Angelina Jolie: "Krieg hat verschiedene Gesichter"
Seit 2001 arbeitet Angelina Jolie als Sonderbotschafterin für das UNO-Hochkommissariat für Flüchtlinge (UNHCR). Mit ihrem Regiedebüt "The Land of Blood and Honey", das bei der Berlinale im Rahmen der "Special"-Reihe seine Deutschlandpremiere hat, reist Jolie ins Sarajewo des Jahres 1992 und erzählt von der Beziehung zwischen einer Bosnierin und einem Serben, deren Vorzeichen sich mit dem Ausbruch des Krieges dramatisch verändern. Gedreht wurde vor Ort, mit Schauspielern aus der Region und in serbokroatischer Sprache.
13.02.2012
Die Fragen stellte Martin Schwickert

Frau Jolie, warum haben Sie den Krieg in Bosnien als Thema für Ihr Regiedebüt gewählt?

Angelina Jolie: Als dieser Krieg ausgebrochen ist, war ich siebzehn und bin munter durch Europa gereist, ohne zu wissen, was dort nur ein paar hundert Meilen von mir entfernt vor sich ging. Ich war vollkommen ignorant. Als erwachsene Menschen sind wir für unser eigenes Wissen verantwortlich, durch das wir aus der Geschichte lernen können. Ich wollte einen Film machen, der sich mit dem menschlichen Sein im Krieg beschäftigt. Ich wollte zeigen, dass alle Figuren, egal auf welcher Seite sie in diesem Konflikt stehen, eine Menschlichkeit besitzen – und was mit dieser Menschlichkeit geschieht, wenn sie sich mitten in einem Krieg befinden.

Wie haben Sie für diesen Film recherchiert?

Jolie: Ich bin in den letzten zehn Jahren sehr viel in Krisengebiete gereist und habe mit Leuten gesprochen, die solche kriegerischen Konflikte überlebt haben, in denen die eigenen Nachbarn zu Feinden wurden. Dennoch habe ich natürlich zu dem Krieg in Bosnien sehr viel gelesen und recherchiert. Wichtig waren auch die Schauspieler, die alle auf die eine oder andere Weise von diesem Krieg betroffen waren. Ihre Erfahrungen haben das Projekt stark beeinflusst.

Wie wichtig war es Ihnen von diesem Krieg aus der Frauenperspektive zu erzählen?

Jolie: Ich habe mich nicht hingesetzt und wollte unbedingt einen Film aus der Frauenperspektive machen. Aber die systematische Vergewaltigung von Frauen war in diesem Konflikt nun einmal ein signifikantes Kriegsverbrechen und das musste auch deutlich gezeigt werden.

"Der Zuschauer sollte sich unwohl fühlen.

Ich wollte die verstörende

Macht der Gewalt authentisch zeigen"

 

Wie sind Sie als Regisseurin mit der Inszenierung dieser Gewaltszenen umgegangen?

Jolie: Ich wollte, dass die Zuschauer sich unwohl fühlen. Ich finde, man sollte keine Massenexekution oder Vergewaltigung im Kino zeigen, ohne dass es dem Publikum nahe geht. Meistens wird die Gewalt in diesem Film nur indirekt gezeigt. Bei den Vergewaltigungen sieht man keine nackten Körper. Aber an einzelnen Punkten musste ich weiter gehen, um die verstörende Macht der Gewalt authentisch zu zeigen.

Zu Beginn der Dreharbeiten in Bosnien gab es Schwierigkeiten mit den Genehmigungsbehörden. Wie sind Sie mit der Skepsis gegenüber Ihrem Projekt umgegangen?

Jolie: Ich kann sehr gut verstehen, dass die Leute dort Vorbehalte gegenüber Außenstehenden haben, die sich ihrer Geschichte bedienen. Schließlich ist das Ganze erst fünfzehn Jahre her und kein Film kann alle Seiten des Konfliktes zeigen.

Was, glauben Sie, kann ein Film wie dieser bewirken?

Jolie: Ich hoffe, dass der Film einen Dialog in der Region, aber auch darüber hinaus in Gang setzt. Vielleicht liest jemand dieses Interview, interessiert sich dadurch für die Situation in Bosnien und unternimmt eine Reise dorthin. Vielleicht kommen andere durch den Film auf die Idee mit Schauspielern oder Künstlern aus der Region zusammenzuarbeiten. Ich hoffe, dass der Film den Blick für diese Region öffnet, die nach wie vor unsere Aufmerksamkeit verdient hat.

"Wie konnte ich auch nur einen Tag

nicht zufrieden mit meinem Leben sein?"

 

Sie arbeiten seit elf Jahren als Sonderbotschafterin des UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR. Wie hat sich durch diese Arbeit Ihr Verhältnis zu Hollywood verändert?

Jolie: Wenn man zum ersten Mal in ein Kriegsgebiet reist, verändert sich die Sicht auf das eigene Leben enorm. Man wacht auf aus seiner Selbstbezogenheit und fragt sich: Wie konnte ich auch nur einen Tag nicht zufrieden mit meinem Leben sein? Ich sehe Hollywood und die ganze Unterhaltungsindustrie als das, was es ist: Es ist die leichte Seite des Lebens und das ist auch gut so. Ich nehme das Ganze nicht besonders ernst. Hollywood ist nicht mein Lebensinhalt. Aber es ist schon manchmal bizarr: In die Krisengebiete reise ich meistens allein und ohne Security. Wenn ich hier über den roten Teppich laufe, bekomme ich mindestens sechs Bodyguards zugewiesen.

Als Schauspielerin haben Sie für Regisseure wie Clint Eastwood und Michael Winterbottom vor der Kamera gestanden. Was haben Sie dabei für Ihre eigene Arbeit als Regisseurin gelernt?

Jolie: Ich habe versucht, so viel wie möglich von jedem Regisseur zu stehlen. Die Arbeit mit Clint Eastwood hat mich besonders beeindruckt. Auf manchen Filmsets hat man das Gefühl, als sei Filmemachen die härteste Arbeit der Welt. Aber auf dem Set von Clint Eastwood herrscht immer eine sehr respektvolle Atmosphäre, in der sich alle wohl fühlen und ihr bestes geben. Ich wusste, dass ich für meinen Film mit einem solch heiklen Thema eine gute Atmosphäre am Set brauchte. Von Clint Eastwood habe ich gelernt, dass es nicht nur darum geht, gute, sondern vor allem auch nette Leute auszusuchen.

Für einen ganz kurzen Augenblick ist Brad Pitt im Film zu sehen - und wird von einem Scharfschützen erschossen. Wie kam es zu diesem Cameo-Auftritt?

Jolie: Eigentlich hatte ich gehofft, dass es keiner merkt. Dafür gibt es einen ganz pragmatischen Grund: Brad kann einfach sehr gut sterben. Viele Schauspieler und auch viele Stuntmen können das nicht. Ich bin da auch ganz schlecht drin, weil ich mich im Fallen immer abstütze. Man glaubt es nicht, aber tot umzufallen, ist eine besondere schauspielerische Gabe und Brad hat das einfach drauf. Ich brauchte einen guten Stunt und er hat ihn geliefert.


Angelina Jolie (geb. 1975) ist unangefochten der größte weibliche Star am Hollywoodhimmel. Ihren schauspielerischen Durchbruch hatte sie in der Rolle einer Psychiatriepatientin in "Durchgeknallt", für die sie 1999 mit dem Oscar ausgezeichnet wurde. Zur weiblichen Action-Ikone wurde sie als Lara Croft in der Videospielverfilmung "Tomb Raider". Es folgten Arbeiten unter der Regie von Robert De Niro ("Ein guter Hirte"), Clint Eastwood ("Der fremde Sohn"), Michael Winterbottom ("Ein mutiger Weg") und Florian Henckel von Donnersmarck ("The Tourist").