Welche Freunde braucht jetzt Christian Wulff?
Dass Christian Wulff viele Freunde hatte, wissen wir seit Wochen. Von den meisten kennen wir sogar die Namen und ahnen, was sie sich gegenseitig Gutes getan haben. Aber ist das wirklich Freundschaft, sich gegenseitig Gutes zu tun? Das fragt Pfarrer Hans Thome in seinem Radio-Zuspruch vom Samstagmorgen.
17.02.2012
Von Pfarrer Dr. Hans Erich Thomé

Die Skandale um Christian Wulff und sein gestriger Abgang haben ein Wort und eine Sache mit in den Strudel gerissen und fragwürdig werden lassen: Was ist ein Freund? Was ist Freundschaft? Die meisten Vorwürfe, die man dem Bundespräsidenten machte, konterte er mit der Auskunft: Unter Freunden ist das üblich. Oder: Das war doch nur ein Freundschaftsdienst: Das günstige Darlehen. Das Handy. Die Hotelsuite. Die Urlaube.

Ja, Freunde machen das so: Sie geben und sie nehmen und machen kein Aufhebens davon. Sie müssen nicht für das bezahlen, was sie sich gegenseitig Gutes tun. Sie schauen sich in die Augen, reichen sich die Hände, sagen Danke. Und das wars dann. Kritisch wird es, wenn sie dann von einem Amtsträger Vorteile davon erwarten. Ob das bei Wulff so war, müssen jetzt die Gerichte klären.

Aber trifft das nicht den Kern. Ist das alles, was ich von Freundinnen und Freunden erwarte? Und was ich ihnen gebe? Sind Freunde Steigbügelhalter der eigenen Karriere? Sind sie geradezu ideale Partner, um das alltägliche Spiel zu spielen, bekannt unter dem Motto: "eine Hand wäscht die andere"?

Gute Freunde stellen sich auch in den Weg

Von meinen Freunden erwarte ich natürlich auch, dass sie großzügig sind und auch mal fünf gerade sein lassen. Aber ich erwarte mehr von ihnen: Dass sie mich auch mal schütteln, wenn es nötig ist. Dass sie kritisch sind, wenn ich mich verbiege, wenn ich Wege gehe, die mir nicht gut tun. Dass sie mir ins Gewissen reden, mich vielleicht auch anschreien: Was machst du für Sachen? Lass das sein! Hör auf damit!

Freunde sind nicht nur und nicht zuerst dafür da, mir den Weg frei zu machen, Hindernisse wegzuräumen, mich, koste es, was es wolle, voranzubringen. Gute Freunde stellen sich mir auch in den Weg. Halten mich auf. Weil nicht nur meine Karriere, sondern weil ich ihnen so viel wert bin.

Christian Wulff wird solche Freunde gerade jetzt brauchen. Dass er finanziell nicht abstürzt, dafür werden die alten Freunde schon sorgen. Aber dass gerade in der Niederlage ihn jemand anschaut und ihm auf die Beine hilft und ihm sagt: Lern daraus! Das wünsche ich ihm in diesen kritischen Tagen.

Dieser Zuspruch war am Samstag, 18. Februar 2012, morgens im Radiosender hr1 zu hören.


Dr. Hans Erich Thomé ist Pfarrer und am Theologischen Seminar Herborn in der Ausbildung der Pfarrerinnen und Pfarrer tätig.