Reicht das Maßnahmenpaket der europäischen Regierungen für das hoch verschuldete Griechenland? Der Volkswirtschaftler Dr. Andreas Mayert ist im Gespräch mit evangelisch.de skeptisch - und fordert die Kirche auf, sich verstärkt einzumischen.
Evangelisch.de: Am Montag soll die Hängepartie um Griechenland endlich beendet werden. Nach den bisherigen Planungen soll das Hilfsprogramm der Eurogruppe ein Volumen von 130 bis 145 Milliarden Euro haben. Wird damit endlich Ruhe auf den Finanzmärkten einkehren oder erleben wir eine Krise ohne Ende?
Andreas Mayert: Dies ist nicht das einzige und nicht das erste Rettungspaket. Bei jedem neuen hoffte man vergeblich auf eine Beruhigung der Finanzmärkte. Und wenn man jetzt schaut, wie negativ Presse und Wissenschaftler das aktuelle Paket bewerten, wird schnell klar, dass im Grunde niemand an ein Ende der Krise glaubt. Die jetzigen Hilfskredite gewinnen lediglich Zeit, um Banken und andere Krisenstaaten wetterfest zu machen.
Im Gegenzug musste sich Griechenland zu einem Sparprogramm verpflichten. Die ohnehin niedrigen Mindestlöhne sollen um 22 Prozent sinken, noch in diesem Jahr sollen 15.000 Stellen im öffentlichen Dienst gestrichen werden, Kürzung der Renten und im Gesundheitswesen.
Andreas Mayert: Die griechische Wirtschaft ist in einem absolut desolaten Zustand. Es gibt bislang kein Anzeichen, das diese Sparmaßen irgendetwas Positives bewirkt hätten. Stattdessen sind die Wachstumsraten noch weiter gesunken, die Staatseinnahmen sind - wider erwarten der Troika - erneut abgestürzt, die Arbeitslosigkeit ist gestiegen. Die Jugendarbeitslosigkeit ist jetzt beinahe bei 50 Prozent! Das Rettungspaket wird Hellas Wirtschaft nicht helfen, sich zu erholen. Auch deswegen werden die Turbulenzen, auch auf den internationalen Finanzmärkten, weitergehen. Übrigens, in den anderen Krisenländern ist die Austeritätspolitik, Sparen um die Wirtschaft anzukurbeln, ebenfalls gescheitert.
Das Geld könnte in zum Beispiel Unternehmen helfen,
eine Solarindustrie aufzubauen
Und die Alternativen zum Sparen…
Andreas Mayert: … würden darin bestehen, dass zum einen Athen seine öffentliche Verwaltung grundlegend reformiert, dass es aber auch echte Transferzahlungen statt Kredite der Euroländer nach Griechenland gibt, in der Art eines Marshallplanes. Das Geld könnte in Infrastrukturprojekte investiert werden, könnte zum Beispiel Unternehmen helfen, eine Solarindustrie aufzubauen und würde dann auch private Investoren anziehen.
Es bliebe das Zinsproblem. So hohe Zinsen, wie Griechenland und einige andere Euroländer sie zahlen müssen, ruinierten jeden Staatshaushalt und jede Wirtschaft.
Andreas Mayert: In Griechenland hilft der Schuldenschnitt, zu dem die privaten Gläubiger von der Politik gedrängt wurden. Er entlastet Griechenland um über 100 Milliarden Euro. Doch selbst dann sinkt die griechische Schuldenquote nur von jetzt 160 auf vielleicht auf 120 Prozent. Nachhaltig sind aber eher 60 Prozent. Ein weiterer Schuldenschnitt scheint notwendig, der auch öffentliche Gläubiger wie die Europäische Zentralbank mit einbezieht. Für die anderen Krisenstaaten sind Eurobonds sinnvoll, also Staatsanleihen, die alle Euroländer gemeinsam herausgeben. Dadurch würden ihre Finanzierungskosten drastisch sinken. Für Deutschland würde es dagegen kaum teurer, denn Eurobonds wären Anleihen mit höchster Sicherheit.
Wäre angesichts der dramatischen sozialen Lage nicht auch die EKD stärker gefordert, Stellung zu beziehen?
Andreas Mayert: Sie tut es ja. Der EKD-Vorsitzende Nikolaus Schneider hat in dieser Woche (15.02.2012) von den EU-Regierungen "konkrete Hilfen für Griechenland zur Ankurbelung des Wachstums" gefordert und vor schwersten sozialen Verwerfungen gewarnt.
Ich hätte unterschrieben,
wenn ich im Süden leben würde
Armes Europa?
Andreas Mayert: Es kann nicht Ziel der europäischen Politik sein, das ein ganzes Land in Armut versinkt. Es steht in Griechenland auch die Idee von Europa auf dem Spiel. Wollen wir wirklich eine Europäische Union, in der die Bürger eines Landes von ungewählten Technokraten zu massiven Lohn- und Sozialkürzungen gezwungen werden können?
Eine Kirchendelegation übergab im November Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble eine Petition mit 66.837 Unterschriften aus Bayern und Baden zur Einführung einer Finanztransaktionssteuer. Haben Sie unterschrieben?
Andreas Mayert: Ich hätte unterschrieben, wenn ich im Süden leben würde. Breite Kreise der EKD treten seit geraumer Zeit für eine Transaktionssteuer ein. Ich kann diese Forderung nur unterstützen.
Gibt es eine evangelische, theologische Begründung der Transaktionssteuer?
Andreas Mayert: Als Ökonom ist Theologie nicht mein Spezialgebiet. Aber persönlich meine ich, dass eine Transaktionssteuer in hohem Maße gerecht wäre. Gerecht, weil der Finanzsektor bislang kaum an den Kosten der Krise beteiligt wurde, die er zu verantworten hat. Er ist darüber hinaus der bislang am geringsten besteuerte Sektor in der Volkswirtschaft. Und eine Transaktionssteuer würde mit dem rein spekulativen Hochfrequenzhandel vor allem ein moralisch fragwürdiges Verhalten treffen. Denn er ist ohne den geringsten ökonomischen Wert, das ist auch ein ethischer Aspekt.
Der Euro dient nicht mehr dem Zweck,
zu dem er geschaffen wurde.
Eine Umsatzsteuer auf Finanzgeschäfte scheint da nur ein erster Schritt. Wie ist es möglich, dem "Casino-Kapitalismus" - auf diesen Begriff setzt Ihr Kollege Pater Wolfgang Ockenfels, katholischer Sozialwissenschaftler an der Uni Trier - das Spiel zu verderben?
Andreas Mayert: Ganz wichtig ist eine Aufstockung der Eigenkapitalquote der Banken. Bis zur Krise betrug das Eigenkapital nur knapp drei Prozent der Bilanzsumme. Man kann auch sagen: Wenn eine Bank drei Euro besaß, konnte sie 100 Euro verleihen. Das machte sie krisenanfällig. Der Wissenschaftliche Beirat beim Bundeswirtschaftsministerium fordert nun zehn Prozent Eigenkapital, andere Wissenschaftler fordern sogar 30 Prozent. In diese Richtung muss es gehen, damit die Banken nicht bei jedem Windhauch auf den Finanzmärkten umfallen – und dann gerettet werden müssen.
Ihr neues Buch über die Zähmung der Finanzmärkte heißt "Dienen statt Herrschen". Was heißt das für den Euro, wie können wir ihn uns "dienlich" machen.
Andreas Mayert: Der Euro sollte dazu beitragen, die Integration Europas voranzubringen und den Handel aller zu beflügeln. Er hat nur letzteres geschafft. Aufgrund von Konstruktionsfehlern führte die Währungsunion zu immer größeren wirtschaftlichen Ungleichgewichten und wirkte daher eher spaltend. Der Euro dient also nicht mehr dem Zweck, zu dem er geschaffen wurde. Dabei ist die europäische Integration zugleich eine politische Vision, mit dem Ziel "Vereinigte Staaten von Europa". Wir müssen daher dringend die Fehler der Währungsunion beseitigen. Der Ausschluss Griechenlands aus der Eurozone darf dagegen keine Option sein.
Dr. Andreas Mayert (Bild links) ist studierter Volkswirt und Sozialwissenschaftler und gehört dem Sozialwissenschaftlichen Institut der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) an. Zu seinen Arbeitsschwerpunkten zählen Sozial- und Wirtschaftspolitik sowie die ökonomische Theorie sozialer Normen.
Dr. Hermannus Pfeiffer ist Journalist und Wirtschaftsbeobachter in Hamburg.