"Tatort: Ordnung im Lot", 12. Februar, 20.15 Uhr im Ersten
Ganz besonders Schlaue fangen beim Labyrinth nicht am Eingang, sondern am Ausgang an; dann ist der Weg oftmals viel einfacher. Genauso müsste man diesen "Tatort" eigentlich mit dem Schluss beginnen. Das würde die Geschichte zwar zum Teil ihrer Spannung berauben, weil man natürlich die Lösung kennt; aber so richtig spannend ist der Film ohnehin nicht. Außerdem hätte man den Schlüssel zu dem scheinbar sinnlosen Gebrabbel der weiblichen Hauptfigur. Die Frau leidet unter paranoider Schizophrenie. Selbst harmloseste Vorfälle fallen bei ihr in die Rubrik "lebensbedrohlich". Zunächst wirkt Sylvia Lange allerdings wie eine Karikatur jener Mitmenschen, die sich vor "Mobilkrebs" fürchten, überall Verschwörungen wittern und sich auf allerlei skurrile Weise gegen schädigende Umwelteinflüsse wehren.
Eher Fallstudie als Krimi
Dass die Dame dennoch entschieden interessanter ist als der eigentliche Mordfall, deutet bereits an, wie wenig Krimi dieser "Tatort" aus Bremen ist. Die Dramaturgie (Buch und Regie: Claudia Prietzel und Peter Henning) legt zwar nahe, Sylvia Lange sei die Mörderin eines Tankstellenbesitzers, weil ihr Sohn sie gleich zu Beginn mit der Mordwaffe in der Hand am Tatort findet, doch das ist bloß ein Ablenkungsmanöver. Die Frau ist ja keine Psychopathin, sondern bloß verwirrt und daher viel eher Opfer. Es wäre ein deutlicher Verstoß gegen die ethisch-moralischen Grundsätze der Reihe, sie zur Täterin zu machen; selbst wenn die Idee, den Tankwart als Todfeind zu betrachten, weil er giftige Dämpfe verbreitet, gar nicht so abwegig ist.
Da dem exquisit fotografierten Film (Kamera: Bella Halben) also recht rasch die übliche Krimispannung abhanden kommt, wird er quasi zur Fallstudie. Das ist zwar auch interessant, muss man aber mögen, zumal sich an der Verkörperung der schizophrenen Frau die Geister scheiden werden. Mira Partecke ist Theaterschauspielerin, dieser "Tatort" ist ihre erste Fernsehrolle überhaupt. Sie begeht zwar nicht den Fehler, ihr Spiel theatralisch anzulegen, aber die seltsam artifizielle Sprechweise könnte viele Zuschauer abschrecken. Außerdem redet Sylvia Lange scheinbar nur wirres Zeug, was naturgemäß erst recht gewöhnungsbedürftig ist. Erst ganz am Schluss gelingt es Hauptkommissarin Lürsen (Sabine Postel), die seltsamen Monologe mit ihren kruden Sprachbildern ("Das Helle muss klein", "Ich bin mitten im Auge") zu entschlüsseln, und plötzlich ist der Fall klar; auch wenn man so rasch gar nicht nachvollziehen kann, was die Frau alles erzählt hat.
Richtig reizvoll ist daher in der Tat allein der fast schon liebevoll skizzierte Lebensentwurf. Vieles wird gar nicht weiter erklärt, passt aber schlüssig ins Gesamtbild. Gerade weil die Figur so stimmig ist, wirkt der Film, als habe die Krimiverpackung nur als Vorwand gedient. Vielleicht hatte das erfahrene Duo Prietzel/Henning – die beiden arbeiten seit über zwanzig Jahren als Team – die Befürchtung, für eine Geschichte über eine Frau mit schizoider Persönlichkeitsstörung würden sie kein grünes Licht bekommen; und vermutlich stimmt das auch. Dabei steckt ein Stückchen von Sylvia Lange in allen, die überzeugt sind, nicht sie seien krank, sondern die Welt um sie herum.
Der Autor unserer TV-Tipps, Tilmann P. Gangloff, setzt sich seit über 20 Jahren als freiberuflicher Medienkritiker unter anderem für "epd medien" mit dem Fernsehen auseinander. Gangloff (geb. 1959) ist Diplom-Journalist, Rheinländer, Vater von drei Kindern und lebt am Bodensee. Er gehört seit Beginn der 1990er Jahre regelmäßig der Jury für den Adolf-Grimme-Preis an und ist ständiges Mitglied der Jury Kinderprogramme beim Robert-Geisendörfer-Preis, dem Medienpreis der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD).