Inzwischen haben über zwei Millionen Menschen eine Online-Petition gegen das Anti-Counterfeiting Trade Agreement (ACTA, deutsch: Anti-Produktpiraterie-Handelsabkommen) unterzeichnet. Mehrere europäische Staaten zögern vor dem letzten Schritt: In Deutschland will Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) die Abstimmung im Europa-Parlament abwarten. Eine bereits erteilte Weisung zur Unterzeichnung zog das Auswärtige Amt vor kurzem wieder zurück.
Auch Polen, Tschechien, Litauen und Lettland haben die Ratifizierung des Abkommens vorerst ausgesetzt. Slowenien bereute öffentlich seine Ende Januar in Tokio geleistete Unterschrift. Gültig ist das Abkommen nur dann, wenn alle EU-Mitgliedstaaten es mittragen. Der Pakt wurde zwischen 39 Staaten ausgehandelt, unter ihnen Australien, Kanada, die USA und alle EU-Staaten.
Strafen für Markenverletzungen
Das Abkommen wendet sich primär gegen Produktpiraterie. Es führt strafrechtliche Sanktionen für Markenverletzungen ein. Allerdings bezieht sich ACTA auch auf Urheberrechtsverletzungen, die im "gewerblichen" Ausmaß begangen werden. Dabei sollen auch diejenigen bestraft werden, die "Beihilfe" geleistet haben. Im Falle digitaler Güter zählen dazu auch Internetprovider, die keine Gegenmaßnahmen getroffen haben. ACTA steht damit in Widerspruch zu geltendem EU-Recht, das Internet-Zugangsprovider bislang von der Haftung ausnimmt.
Das Vertragswerk gilt unter Experten als wenig gelungene juristische Lösung, da es auf der internationalen Ebene nicht verankert ist, sondern eine zwischenstaatliche Lösung darstellt. Das kann zu Konflikten mit den TRIPS-Verträgen führen, die von der internationalen Urheberrechtsorganisation WIPO vor Jahren geschlossen wurden.
Besonders kritisch wird dies im Falle von Nachahmerarzneien. Während in den TRIPS-Verrägen die Regelungen so flexibel sind, dass Entwicklungsländer generische Medikamente beispielsweise im Kampf gegen Aids nutzen dürfen, soll diese Freiheit nach ACTA wieder beschränkt werden. Kritiker glauben, dass Pharma-Unternehmen nun nach ACTA das Verschiffen von generischen Medikamenten in Entwicklungsländer verhindern, ja sogar ihre Vernichtung gerichtlich anordnen lassen können.
Rechte an immateriellen Gütern
Obwohl viele der eher weich formulierten ACTA-Bestimmungen die Unterzeichnerstaaten nicht unmittelbar dazu zwingen, ihre Rechtsvorschriften zu ändern, prägen sie jetzt schon die politische Marschrichtung: Die EU-Kommission kündigte an, die Richtlinie zur Durchsetzung der Rechte an immateriellen Güter verschärfen zu wollen. So wird wohl überlegt, die Internet-Provider zu einem Warnhinweissystem zu verpflichten. Das Bundeswirtschaftsministerium kündigte vor kurzem an, an einer gesetzlichen Regelung zu arbeiten, die Warnhinweise für Urheberrechtsverletzer im Internet beinhaltet.
Nach Vorstellung der Kommission wie des Bundeswirtschaftsministeriums sollen Internet-Provider Nutzerdaten dann herausgeben, wenn die Verstöße "gewerbliches Ausmaß" erreichen. Voraussetzung dafür ist jedoch, dass die Provider den Datenverkehr ihrer Kunde nach bestimmten Inhalten ständig durchsuchen. Dazu sind sie bislang nicht verpflichtet, weil sie ähnlich wie die Post keine Haftung für die übermittelten Informationen übernehmen.
Finden sie illegale Inhalte, also beispielsweise urheberrechtlich geschützte Bild-, Film- oder Musikdateien, sollen sie laut Bundeswirtschaftsministerium die Nutzer verwarnen. Nach drei Warnhinweisen dürfen sie die IP-Adresse des Nutzers an die Rechteinhaber, also etwa Unternehmen aus der Film- und Musikindustrie weitergeben. Diese können dann rechtlich gegen die Nutzer vorgehen, wobei bis heute umstritten ist, ob eine IP-Adresse einer Person überhaupt eindeutig zugeordnet werden kann, weil Computer oder WLANs von mehreren Personen genutzt werden können. Gegner kritisieren, dass die Verfolgung von Urheberrechtsverstößen damit weitestgehend in private Hände gelegt und kaum von staatlichen Behörden kontrolliert wird.
Schwammig formuliert
Eine Blockade von Internetnutzern regelt das Abkommen nicht – sie war in früheren Entwürfen enthalten, wurde jedoch wieder gestrichen. Auch soll die private Nutzung nicht tangiert sein, lediglich die gewerbliche. Das Abkommen ist jedoch so schwammig definiert, dass etwa die EU-Kommission erst noch eine Definition finden will, damit gegen "professionelle Fälscher statt individuelle Verbraucher" ermittelt wird.
Die Verhandlungen über ACTA begannen auf Initiative der USA und Japan bereits im Jahr 2008 mit der Europäischen Union und der Schweiz. Später stießen Kanada, Australien, Jordanien, Mexiko, Marokko, Neuseeland, Südkorea, Singapur und die Vereinigten Arabischen Emirate dazu. ACTA stand lange wegen seines intransparenten Aushandlungsprozesses unter Kritik. Parlamente wurde nicht oder nur sehr zögernd informiert. Vertreter der Pharmabranche sowie der Unterhaltungs- und Softwareindustrie waren hingegen durch die Delegation der USA bei den Verhandlungen anwesend und hatten Zugang zu allen Dokumenten, kritisiert der Verein Lobbycontrol.
Europäischer Aktionstag
Ausgerechnet das zuständige Referat für Urheberrecht der EU-Kommission ist außerdem mit einer ehemaligen Lobbyistin des Musikindustrieverbands IFPI besetzt. Jetzt versuchten die Verbände, eine rechtliche Vorabprüfung durch den Europäischen Gerichtshof zu verhindern, die Abgeordnete im Europaparlament anstrengen. Sollte es zu der Prüfung kommen, würde das Abkommen erst in zwei Jahren dem Parlament zur Abstimmung vorgelegt werden können.
Die Abstimmung im EU-Parlament könnte nach aktuellem Stand äußerst knapp ausgehen: Bislang haben sich die Linken und die Grünen gegen das Abkommen ausgesprochen, die Sozialdemokraten zeigen sich ebenfalls skeptisch. Auch einige unabhängige sowie europakritische Abgeordnete wollen dagegen stimmen. "Das Zünglein an der Waage sind derzeit die unentschlossenen Liberalen" meint der fraktionsfreie EU-Abgeordnete Martin Ehrenhauser. Das Votum wird für Mitte Juni erwartet. Am Samstag findet ein weiterer Europäischer Aktionstag gegen ACTA statt.
Christiane Schulzki-Haddouti arbeitet als freie Journalistin in Bonn.