Zumindest einen "Anti-Wulff" wollen nun viele. Nach dem kläglichen Bild, dass sein Vorgänger Christian Wulff in den letzten Tagen abgab, soll der Mann aus Rostock dem Amt des Bundespräsidenten neuen Glanz bescheren, der Nation Orientierung, dem Ausland wichtige Signale. "Der richtige Präsident" - so kommentierte "Bild" am Montag. Die Zeitung, die Wulffs Affären mit aufdeckte, hatte schon 2010 erhebliche Sympathien für den Pastor aus dem Osten erkennen lassen.
Unbequem sein soll er für viele besser nicht, aber genau dies ist zu erwarten. Denn Gauck hat durchaus Gefallen an der Rolle des Mahners: "Ich bin weder ein Prophet noch ein Weisheitslehrer", schreibt er, aber doch ein "Liebhaber der Freiheit". Die Euphorie, die seine erste Kandidatur gegen Wulff bei vielen noch begleitete, ist diesmal nicht so ausgeprägt. Denn besser als vor zwei Jahren wissen viele Deutschen jetzt, wofür der ehemalige DDR-Bürgerrechtler steht.
Er ist links, liberal und konservativ
Als überparteilicher Kandidat - selbst die Kanzlerin gab ihm am Ende ihre Unterstützung - hat Gauck es sicher leichter als es 2010 gewesen wäre, wenn er Mitte März in das Schloss Bellevue wechselt. Aber Rot und Grün werden schnell merken, dass er zwar ihr Kandidat war - vielen ihrer Positionen aber keinesfalls nahesteht. Als "linken liberalen Konservativen" soll er sich selbst einmal bezeichnet haben. Das Hauptwort heißt Konservativer.
Das schmale Büchlein Gaucks, das am Montag - wenige Stunden nach der Kür zum Kandidaten - auf den Markt kam, gibt schon ein paar Hinweise. So sagt er etwa über die Wiedervereinigung: "Die westdeutschen Ellenbogenmenschen konnten ganz gut mit jenen sprechen, die ihre Ellenbogen schon in der Diktatur trainiert hatten."
Über die Friedensbewegten: "Sie waren trotz eines Kommunismus mit imperialen Absichten bereit, den demokratischen Westen mental und militärisch abzurüsten." Und über die Occupy-Bewegung: Es gebe "keinen Grund für den alt-neuen Versuch, eine neue Variante von Antikapitalismus in die politische Debatte zu bringen".
Er bescheinigte Thilo Sarrazin "Mut"
Als "unsäglich albern" bezeichnete er 2010 sogar die Antikapitalismus-Debatte, diese werde "ganz schnell verebben". Und mit Blick auf die Proteste beim Bahnprojekt Stuttgart 21 warnte Gauck bei einer "Zeit"-Matinee vor einer Protestkultur, "die aufflammt, wenn es um den eigenen Vorgarten geht". Joachim Gauck hat sicher nicht die Absicht, es jedem recht zu machen. Wer ihn aber schon jetzt kritisiert, muss genau hinsehen und hinhören. So wurde ihm ein gewisses Verständnis für die ausländerkritischen Thesen des Thilo Sarrazin nachgesagt, dem er in einem Interview tatsächlich "Mut" bescheinigte. "Er ist mutig, und er ist natürlich auch einer, der mit der Öffentlichkeit sein Spiel macht."
Weiter sagte er in dem Interview der "Süddeutschen Zeitung" (Online) auf die Frage, wie er das deutsche Integrationsproblem beschreiben würde: "Es besteht nicht darin, dass es Ausländer oder Muslime gibt - sondern es betrifft die Abgehängten dieser Gesellschaft. Darum erscheint es notwendig, und das ist meine Kritik an Sarrazin, genauer zu differenzieren und nicht mit einem einzigen biologischen Schlüssel alles erklären zu wollen."
Eine der spannendsten Fragen für die ersten Monate der Amtszeit Gaucks wird sein, wie er das Thema Integration aufnehmen wird. Sein Vorgänger Christian Wulff hat da mit seinem Satz, wonach der Islam auch zu Deutschland gehöre, einen Schwerpunkte gesetzt. Die muslimischen Verbände forderten Gauck bereits auf, die Politik seines Vorgängers fortzusetzen.
Er wird sein Themenspektrum erweitern müssen
Noch nicht hervorgetreten ist Gauck beim Thema Euro und Schuldenkrise, aber auch hier wird von ihm Orientierung erwartet. Der Theologe und Bürgerrechtler, der nach der Wende als Leiter der Stasi- Unterlagenbehörde bundesweit bekannt wurde, wird sein Themenspektrum erweitern müssen. Sein Vorgänger war nicht für große Reden bekannt, gestolpert ist er aber nicht darüber. Von Gauck wird Substanz erwartet. Und ein besseres Gespür für das, was als "Würde des Amtes" bezeichnet wird.
Wulff hat als Bundespräsident gern mit der Tatsache kokettiert, das er das bisher jüngste Staatsoberhaupt war, mit einer noch jüngeren Frau und kleinen Kindern. Gauck ist nun mit 72 auch im internationalen Vergleich schon eher in der erwarteten Altersstufe. Aber der Vater von vier Kindern und Großvater von neun Enkeln entspricht mit seiner Biografie auch nicht ganz dem Idealbild konservativer Unionspolitiker: Gauck ist seit zwölf Jahren mit seiner Lebensgefährtin Daniela Schadt (52) zusammen. Von seiner Ehefrau geschieden ist er aber nicht. Bild.de fragte schon am Montag: "Heiratet Gauck jetzt seine First Lady?"