der Mannschaft, um gelungene Spielzüge und die Auseinandersetzung mit einem Gegner und dessen Willen.

Ehrgeiz wird gebraucht, weil er darauf gerichtet ist, etwas zu bewirken, die eigenen Begabungen und Stärken zu entfalten und sich am Gelingen freuen zu können. Im Sport habe ich aber auch gelernt, dass Ehrgeiz etwas Zerstörerisches in sich tragen kann.

Falscher Ehrgeiz verleitet zu einer Verkürzung der Sicht, man verliert zuerst die Mitmenschen aus dem Blick und dann sich selbst. Sieben Wochen den eigenen Ehrgeiz kritisch zu betrachten ist eine gute Übung und hilft, das Wichtige vom Unwichtigen zu unterscheiden. (Foto: epd-bild/Norbert Neetz)


Gothart Magaard: Da sein, wo Du nötig bist

Gothart Magaard ist Bischofsbevollmächtigter in der Bischofskanzlei Schleswig der Nordelbischen Evangelisch-Lutherischen Kirche.

"Bischofsbevollmächtigter"? Wort und Sache waren ohne Vorbild, vor gut zwei Jahren, als dann klar wurde: Die Arbeit an der Nordkirche fordert alle Kraft; unser Bischof kann nicht "nebenbei" auch noch seinen ausgedehnten Sprengel Schleswig und Holstein betreuen. So wurde der Bischofsbevollmächtigte mit Bischofsaufgaben für einige Jahre "erfunden".

Ich gebe zu: Mir stand diese Aufgabe sehr bevor. Eine große Verantwortung, eine große Herausforderung und natürlich kitzelte sie meinen Ehrgeiz. Wenn ein solches Vertrauen in mich gesetzt wird, dann will ich meine Sache auch gut machen!

Anfangs spürte ich manche Vorbehalte, so nach dem Motto: Wieso kommt denn nicht der "richtige" Bischof? Das erhöhte den Druck noch einmal mehr, stachelte mein Engagement noch weiter an. Also habe ich fast keinen Termin abgelehnt, fast keine Einladung abgesagt, mit Sorgen auf weiße Flecken im Kalender geschaut und dafür gesorgt, dass sie nicht weiß blieben... Ich denke, viele kennen das. Diese Phantasie von Kirchenleuten, wir müssten genauso "ubiquitär" sein wie der Herr unserer Kirche. Genauso unermüdlich wie der Riese Atlas bei den alten Griechen wenn schon nicht die Last der Welt, so doch die Last Kirche schultern und voranbringen. Falscher Ehrgeiz?! Es wurde zu viel. Irgendwann meldete sich mein Rücken. Ein Warnsignal.

Inzwischen weiß ich: Du musst nicht überall sein. Besser ist: Du bist da, wo Du nötig bist. Du musst nicht einem engen Terminplan hinterher hetzen. Besser ist: Du hast genügend Zeit, um auch gut zuhören zu können. Und so habe ich gelernt, zu Einladungen und Terminanfragen auch Nein zu sagen. Meine Mitarbeitenden und die Menschen, denen ich mit mehr Ruhe begegnen kann, danken es mir. Mein Leib und meine Seele auch. (Foto: dpa/Christian Charisius)


Mehr Informationen zur Fastenaktion "7 Wochen Ohne... falschen Ehrgeiz" gibt es auf der Webseite zur Fastenaktion.