Filmen oder Steine werfen? Ägyptens Reporter im Dilemma
Ägyptische Reporter befanden sich in der Revolution vor einem Jahr in einem Zwiespalt: Sie wollten objektiv berichten, aber auch für die Freiheit kämpfen. Der Film "Althawra … Khabar" ("Bericht ... einer Revolution") dokumentiert Kampf um Demokratie aus der Sicht von sechs jungen Reportern. Er wurde jetzt auf der Berlinale gezeigt und diskutiert.
20.02.2012
Von Igal Avidan

Als vor einem Jahr die ägyptische Revolution begann und die Sicherheitskräfte mit brutaler Gewalt reagierten, standen dutzende junge mutige Reporter mit Kameras an der Vorderfront. "Sie stellten sich zwischen die Panzer und die Demonstranten und ganz nah ans Tränengas und an die Leichen", wie Nora Younis, damals Onlineredakteurin der ersten unabhängigen ägyptischen Tageszeitung "Al Masry al Youm" (heute "Egypt Independent") auf der Berlinale erzählt. Sie reiste zusammen mit drei Kolleginnen nach Berlin, um ihren Film "Althawra … Khabar" ("Bericht ... einer Revolution", Regisseur: Bassam Mortada) zu präsentieren. Dieser bildstarke Dokumentarfilm folgt den 18-tägigen Kampf um Demokratie in Ägypten aus den Augen von sechs jungen mutigen "Frontreportern".

Die Zuschauer erfahren, wie die ägyptische Revolution begann: Auf der traditionellen Kundgebung zum "Tag der Polizei" am 25. Januar 2011 schnitt sich ein Mann seine Pulsadern auf aus Protest, dass er seit Monaten kein Gehalt erhalten hatte. Ermutigt durch die Tunesier, die ihren Diktator verjagt hatten, verloren die Demonstranten in Kairo ihre Angst. "Als immer mehr gewöhnliche Menschen - keine Aktivisten - sich dem Demonstrationszug anschlossen, war ich zu Tränen gerührt", berichtet Reporter Mustafa Bahgat. "Ich wusste, dass jetzt etwas Großes passiert".

"Wir hofften, dass die Menschen nicht umsonst starben"

Als die Polizisten Tränengas schießen, bleiben die Protestler stehen; als die Uniformierten Steine auf sie werden, schleudern sie diese zurück. Ein Mann mit blutigem Gesicht schreit: "Das ist Terror!" und ein Journalist sagt in die Kamera, jetzt sei er Militärreporter. Als ein Mann ihn anbrüllt, er solle mit dem Filmen aufhören und helfen, schaltet er seine Videokamera ab und hilft mit, den Verletzten in Sicherheit zu bringen. Um seinen Bericht trotz abgekapptem Mobil- und Internetnetz zu liefern, klopft er an die erste Wohnungstür und zeigt seinen Presseausweis. Die Bewohner erlauben ihm seinen Bericht am Telefon zu diktieren.

Eine Revolution beginnt in dem Moment, in dem man die Angst vor dem Regime überwindet, zeigt der Film. Als am zweiten Tag die Polizisten die Kontrolle verlieren und auf die Demonstranten einschlagen, dreht das Samah Abdel Aaty. Ein Polizist entdeckt sie und beginnt sie zu verprügeln. Die Journalistin ist vor allem seelisch verletzt, sagt sie. "Ich habe aber nicht nachgegeben, weil ich nichts Illegales mache". Sie schlug zurück, bevor die Menschen sie in Sicherheit brachten. In Berlin sagt sie: "Wir hofften, dass die Menschen nicht umsonst starben und dass wir unsere Freiheit und Gerechtigkeit erlangen. Aber das ist noch nicht geschehen und wir haben nichts erreicht".

"Althawra … Khabar" zeigt auch, wie das Mubarak-Regime versuchte, die Berichterstattung zu verhindern. Als die Staatssicherheit die Mobil- und Internetkommunikation störte, errichtete die Redaktion ihren Newsroom im Businesszentrum des Kairoer Luxushotels "Semiramis", wo die Leitungen funktionierten. Als Younis eine Suite mit Blick auf den Tahrirplatz, das Zentrum der Proteste mieten wollte, weigerte sich das Management, das eine entsprechende Anweisung Mubaraks befolgte. So befand sich Younis in einem Zimmer in Richtung Nil. Von dessen Balkon aus drehte sie, wie die Polizei auf der Qasr-al-Nil-Brücke mit Waffengewalt und Wasserkanonen den Weg der Demonstranten ins Stadtzentrum versperrte. Und wie ihre gepanzerten Wagen wiederholt Demonstranten überfuhren.

Filmen oder Steine werfen?

Der Film thematisiert das Dilemma der Reporter: Sie bemühten sich um neutrale Berichterstattung, wollten aber zugleich als Bürger für Demokratie kämpfen. Younis leidet bis heute unter "der Entfernung zwischen dem Balkon und der Brücke, die mir Alpträume bereitet. Wenn man so eine blutige Ungerechtigkeit dokumentiert, muss man das aber professionell machen". Daher schickte sie Mustafa Bahgat zur Pro-Mubarak-Demonstration, woher er "mit Wut im Bauch" berichtete, weil er parallel am Telefon seine weinende Frau zu beruhigen versuchte, die auswandern wollte. Heute sagt Younis: "Meine Entscheidung war damals vielleicht brutal, aber dort konnte er eine emotionale Distanz zu den Demonstranten bewahren". Vorher unterbrach Bahgat immer wieder seine journalistische Arbeit, um Steine auf die Polizisten zu werfen.

Der Dokumentarfilm wurde dadurch ermöglicht, dass die Zeitung "Al Masry al Youm" bereits drei Monate vor Beginn der Revolution Journalisten als Videoreporter ausgebildet hatte und beim Ausbruch der Demonstrationen 50 solche Reporter landesweit einsetzte. Ihre Berichte erschienen dann auf der Webseite der Zeitung, was ein Novum in der ägyptischen Medienlandschaft darstellte. Der Film entstand, um den Ägyptern ein umfassendes Bild der 18-tägigen "Biografie einer Nation" zu zeigen. Am 28. Januar, dem ersten Jahrestag der Revolution, konnten ihn Tausende auf dem Tahrirplatz in Kairo sehen. Nun kämpft man um seine Ausstrahlung im Staatsfernsehen.

Heute setzen Islamisten die Redaktionen unter Druck

Ein Jahr nach der Revolution sind ägyptische Reporter immer noch gefährdet, vor allem, wenn sie eine Kamera tragen. "Die Armee ist dabei viel brutaler als die Polizei", sagt Younis. Shaymaa Adel bringt die Botschaft ihrer Kollegen nach Berlin: "Wir werden weiterhin um unsere Menschrechte kämpfen und dafür auch unser Leben gefährden. Wir waren so naiv, dass wir der Armee vertraut haben. Das war ein Fehler". Auch ihre Bilanz ist nüchtern: "Nach eintausend Märtyrern und tausenden Verletzten haben wir Mubaraks Regime mit einem Militärregime ersetzt – das ist die einzige Veränderung".

Nora Younis, inzwischen Chefredakteurin der Onlineredaktion, ist optimistischer, "auch weil wir uns nicht leisten können, pessimistisch zu sein". Sie ist überzeugt, dass man die Ermächtigung des Volkes nicht mehr zurücknehmen könne und erzählt, dass zum ersten Mal Schüler für die Revolution streiken. "Auch die Dekane der Universitäten werden nicht mehr von den Behörden nominiert, sondern gewählt. Die Medien sind frei und die Gesellschaft lebhaft".

Heute sind die Islamisten diejenigen, die ihre Redaktion unter Druck setzen, räumt Younis ein. "Das Militär schickt uns Faxe, in dem wir gewarnt werden, nichts ohne seine Einwilligung zu veröffentlichen, aber wir ignorieren es. "Es ist zur Zeit viel mehr mit dem Fernsehen beschäftigt, nicht mit unserem Onlinedienst". Vor allem der englischsprachige Dienst genießt mehr Freiheiten, bestätigt Filmproduzentin Kismet El Sayed, die für die Zeitungsgruppe arbeitet. "Eine Karikatur, die die Islamisten am meisten verärgerte, zeigt einen Soldaten, der über einen bärtigen Mann reitet. In einer Hand hält er eine Waffe, mit der er auf die Menge schießt, in der anderen Hand eine Angel, an deren Ende eine Wahlurne steht. Die Aussage ist, dass die Armee den Islamisten den Weg ins Parlament ebnet".


Igal Avidan ist freier Journalist in Berlin.