"Heimat" im Angebot: Kritik am Regional-Siegel für Lebensmittel
Lebensmittel aus der Region sind gefragt - und sogar beim Discounter zu haben. Oft versprechen die Verpackungen aber mehr Heimat, als die Produkte halten. Regierung und Verbraucherschützer sind sich über die richtige Kennzeichnung uneins.
16.02.2012
Von Miriam Bunjes

"Heimat - nichts schmeckt näher": Unter diesem Label gibt es in Baden-Württemberg Honig, Wein und Fruchtaufstriche, produziert von Streuobstbauern aus dem Heckengäu. Die Landwirte haben sich verpflichtet, die Streuobstwiesen, die sie nutzen, auch zu erhalten. Ein Markensiegel von vielen - und eine Botschaft, die sich Verbraucher wünschen und nach der sie einkaufen.

79 Prozent aller Verbraucher achten beim Einkauf auf Lebensmittel aus der Region, wie bei einer aktuellen Emnid-Umfrage im Auftrag des Bundesverbraucherministeriums herauskam. Aber: Nicht einmal jeder Fünfte fühlt sich verlässlich über deren Herkunft informiert.

Tatsächlich sind Worte wie "regional" oder "Heimat" auf deutschen Lebensmitteln ein weites Feld. "Ein gutes Stück Heimat" heißt zum Beispiel eine Produktserie beim Discounter Lidl. Und während man beim Heckengäuer Label "Heimat - nichts schmeckt näher" jeden einzelnen Bauernhof mit Telefonnummer auf der Homepage findet, gibt es "Ein gutes Stück Heimat" in ganz Deutschland im Supermarkt. "Heimat" kann eben auch Deutschland sein.

"Pseudopolitik" kritisiert

"Da Kunden leider nicht immer erkennen können, wie viel Regionalität in einem als regional beworbenen Produkt steckt, planen wir eine bessere Kennzeichnung", sagt Christine Bauer vom Bundesverbraucherministerium. Ein Regionalfenster auf der Verpackung soll Licht ins Dunkel bringen, hatte Verbraucherministerin Ilse Aigner (CSU) Ende Januar auf der Messe Grüne Woche angekündigt.

[listbox:title=Mehr im Netz[Information des Verbraucherministeriums##Kritik von Foodwatch##Bundesverband der Regionalbewegung (PDF-Dokument)##Verbraucherzentrale Hessen (PDF-Dokument)##Testbericht der Zeitschrift "Öko-Test"]]

Bei zusammengesetzten Produkten könne dort für jede Zutat einzeln transparent gemacht werden, aus welcher Region sie zu welchem Prozentsatz stamme. Kann - aber muss nicht: Das Fenster ist freiwillig. Wer es nutzen will, wird kontrolliert und zertifiziert. Wie genau und wer das bezahlt, will Aigner im April auf der Agrarministerkonferenz bekanntgeben.

"Mit einer freiwilligen Kennzeichnung ändert sich für die Verbraucher nichts", sagt Andreas Winkler von der Verbraucherorganisation Foodwatch. "Man kann als Unternehmen seinen Schinken weiterhin ohne eine Angabe zur Herkunft Schwarzwälder Schinken nennen - auch wenn er aus niedersächsischer Massentierhaltung stammt. Das Regionalfenster lässt man dann einfach weg." Für Verbraucher wirke es so trotzdem, als stamme der Schinken aus dem Schwarzwald.

Aigner betreibe eine "Pseudopolitik" - nur scheinbar im Interesse der Verbraucher. "Erst vor einem Jahr hat sie im EU-Ministerrat eine verbindliche Kennzeichnung der Herkunft von Lebensmitteln verhindert", sagt Winkler.

"Kleine und mittelständische Betriebe benachteiligt"

Auch der Bundesverband der Regionalbewegung (BRB), der die Interessen vieler Regional-Vermarktungsinitiativen vertritt, ist unzufrieden mit dem Regionalfenster. "Vorstufen der landwirtschaftlichen Produktion wie zum Beispiel Futtermittel wurden dabei ausgeschlossen", sagt Nicole Weik vom BRB. "So kann sich ein globaler Fleischkonzern, der seine Tiere mit brasilianischem Soja in Massentierhaltung füttert, mit dem Regionalfenster schmücken." Ein weiterer Kritikpunkt: "Für kleine und mittelständische Betriebe ist ein aufwendiges Prüfungsverfahren, bei dem auch hohe Kosten entstehen können, schwer machbar."

Der BRB wünscht sich einen Regional-TÜV, der die Vermarkter-Zusammenschlüsse zertifiziert. Denn die kontrollieren die Erzeugerbetriebe seit Jahren nach ihren selbst gegebenen Kriterien - und die schreiben nachhaltige Landwirtschaft vor: mit regional produziertem Futtermittel für Tiere und umweltverträglichem Ackerbau. "Für uns regional arbeitenden Verbände ist das Fenster in dieser Form nicht förderlich", sagt Weik. "Es sichert die Zukunft der Mogelpackungen."

Wie viele es davon gibt, zeigt auch die Untersuchung der Verbraucherzentrale Hessen vom Mai 2011: Bei 90 Prozent der vermeintlichen Regionalprodukte ließ sich die Herkunft nicht klären. Auch bei der Zeitschrift "Öko-Test" fielen im Sommer 14 von 53 getesteten Regionalprodukte als Mogelei durch.

epd