"Seit ich die Welt der Kunst kennengelernt habe, ist mir meine Zelle zum Gefängnis geworden," sagt in den Schlussminuten von "Caesar Must Die" einer der Theater spielenden Gefängnisinsassen. Es war der wohl am häufigsten zitierte Satz der diesjährigen Berlinale - und es konnte deshalb nicht wirklich überraschen, dass die Jury unter Vorsitz des britischen Regie-Altmeisters Mike Leigh das Dokudrama der Brüder Paolo und Vittorio Taviani mit dem Goldenen Bären, dem Hauptpreis des Festivals, auszeichnete.
In ihrem Film zeigen die Tavianis Theaterproben an einem höchst ungewöhnlichen Ort - im "Rebibbia", einem Hochsicherheitsgefängnis in Rom. Und wer die größtenteils zu lebenslänglichen Haftstrafen verurteilten Mörder, Mafiosi und Drogenhändler bei der Rezitation von Shakespeares Drama "Julius Caesar" sieht, begreift tatsächlich aufs Neue, wofür "Kunst" alles stehen kann: für Spannung und Unterhaltung, aber auch für Selbsterkenntnis und Welterfahrung, für Mitleiden und Engagement.
"Caesar Must Die" war insofern das Ideal eines Berlinale-Films, weil er im Kern das behandelt, was die Zuschauer ganz allgemein in so großer Zahl trotz grimmigen Februarwetters in die Berliner Festivalkinos treibt. Schon zur Halbzeit verkündete die Berlinale-Leitung neue Besucherrekordzahlen.
Auch das deutsche Kino konnte punkten
Dass die Berlinale einmal mehr ihr Publikum begeisterte, ist nichts Neues. Dass das Wettbewerbsprogramm in diesem Jahr aber auch bei der Kritik sehr gut ankam, bildete die eigentliche Überraschung des Festivals. Allerorten wurde das Innovative einer Programmauswahl gelobt, die fast gänzlich auf Hollywood-Glamour verzichtete - es gab nur einen US-amerikanischen Film im Rennen um den Goldenen Bären - und statt dessen mit Filmen aus Ungarn, Portugal und dem Senegal punktete.
Als großer Favorit auf den Hauptpreis hatte zum Beispiel das ungarische Drama "Csak A Szél" ("Just The Wind") von Bence Fliegauf gegolten, der sich aber mit dem großen Preis der Jury zufriedengeben musste. In "Just The Wind" heftet sich die Kamera an die Fersen verschiedener Mitglieder einer Roma-Familie, in deren Umfeld es zu einer brutalen Mordserie kommt, die vor Frauen und kleinen Kindern nicht Halt macht. Ausgrenzung und Bedrohung addieren sich zu einer bedrückenden Ausweglosigkeit, womit der Film auf ein heruntergespieltes und verschwiegenes Problem aufmerksam macht, das nicht nur in Ungarn virulent ist.
Von seiner besseren Seite zeigte sich auch wieder das sonst oft geschmähte deutsche Kino. Sämtliche drei Wettbewerbsbeiträge - Christian Petzolds "Barbara", Hans-Christian Schmids "Was bleibt" und Matthias Glasners "Gnade" - wurden mit Lob aufgenommen, wobei Petzolds "Barbara" richtig begeisterte.
Der Film spielt in den frühen 80er Jahren in der DDR und hat eine Ärztin zur Heldin, die wegen eines Ausreiseantrags strafversetzt wird und allerlei Schikanen erleidet. Atmosphärisch genau und gleichzeitig nicht ohne Poesie schildert Petzold eine Gesellschaft, in der das Misstrauen zur Überlebenstaktik gehört. Dass ihm dafür der Silberne Bär für die beste Regie zugesprochen wurde, erschien vielen Zuschauern als schwacher Trostpreis für eine wirklich starke Leistung.
Die Schauspielpreise hätte das Publikum anders verteilt
Gleich zu Beginn der Preisverleihung hatte Jury-Präsident Mike Leigh die hohe Qualität des Programms hervorgehoben - und sich damit im Grunde auch dafür entschuldigt, dass einmal mehr nicht alle preiswürdigen Filme auch tatsächlich Preise erhalten konnten. Eine Zusatzauszeichnung vergab die Jury, indem sie das ebenfalls hochfavorisierte Kinderdrama "L'enfant en haut" von Ursula Maier aus der Schweiz mit einer besonderen Erwähnung bedachte.
Der Alfred-Bauer-Preis für neue Perspektiven in der Filmkunst ging an den Kritikerliebling "Tabu" von Miguel Gomes aus Portugal. Als besondere künstlerische Leistung ehrte man den deutschen Kameramann Lutz Reitemeier für seine Arbeit im chinesischen Historienfilm "White Deer Plain".
Regelrecht enttäuscht zeigte sich das Publikum über die Vergabe der Schauspielpreise, die an den Dänen Mikkel Boe Folsgaard ("A Royal Affair") und die Laiendarstellerin Rachel Mwanza aus dem Kongo für ihre Rolle als Kindersoldatin in "Rebelle" gingen. Doch selbst diese eher politisch als ästhetisch korrekte Auswahl kann die Bilanz eines gelungenen Festivals nicht trüben.