"Alzheimer ist keine Schande, man muss das nicht verstecken"
Wenn Prominente sich "outen", trauen sich auch andere Betroffene. Der Fall Rudi Assauer macht das wieder einmal deutlich: Der Fußball-Manager hat Alzheimer, alle Kanäle berichten darüber, der ZDF-Film "37 Grad" am Dienstagabend gab intime Einblicke in Assauers Krankheit. Das hilft auch anderen Betroffenen, meint Hans-Jürgen Freter, Pressesprecher der Deutschen Alzheimer Gesellschaft.
09.02.2012
Die Fragen stellte Anne Kampf

Rudi Assauer hat seine Alzheimer-Krankheit öffentlich gemacht. Sein Buch ist erschienen, dazu zahlreiche Zeitungsberichte und ein Film im ZDF. Was bedeutet ein solches "Outing" für andere Demenzkranke und ihr Angehörigen?

Hans-Jürgen Freter: Demenzerkrankungen wie die Alzheimer-Krankheit sind immer noch Tabuthemen in unserer Gesellschaft. Die Betroffenen sprechen nicht gern darüber, sie versuchen es zu verschweigen so lange es geht, das hat auch der Herr Assauer gemacht. Auch den Angehörigen ist das oft unangenehm, sie mögen oft nicht sagen, dass jemand in der Familie betroffen ist. Viele ziehen sich zurück und versucht es zu vertuschen, doch das ist nicht hilfreich. Und wenn jetzt ein Prominenter wie Rudi Assauer öffentlich macht, dass er erkrankt ist, dann kann das schon eine positive Wirkung haben, weil klar wird: Die Krankheit kann jeden treffen. Es ist keine Schande, man muss das nicht verstecken. Sondern es bietet im Gegenteil eine Chance, im persönlichen Umkreis bekannt zu machen: Hier ist jemand, der von der Krankheit betroffen ist und der Unterstützung und Hilfe braucht.

Wie fanden Sie den ZDF-Film?

Freter: Ich fand es sehr eindrucksvoll, wie Herr Assauer sich äußert. Er sagt ganz klar, wie schwierig das für ihn ist als jemand, der ja nun bekannt war als erfolgreicher Sportler und Manager und der das Leben geliebt hat. Er sagt: "Meine Birne funktioniert jetzt nicht mehr, das ist für mich das allerschlimmste, weil man dagegen nichts machen kann." Bei anderen Erkrankungen gibt es Rehabilitation oder Training. Aber wenn die Diagnose Alzheimer feststeht, dann ist klar, dass das nicht zu reparieren ist. Vielmehr muss man damit rechnen, dass sich die Krankheit langsam verschlechtert, und dass weitere Fähigkeiten verloren gehen.

Viele Betroffene versuchen,

eine Fassade aufrecht zu erhalten.

 

Manche Szenen in dem Film zeigen die Krankheitssymptome sehr nahe: Wie er beim Memory-Test keine Uhr mehr zeichnen kann, wie den Namen seiner Tochter vergisst - Dinge, die auch peinlich sein könnten. Finden Sie es gut, so etwas öffentlich zu machen?

Freter: Ja, denn das zeigt uns zweierlei: Herr Assauer versucht wie sehr viele Betroffene die Dinge zu überspielen, indem er einen Scherz macht oder mit einer sehr allgemeinen Bemerkung auf eine konkrete Frage antwortet. Viele Betroffene versuchen, eine Fassade aufrecht zu erhalten. Wenn wir ihn beobachten bei dem Test, wo er nicht in der Lage ist, die Ziffern einer Uhr in einem Kreis aufzumalen - das zeigt sehr deutlich, dass bestimmte Fähigkeiten doch verloren gegangen sind.

Kollegen und alte Bekannte von Rudi Assauer geben in dem Film zu, dass sie Angst oder Scheu empfinden, weil sie nicht wissen, ob er sie noch erkennt. Wie sollte man auf demenzkranke Menschen zugehen?

Freter: Diese Angst ist verständlich. Was dagegen hilft, ist sich zu informieren: Was für eine Krankheit ist das? Womit ist da zu rechnen? Dann kann man damit besser umgehen. Wir wissen, Demenzkranke sind unsicher. Deshalb muss man versuchen ihnen Sicherheit zu geben, also beispielsweise ihnen nicht Fragen zu stellen, die sie nicht beantworten können. Man sollte sie im Gespräch ein bisschen stützen. Nicht nach Namen fragen sondern sagen: "War das nicht der Helmut Schön, um den es da ging?" Nicht nach bestimmten Begebenheiten fragen, sondern sie im Gespräch einflechten, und wenn man merkt: Derjenige kommt gerade nicht drauf - dann weiterhelfen.

Jetzt ist es in aller Munde, dass Rudi Assauer sich offenbart hat. Wie kann die Deutsche Alzheimer Gesellschaft an diese öffentliche Wirkung anknüpfen?

Freter: Wir haben sehr viele Anfragen von Journalisten erhalten, die darüber berichten möchten. Das ist natürlich in unserem Sinne. Aber wir haben genauso bemerkt, dass sich die Anfragen an unserem Beratungstelefon, dem "Alzheimer-Telefon" sehr erhöht haben. Genauso die Anfragen, die wir per E-Mail bekommen, also von Menschen, die die Befürchtung haben: "Könnte es auch bei mir Alzheimer sein?" Oder die jemanden im sozialen Umkreis haben und fragen: "Was kann man da tun, wie kann man da helfen?" Wichtig ist, dass die Menschen aufgeklärt sind, dass sie die typischen Anzeichen einer möglichen Demenzerkrankung wahrnehmen, also Vergesslichkeit, Sprach- und Orientierungsprobleme. Wenn diese Anzeichen über das übliche Maß hinausgehen und längere Zeit anhalten, dann raten wir dringend, einen Arzt aufzusuchen, der eine kurze Abklärung macht und eventuell zum Neurologen überweist, der dann eine gründliche Diagnose stellen kann.

Man sollte geistig aktiv bleiben -

das müssen nicht immer Kreuzworträtsel sein

 

Wozu eigentlich eine gründliche Diagnose, wenn man doch ohnehin nichts machen kann?

Freter: Das ist nicht ganz richtig mit dem "nichts machen kann". Auf dem jetzigen Stand der Medizin ist es nicht möglich, die Krankheit zu heilen. Aber eine Diagnose ist deshalb wichtig, weil die typischen Anzeichen für Demenz unterschiedliche Ursachen haben können. Es kann beispielsweise eine Schilddrüsenunterfunktion sein, die zu genau diesen Symptomen führt, und die kann man leicht mit einem Medikament beheben. Es wäre tragisch, wenn jemand mit Schilddrüsenunterfunktion abgestempelt wird und man sagt: "Du hast Alzheimer, da kann man nichts machen."

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Die häufigste Demenzerkrankung ist die Alzheimer-Erkrankung, die auf bestimmten Veränderungen im Gehirn beruht, und da haben wir heute Medikamente, so genannte Anti-Dementiva, die die Krankheit bei einem Teil der Betroffenen um ungefähr ein Jahr aufhalten können. Auch der Gewinn von einem Jahr ist ein deutlicher Gewinn für die Lebensqualität. Die Diagnose ist auch deswegen wichtig, weil die Betroffenen und die Familien dann wissen, woran sie sind: dass es eine Krankheit ist. Sonst sagen Angehörige oft: "Also jetzt reiß dich zusammen, gib dir ein bisschen Mühe, was ist los mit dir?" Ein dritter Grund für eine Diagnose wäre, dass man die rechtlichen Dinge wie Vollmachten und Patientenverfügung rechtzeitig regelt, so lange der Betroffene noch geschäftsfähig ist.

Wenn man die Diagnose Alzheimer bekommen hat, ist das erstmal ein Schock. Können Sie auch eine Empfehlung an die Betroffenen selbst geben, wie sie ihr Leben gestalten können?

Freter: Die Betroffenen sollten sich nicht zurückziehen, sondern körperlich, geistig und sozial aktiv bleiben, um ihre Fähigkeiten zu erhalten. Das kommt bei dem Assauer ein bisschen zu kurz. Bei ihm sieht man den Schock über den Verlust von Fähigkeiten. Aber er kann ja noch vieles. Allgemein kommt es darauf an, vorhandene Fähigkeiten zu erhalten und zu fördern. Seien es nun die körperlichen, indem man etwa Sport treibt oder auch nur spazieren geht. Man sollte geistig aktiv bleiben - das müssen nicht immer Kreuzworträtsel sein, sondern viel anregender ist ein Gespräch oder sich zu erinnern anhand eines Fotoalbums - damit bleibt man auch sozial aktiv und eingebunden. Auch da kommt es immer auf die Balance an: Nicht unterfordern, aber auch nicht überfordern.


Hans-Jürgen Freter ist Pressesprecher der Deutschen Alzheimer Gesellschaft. (Foto: Jochen Schneider)