"An Selbstoptimierung kommt niemand vorbei"
Erfolgreicher, schöner, glücklicher: Selbsthilferatgeber fordern ihre Leser auf, ihr Leben selbst in die Hand zu nehmen. Damit passen sie nach Ansicht der Soziologin Stefanie Duttweiler in eine Zeit, in der Sozialleistungen immer weiter abgebaut werden. Die Bücher suggerierten, dass jeder sein Leben verbessern könne und müsse, sagt die Mitarbeiterin der Universität Zürich, die über Glücksratgeber promoviert hat, im Interview. Doch die Forderung nach Selbstoptimierung könne auch eine Belastung sein.
09.02.2012
Die Fragen stellte Jasmin Maxwell

Was für ein Menschenbild vermitteln Selbsthilferatgeber?

Stefanie Duttweiler: Der Ratgeber ist das Buch zur Zeit: Wenn Sozialleistungen abgebaut werden, ist es nur vernünftig, dass Glücksratgeber dazu anleiten, wie man selbst über sein Leben bestimmen kann. Dabei steht immer das Thema Selbstoptimierung im Vordergrund. Der Tenor ist: Du kannst dich ändern. Hintergründe wie die soziale Herkunft und die Krankheitsgeschichte werden dabei völlig außen vorgelassen. Heute muss der Einzelne immer mehr das tragen, was früher der Staat übernommen hat. Die Ratgeber sagen das zwar nicht explizit so. Sie arbeiten aber indirekt dem neoliberalen Paradigma zu.

Wie empfinden die Leser die Forderung nach Selbstoptimierung?

Duttweiler: Einerseits verbreiten Glücksratgeber die gute Nachricht, dass Verbesserung möglich ist. Das kann für die Leser eine Entlastung sein. Wahrscheinlich stimmt das in gewissem Maße auch, denn das Leben eines Menschen ist nicht komplett durch seine Herkunft und sein Milieu vorherbestimmt. Andererseits stellt die Forderung nach Selbstoptimierung aber auch eine Belastung dar. Denn wirtschaftlicher Erfolg und Gesundheit sind faktisch nicht in gleichem Maße für jeden erreichbar, wie es die Glücksratgeber vermitteln. Das kann für Leser frustrierend sein und auch zu Selbsttäuschung führen.

Inwiefern sind Schwächen und Makel heute gesellschaftlich akzeptiert?

Duttweiler: Ich kenne eigentlich niemanden, der sich gar nicht verbessern will. Zwar gibt es Leute, die sagen: "Ich will so bleiben, wie ich bin." Aber wenn man näher hinsieht, dann machen meistens auch sie irgendetwas: Diäten, Fitness, Wellness oder sie wollen sich weiterbilden. Schwächen werden heute kaum zugelassen, stattdessen werden sie umgewertet zu Indikatoren dafür, wo man sich noch weiter optimieren kann. Es ist toll, wenn es gelingt, seine Fehler in Stärken umzuwandeln. Gleichzeitig zeigt diese Forderung aber, dass man heute eigentlich keine Schwächen mehr haben darf. Zwar lesen nicht alle Menschen Ratgeberliteratur, aber an der Forderung zur Selbstoptimierung kommt niemand vorbei.

epd