Neue Techniken: "Es herrscht zu viel Bedenkenträgerei"
Technikdiskussionen in Deutschland bewegen sich gerne zwischen Euphorie und Skeptizismus. Marianne Janik, die seit dem vergangenen Jahr zur Führungsspitze bei Microsoft gehört, erlebt das hautnah: Sie ist für das Microsoft-Geschäft mit der öffentlichen Verwaltung, dem Bildungsbereich und dem Gesundheitswesen verantwortlich und spricht täglich mit Menschen, die sich mit den Zumutungen neuer Technik auseinandersetzen. Wir haben nachgefragt, was sie in den Bereichen Bildung, Datenschutz und Open Data erlebt.
14.02.2012
Die Fragen stellte Christiane Schulzki-Haddouti

Frau Janik, sind die angeblich so innovationsfreundlichen Deutschen überkritisch, was Technik anbelangt?

Marianne Janik: Wir wissen aus vielen Gesprächen und aus unseren Studien, dass es dieses Misstrauen gegenüber neuer Technik gibt. Was jedoch nicht bedeutet, dass dennoch innovative IT-Lösungen entwickelt werden und neue Technik genutzt wird und sich durchsetzt. Gleichwohl glauben wir, dass wir in Deutschland unter unseren Möglichkeiten bleiben. Diese Gründlichkeit, dieses Prüfen unterschiedlicher Szenarien und Möglichkeiten, sollte vielmehr ins Positive gekehrt werden.

Warum haben wir immer noch nur an wenigen Schulen digitale Klassenzimmer?

Janik: Wir sind hier in der Tat noch immer nicht über den Pilot-Charakter hinausgekommen. In einzelnen Regionen und Kommunen gibt es durchaus gut ausgestattete Schulen. Aber leider ist das Thema "IT und Kommunikation" noch nicht von Grund auf in den deutschen Lehrplänen verzahnt. Dies macht es Lehrern schwer, mediengestützen Unterrricht regelmäßig und integriert umzusetzen.

"Es hängt vom Einzelnen ab"

 

Wo sehen Sie die Hauptgründe für den langsamen Fortschritt: Im Technikskeptizismus von Eltern und Lehrern, die sagen, dass Kinder erstmal lesen und rechnen lernen sollen – oder schlicht am fehlenden Geld?

Janik: Finanzielle Mittel sind ein Grund, den ich oft höre. Wenn man sich aber ansieht, wie viel in IT in den Schulen tatsächlich investiert wird, wird klar, dass das nur vordergründig eine Rolle spielt.

Woran hapert es dann?

Janik: Dass die Technik funktioniert und Kinder gerne mit den neuen Medien lernen, haben wir in genügend Pilotprojekten gezeigt. Die Probleme haben eher mit den alltäglichen Arbeitsbedingungen der Lehrer zu tun und mit dem fehlenden ordnenden Rahmen, gerade in den Grundschulen. Es ist eine Frage der Zuständigkeit: Kümmern sich Lehrer dann um das Thema, wenn sie gerade Zeit haben oder wenn Eltern sich engagieren? Bislang ist es so, dass viel vom freiwilligen Engagement der Lehrer oder der Eltern abhängt. Ob an einer Schule Kinder mit Computern arbeiten können, hängt damit immer von Einzelnen ab. Und das macht die Sache ungerecht. Das sollten wir uns nicht erlauben.

Ist hier nicht das föderale System hinderlich?

Janik: Ja, wir haben heute sehr unterschiedliche Lernumgebungen. In jedem Bundesland herrschen andere Rahmenbedingungen vor. Deshalb brauchen wir einheitliche Standards für vernetzte IT-gestützte Lernwelten und entsprechende Lehrpläne.

In Deutschland wird mehr diskutiert

 

Ein anderes Beispiel für Technikskeptizismus ist vielleicht die andauernde Diskussion um die Themen Sicherheit und Datenschutz. Übertreiben hier die Deutschen ein wenig?

Janik: Wir führen die Diskussion in Deutschland in der Tat stärker als in anderen Ländern. Am Beispiel des Personalausweises kann man sehen, wie widersprüchlich die Diskussion sein kann. Der Personalausweis soll ja den Bürger schützen, aber er wird von vielen abgelehnt. Dahinter steckt ein tiefes Misstrauen gegenüber der Offenlegung von persönlichen Daten. Aber auch hier arbeiten wir daran, die Vorteile für den Bürger in den Vordergrund zu rücken. Datenschutz sollte zu einem Qualitätsmerkmal gemacht werden und nicht ins Negative abdriften.

Marianne Janik. Foto: Microsoft

Auch in der Frage, ob Behördendaten ohne personenbezogene Daten offen gelegt werden sollen - Stichwort Open Data - zeigen sich viele skeptisch. Zu unrecht?

Janik: Ja. Sicherlich müssen mit einem gewissen Aufwand organisatorische und technische Maßnahmen für die Datenbereitstellung umgesetzt werden und es ist die Frage zu beantworten, wer die Kosten dafür trägt. Eines der Hauptprobleme ist aber wohl eher psychologischer Natur: Durch die Bereitstellung von Open Data als Rohdaten in maschinenlesbarer Form verliert die Verwaltung das Interpretationsmonopol über die Daten. Daran muss sie sich aber gewöhnen: Der gesellschaftliche Nutzen durch mehr Transparenz und damit Beteiligungsmöglichkeiten wiegt schwerer. Es braucht aber dafür auch Regeln und Klarstellungen, welches "offizielle Verwaltungsinformationen" sind, für die die Verantwortung bei den Verwaltungen liegt, welches durch Dritte aufbereitete oder manipulierte Informationen sind und natürlich klare Quelleninformationen.

Wie soll die Datenbereitstellung geregelt werden, um zu mehr Sicherheit zu kommen?

Janik: Wichtig ist, dass die angewandte Verwaltungswissenschaft zusammen mit Informatikern deutliche Handlungsempfehlungen ausarbeitet, die dann von der öffentlichen Hand übernommen werden können. Der einzelne Mitarbeiter in der Verwaltung braucht eine Grundlage, um Entscheidungen treffen zu können. Bislang gibt es noch keine anerkannten Konzepte und Methoden.

"Die Widerstände sind nicht immer rational"

 

Wie sehen Sie die Rolle zivilgesellschaftlicher Vereine wie etwa der Open Knowledge Foundation Deutschland oder dem Open Data Network?

Janik: Sie befördern eine positive und konstruktive Diskussion über das Thema. Ein Beispiel dafür ist der Wettbewerb "Apps für Deutschland", in dem jeder Ideen und Anwendungen entwickeln kann. Es ist gut und wichtig, dass das Bundesinnenministerium die Schirmherrschaft darüber übernommen hat. Wichtig sind aber auch gute Beispiele: In England gibt es etwa das Projekt "Love clean London", bei dem es darum geht, die Stadt mittels Bürgerbeteiligung sauber zu gestalten. Wenn man jedoch solche Beispiele in Deutschland vorstellt, werden sofort Bedenken geäußert: Etwa was passiert, wenn bei Meldungen nicht gleich der kommunale Reinigungsdienst komm? Es herrscht hier zu viel Bedenkenträgerei.

Wie erleben Sie diese Bedenkenträgerei, ist sie rational?

Janik: In Baden-Württemberg sieht man, wie schwer die Umsetzung ist, weil die argumentativen Widerstände so stark sind. Die sachlichen Probleme sind lösbar, aber die Widerstände sind nicht immer rational, wir gehen damit absolut nicht unbeschwert um. Es ist ein tiefes Unwohlsein, obwohl jeder anerkennt, dass eine Datenanwendung wie "Love clean London" im Prinzip banal ist. Aber auch dann wird das Haar in der Suppe gesucht. Vielleicht ist das eine Generationenfrage. Die neue Generation der jetzt 20-Jährigen wird wohl damit unbekümmerter, offener damit umgehen.


Christiane Schulzki-Haddouti arbeitet als freie Journalistin und lebt in Bonn.