Herr Matondo, Deutschland exportiert so viele Rüstungsgüter wie kein anderes Land in Europa. Woran liegt das?
Emanuel Matondo: Es ist ein lukratives Geschäft. Allein 2010 wurden Rüstungsgüter für rund sechs Milliarden Euro aus Deutschland exportiert. Die politischen Strukturen hierzulande kommen den Exporteuren zugute: Es gibt keine parlamentarische Kontrolle, Waffenexporte werden allein durch den Bundessicherheitsrat abgesegnet. Diesem Gremium gehören die Bundeskanzlerin und eine Handvoll Minister an. Wo und wann der Rat tagt, weiß niemand.
Nutzt diese Verschwiegenheit der Rüstungsindustrie?
Matondo: Klar. Schauen wir nach Großbritannien. Dort hat das Parlament im vergangenen Jahr erreicht, dass 160 von der Regierung ausgesprochene Exportgenehmigungen in Länder des arabischen Frühlings widerrufen wurden. Zuvor fand eine kritische Diskussion im Abgeordnetenhaus statt. Die Regierung in Großbritannien ist verpflichtet, dem Parlament jedes Quartal die genehmigten Anträge vorzulegen. Auch bei uns darf nicht länger über wichtige Fragen hinter verschlossenen Türen verhandelt werden – meist zugunsten der Rüstungsindustrie. Mit mehr Transparenz gäbe es einen schönen Nebeneffekt: Es würden wahrscheinlich weniger Waffen exportiert, da sie viele Ausfuhren gültigem Recht widersprechen.
[listbox:title=Fakten zum Waffenhandel[Problematisch ist beim Export von Waffen nicht nur der Export von fertigen Waffen. Gerade bei Kleinwaffen - Gewehren und Pistolen - ist der Verkauf von Lizenzen höchst problematisch. Damit können deutsche Waffen (und Munition) in anderen Ländern unkontrolliert hergestellt werden.##Deutschland hatte 2010 ein Bruttoinlandsprodukt von rund 2.500 Milliarden Euro (laut Statistischem Bundesamt). 6 Milliarden Euro durch Waffenexporte sind gerade mal 0,24 Prozent des BIP.]]
Derzeit kritisieren Menschenrechtsaktivisten die geplanten Exporte von deutschen Kriegsschiffen nach Angola. Zu Recht?
Matondo: In Angola werden die Menschenrechte massiv missachtet. Korruption ist an der Tagesordnung. Während große Teile der Bevölkerung von weniger als zwei Dollar pro Tag leben, hat der Präsident José Eduardo Dos Santos ein Vermögen von geschätzt 30 Milliarden Dollar angehäuft. Seine Macht beruht auf Gewalt, Unterdrückung – und Waffen. Deutschland unterstützt mit seinen Kriegsschiffen die Aufrechterhaltung seiner Despotie und stärkt den Militarismus dort. Die Exporte sind ethisch nicht zu rechtfertigen.
Laut Artikel 26 des Grundgesetzes ist es untersagt, Handlungen vorzunehmen, die "das friedliche Zusammenleben der Völker" stören. Wieso kommen Länder wie Angola, Saudi-Arabien und Ägypten dennoch an Waffen aus Deutschland?
Matondo: Diese Exporte widersprechen eindeutig dem Grundgesetz und auch dem EU-Verhaltenskodex zur Ausfuhr von Waffen. Dass die Waffenexporte dennoch genehmigt werden, liegt an der Genehmigungspraxis, die Wirtschaftsinteressen vor eigene Prinzipien stellt. Die Exporteure wissen zudem genau, wie sie ihre Anträge an den Bundessicherheitsrat formulieren müssen, damit diese durchkommen. Im Jahr 2010 wurden nur 0,15 Prozent aller Anträge abgelehnt. Das zeigt: Die Bundesregierung macht sich zum Komplizen der Rüstungsindustrie.
"Oft ist nicht mehr
nachzuverfolgen, was mit
den Waffen geschieht"
Die Kirchen fordern seit Jahren ein grundsätzliches Exportverbot für Waffen. Wie realistisch ist es, dass diese Forderung umgesetzt wird?
Matondo: Um ein grundsätzliches Verbot zu erwirken, müsste Artikel 26 des Grundgesetzes geändert werden. Dazu ist eine Zwei-Drittel-Mehrheit im Bundestag nötig, was angesichts der Mehrheitsverhältnisse derzeit kaum Aussicht auf Erfolg hat. Nach der Bundestagswahl 2013 mag sich das ändern. Aber ich glaube kaum, dass sich CDU, SPD oder FDP für ein generelles Verbot aussprechen werden. Selbst bei den Grünen hört man immer wieder die Position, nach der Waffenexporte in Nato-Staaten durchaus legitim seien. Deshalb gilt es eine breite Öffentlichkeit für Aktionen zu mobilisieren. Schließlich sprachen sich bei einer Emnid-Umfrage vergangenes Jahr 78 Prozent für ein generelles Exportverbot von Rüstungsgütern aus Deutschland aus.
Rund zwei Drittel aller deutschen Rüstungsgüter werden derzeit in Nato-Partnerstaaten exportiert. Spricht etwas dagegen?
Matondo: Grundsätzlich sollte man sich klarmachen: Waffenexporte sind Geschäfte mit dem Tod. Allein mit Gewehren der deutschen Firma Heckler & Koch wurden nach 1945 mehr als eine Million Menschen getötet. Oft ist nach einer Lieferung gar nicht mehr nachzuverfolgen, was genau mit den Waffen im Empfängerland geschieht. Deutsche Waffen sind zum Beispiel 2008 in Georgien aufgetaucht und aktuell auch in Mexiko.
[listbox:title=Mehr im Netz[Der Rüstungsbericht der Gemeinsamen Konferenz Kirche und Entwicklung (GKKE) (PDF)##Aufsatz von Emanuel Matondo über Waffenexporte ins südliche Afrika##Webseite zum Waffenexport von Jan van Aken (MdB für Die Linke)##Geplante Exporte nach Angola]]
Wie könnte der Waffenexport besser geregelt werden?
Matondo: Das Parlament muss als verfassungsmäßiges Kontrollorgan implementiert werden. Zudem müssen Kontrollen verschärft werden, was den Verbleib der Waffen und ihre Verwendung angeht. Langfristig sollte man sich auch Gedanken über Alternativen zum Rüstungsexport machen. Man muss Anreize schaffen, damit Firmen, die bislang Rüstungsgüter hergestellt haben, in neuen Märkten aktiv werden. Und zwar in solchen, die Zielen der Entwicklungsförderung und Friedenspolitik näher stehen. Man spricht hier von Konversion.
Was genau bedeutet das?
Matondo: Schauen wir nach Angola. Ganze Dörfer müssen bislang ohne Strom und elektrisches Licht auskommen. Technologie "Made in Germany" wäre ein große Hilfe – aber eben eine, die dem Erhalt von Leben dient. Warum nicht Geschäfte mit Solar-, Wind- und Biogasanlagen machen? Ich hätte auch einen Vorschlag für die deutsche Firma, die Kriegsschiffe für Angola bauen möchte: die Lürssen Werft aus Bremen. Statt Kriegsschiffen könnte das Unternehmen Frachtschiffe für den Transport von Erdöl und Flüssiggas bauen. Das ist ein riesiges Geschäftsfeld in Angola. Die Bundesregierung könnte Werbung in diesem Sinne machen. Aber stattdessen bekommen wir Kriegsschiffe nach Jahrzehnten des Bürgerkriegs.
Sie selbst haben den Bürgerkrieg erlebt, bevor Sie 1990 nach Deutschland geflohen sind.
Matondo: Ja, ich kenne das schreckliche Gesicht des Krieges, den Klang der Waffen. Der Krieg war allgegenwärtig in Angola. Ich lebte in ständiger Angst, zwangsrekrutiert zu werden. Regelmäßig durchkämmten Soldaten die Stadtviertel in Luanda, wo ich damals lebte. Unsere Eltern verriegelten die Häuser, wir versteckten uns dort manchmal tagelang unter extremer Hitze, so dass nicht mal ein Husten zu hören war. Draußen hörten wir, wie Menschen schrieen, weil Flüchtlinge erschossen wurden. Bis heute sind die Folgeschäden noch überall präsent. Mit den Bildern lebe ich noch heute. Und ich weiß: Wir brauchen Frieden, keine Waffen.
Emanuel Matondo, 45, ist Mitbegründer der "Angolanischen Antimilitaristischen Menschenrechtsinitiative" und war viele Jahre Sprecher des Forums Afrika im Organisationsgremium des Deutschen Evangelischen Kirchentags. Der Exil-Angolaner lebt in Köln und arbeitet als Autor und Journalist, insbesondere für die Zeitschrift "Afrika-Süd".
Thomas Becker ist freier Journalist und lebt in Düsseldorf.