Einbruch der Gewalt: Angelina Jolies achtbares Regiedebüt
Viele Berlinale-Filme legen ihre Hand auf die Wunden, die die Politik schlägt. Dazu zählt auch das argwöhnisch erwartete und viel beachtete Regiedebüt von Angelina Jolie.
13.02.2012
Von Rudolf Worschech

Der Filmliebhaber ist oft skeptisch, wenn berühmte Schauspieler als Regisseure einsteigen. Aber Angelina Jolie hat sich mit der Premiere von "In the Land of Blood And Honey" am Wochenende in Berlin durchaus achtbar aus der Affäre gezogen - und das bei einem Thema, bei dem man sehr viel falsch machen kann.

Es ist ein Ausschnitt aus dem Bosnien-Krieg: Ein serbisches Kommando überfällt ein Stadtviertel, erschießt die Männer und transportiert die Frauen in ein Lager, wo sie gedemütigt und vergewaltigt werden. Zwischen einer der bosnischen Frauen, Ajla, und dem Kommandanten Danjel hatte sich vor dem Krieg eine Liebesgeschichte angebahnt. Und sie setzt sich im Lager fort.

Der Anfang dieses Films ist großartig: der Einbruch der Gewalt in den Alltag der Menschen. Doch mehr und mehr verliert er sich in den Verästelungen dieser Liebesgeschichte, die zu einem Spiel mit gezinkten Karten wird. Jolie hat diesen Film auf Serbisch und Kroatisch gedreht mit bei uns völlig unbekannten Schauspielern aus Bosnien, Kroatien und Slowenien.

In den USA, wo der Film schon im Kino lief, ging er an der Kinokasse unter. Aber Jolie ist ein erstaunliches, berührendes Debüt gelungen. "Das war wie eine Hausaufgabe für mich", sagte Jolie in Berlin, "durch die ich etwas über ein Land lernen wollte, bei der ich das Gefühl hatte: Darüber sollte ich, darüber sollten wir mehr wissen."

Viele engagierte Produktionen

Die Berlinale legt in diesem Jahr mit vielen Filmen ihre Hand auf die Wunden, die die Politik schlägt, verfolgt ihre Spuren im Privaten. "Extremely Loud and Incredibly Close" von Stephen Daldry, im Wettbewerb außer Konkurrenz gelaufen, beschreibt, mitunter etwas seifig und allzu konstruiert, wie sich ein Junge mit dem Tod seines Vaters nach 9/11 auseinandersetzt. In dem kühlen IRA-Thriller "Shadow Dancer" von James Marsh, ebenfalls außer Konkurrenz gezeigt, wird eine IRA-Terroristin zum Ball in einem komplexen und intriganten Spiel des Geheimdienstes.

In "Captive" des philippinischen Regisseurs Brillante Mendoza kidnappen Abu-Sayaf-Terroristen eine Gruppe von Menschen in einem Feriendomizil, um sie gegen Lösegeld zu verkaufen. Es beginnt ein monatelanger Marsch durch den Dschungel, bei dem auch eine gewisse Nähe zwischen Kidnappern und ihre Opfern entsteht. Mendoza ist ein physischer und doch auch subtiler Film gelungen.

DDR-Geschichte im Jahr vor dem Mauerfall

Auch in Christian Petzolds "Barbara" spielt der zeitgeschichtliche Hintergrund eine wichtige Rolle. Es ist der erste historische Film des deutschen Regisseurs, und er ist im Sommer 1980 in der DDR angesiedelt. Die Ärztin Barbara (Nina Hoss) hat einen Ausreiseantrag gestellt und ist in eine Provinzklinik an der Ostsee versetzt worden. Die Staatssicherheit späht sie aus, demütigt sie. Ihr Geliebter aus der Bundesrepublik bereitet ihre Flucht vor.

Sehr distanziert begegnet Barbara den Menschen, geht allen aus dem Weg, auch wenn ihr neuer Chef (Ronald Zehrfeld) zu ihr hält, sie sogar deckt, Freundschaft anbietet. Aber auch bei ihm, der den Stasibeamten duzt, weiß man nicht, woran man ist. Sehr präzise hat Petzold diese Atmosphäre des alltäglichen Misstrauens beschrieben. Man merkt, unter welchem Druck die Figuren im Film stehen, man spürt den prinzipiellen Vertrauensverlust. Doch Petzold stellt das nie plakativ aus, nähert sich der DDR-Gesellschaft in seinem ökonomischen, mitunter unterkühlt wirkenden Regiestil.

"Barbara" ist Petzolds bester Film seit langem, der die metaphysische Schwere seiner Vorgänger ("Yella") abgestreift hat, und sicherlich eine der Favoriten für die Preisvergabe am nächsten Samstag. Dass man nach nur wenigen Tagen Berlinale in den Hauptsektionen so viele diskussionswürdige Filme gesehen hat, ist eine Besonderheit nach den jüngsten enttäuschenden Jahren.

epd