Joachim Gauck soll neuer Bundespräsident werden. Kanzlerin Angela Merkel (CDU) gab ihren Widerstand gegen den Favoriten von SPD und Grünen auf. Die Koalition habe sich mit Rot-Grün auf den früheren DDR-Bürgerrechtler geeinigt, um einen überparteilichen Kandidaten zu finden, sagte Merkel am Sonntagabend bei einer gemeinsamen Pressekonferenz der Parteichefs.
Der sichtlich bewegte Gauck sagte bei einer Pressekonferenz im Kanzleramt, ihm sei wichtig, dass die Menschen in Deutschland wieder lernen, dass sie "in einem guten Land" leben. Die Freiheit gebe ihnen "wunderbare Möglichkeiten" zu einem erfüllten Leben, sagte der 72-Jährige, der an seine Kindheit im Nationalsozialismus und sein Leben in der DDR erinnerte. Der evangelische Pfarrer und DDR-Bürgerrechtler war bis zum Jahr 2000 erster Leiter der Stasi-Unterlagenbehörde. Als Kandidat von SPD und Grünen bei der Bundespräsidentenwahl 2010 war Gauck Christian Wulff in der Bundesversammlung knapp unterlegen, der von Union und FDP unterstützt worden war.
Merkel bezeichnete Gauck als "wahren Demokratielehrer", der wichtige Impulse für Globalisierung, die Lösung der Schuldenkrise und mehr Demokratie geben könne. Damit werden bald zwei Ostdeutsche an der Spitze des Staates stehen.
Gauck sagte auf der Pressekonferenz, er sei kein "Supermann" und müsse sich die Vorschußlorbeeren erst verdienen. Er sei überwältig und verwirrt. Der Anruf der Kanzlerin habe ihn im Taxi erreicht, sagte der Theologe. Bei der Annahme der Kandidatur für das Staatsoberhaupt habe ihm unglaublich geholfen, dass die Koalition, SPD und Grüne sich zusammengefunden hätten. An Merkel persönlich gerichtet sagte Gauck, das Wichtigste für ihn sei immer gewesen, dass sie ihm Vertrauen und Hochachtung gezollt habe.
Merkel wollte Gauck nicht, die FDP setzte ihn durch
Merkel betonte, Gaucks Lebensthema sei die "Idee der Freiheit in Verantwortung". Dies verbinde sie als Ostdeutsche - "bei aller Verschiedenheit" - mit Gauck. "Unsere Sehnsucht nach Freiheit hat sich 1989/90 erfüllt."
SPD-Chef Sigmar Gabriel meinte: "Ende gut, alles gut." Gauck könne die Kluft zwischen Bürgern und politischer Klasse schließen. CSU-Chef bezeichnete die Kür Gaucks als "gute Entscheidung für Deutschland. "Sie haben das Vertrauen der CSU und der Bayern."
FDP-Chef Philipp Rösler sagte, Gauck könne verlorenes Vertrauen in das Bundespräsidentenamt zurückgeben. Grünen-Chefin Claudia Roth sagte, Gauck sei schon 2010 der grüne Kandidat gewesen und könne in Zeiten von Rechtsterror in Deutschland viel bewegen: "Joachim Gauck ist jemand, der Demokratie wieder Glanz verleihen kann."
Zuvor stand die Koalition - mitten in der Euro-Schuldenkrise - am Rande eines Scheiterns. Merkel machte innerhalb der Unionsspitze deutlich, dass sie Gauck nicht unterstützen wolle. Die FDP-Spitze um Philipp Rösler hielt aber an Gauck fest. Damit hätte die Union in der Bundesversammlung, die den Präsidenten wählt, keinen eigenen Kandidaten durchbringen können.
Gauck ist nach mehreren Umfragen klarer Favorit der Bürger. Rund jeder Zweite hält ihn für geeignet.
CDU und CSU wollten keinen "Gesichtsverlust" für Merkel
Die FDP hatte sich völlig überraschend einstimmig hinter Gauck gestellt und damit die Union düpiert. Der FDP-Vorstoß löste heftige Reaktionen im Unionslager aus. Die Lage war verfahren, weil die FDP zugleich auch die von der Union vorgeschlagenen Anwärter Töpfer und Altbischof Wolfgang Huber, ehemaliger Ratsvorsitzender der Evangelischen Kirche, nicht haben wollte.
Bei der in Umfragewerten schlecht dastehenden FDP hieß es, nach zwei Jahren der Demütigung könne man nicht mehr alles von der Union schlucken, die in der Präsidentenfrage alle parteiübergreifenden Kompromisse blockiere. "Wir setzen auf volles Risiko", sagte ein FDP-Regierungsmitglied der dpa.
Der Kieler FDP-Fraktionschef Wolfgang Kubicki hatte zuvor das Verhalten der Union als "peinlich" bezeichnet. CDU und CSU blockierten Gauck allein, weil sie einen "Gesichtsverlust" für Merkel fürchteten, sagte Kubicki im ZDF. Merkel hatte 2010 Wulff verhindert und auf Wulff gesetzt. Der Gründungschef der Stasiunterlagen-Behörde hatte damals erst im dritten Wahlgang gegen Christian Wulff verloren.
Die von der Union ebenfalls genannte Frankfurter Oberbürgermeisterin Petra Roth (CDU) wurde von der FDP abgelehnt, weil ihre Wahl ein zu starkes Signal für Schwarz-Grün im Bund wäre. Roth regiert seit 2006 in Frankfurt ein Bündnis mit den Grünen.
Huber hatte FDP, Grüne und CDU-Katholiken gegen sich
Der mögliche Kandidat Huber stieß bei FDP, Grünen und im katholischen CDU-Flügel auf starke Vorbehalte. Der bei Rot-Grün geschätzte Ex-Umweltminister Klaus Töpfer (CDU) fand keine Zustimmung der FDP, weil er zu stark für eine grüne Energiepolitik stehe, hieß es. Der ursprüngliche schwarz-gelbe Favorit Andreas Voßkuhle, Präsident des Bundesverfassungsgerichts, hatte eine Kandidatur am Samstag abgelehnt.
In der Bundesversammlung hat Schwarz-Gelb nur eine hauchdünne Mehrheit. Die Bundesversammlung muss bis zum 18. März ein neues Staatsoberhaupt wählen.