Touristen: Auf der Suche nach dem Paradies auf Erden
Die Osterferien stehen vor der Tür – und mit ihnen die Urlaubssaison. Beliebte Ziele der Deutschen: Ägypten, Karibik, Thailand. Die Länder locken mit Sonne, Strand, Meer und einem Schuss Exotik – eben einem Stückchen Paradies. Nur dass in diesen Ländern Revolutionen toben, korrupte Politiker herrschen und sie von Katastrophen heimgesucht werden. Und schon steckt man in der Zwickmühle: Darf man dort Urlaub machen, wo Menschen um Leben und Freiheit kämpfen oder ganz einfach hungern?
08.02.2012
Von Maike Freund

Es sind für die Deutschen noch immer die besten Wochen des Jahres: die Ferien. Zeit, um aus dem Alltag auszusteigen. Zeit für Abenteuer oder Luxus. Zeit zum Entspannen. Und vor allem Zeit, die Sorgen und Probleme zurückzulassen. Auch wenn es immer mal wieder Unfälle gibt wie jüngst im Roten Meer, wo eine dreiköpfige deutsche Familie in einem U-Boot mit Glasboden ertrank: Die Deutschen fahren gerne weg, nach Bayern ebenso wie nach Italien oder Ägypten.

Gleichzeitig können nicht alle Deutschen dieses Jahr so Urlaub machen, wie sie gerne möchten. Das Geld fehlt, zeigt die Tourismusanalyse der Stiftung für Zukunftsfragen. Jeder fünfte hat 2012 eine Urlaubsreise für sich gestrichen. Denn die durchschnittlich 1.012 Euro pro Person können sich nicht alle leisten. Das Fazit: "Die Reise muss bezahlbar bleiben. Das ist das A und O für die unteren Einkommensschichten", mahnt Ulrich Reinhardt, wissenschaftlicher Leiter der Stiftung die Tourismusbranche. Dumm nur, dass gerade in den Urlaubszielen, die erschwinglich sind und trotzdem gutes Wetter garantieren, gerade keine Urlaubsstimmung herrscht. Zum Beispiel in Ägypten.

Und schon steckt man im Zwiespalt: Darf man, soll man dort Urlaub machen, wo es Krisen gibt? Wo Menschen um Freiheit, Demokratie und Menschenrechte kämpfen? Wo Menschen sogar getötet werden? "Eine pauschale Antwort gibt es nicht", sagt Heinz Fuchs von Tourism Watch, dem Informationsdienst für Dritte-Welt-Tourismus des Evangelischen Entwicklungsdiensts (EED). Das könne jeder nur individuell beantworten. "Dabei gibt es viele Fragen, die man sich stellen sollte: Will ich in einem Land Urlaub machen, wo es die Todesstrafe gibt? Kann und möchte ich mich dort erholen, wo Krieg und Gewalt herrschen?"

Tourismus gilt als als Teil des Wirtschaftssystems, das keinen Schaden anrichtet

Fragen, über die viele Menschen gar nicht nachdenken würden, sagt Fuchs. Das liegt auch am Image des Tourismus. Die Prospekte der Veranstalter versprechen eine schöne, heile Welt. Endlose Strände, strahlendblauer Himmel, kristallklares Wasser. Die deutschen Kunden wollen im Urlaub ihre Sorgen zuhause lassen, sie suchen nach dem Paradies. Das Paradies auf Erden gibt es jedoch nicht. Denn in jeder Region auf dieser Erde gebe es in der Realität Konflikte, auch wenn sie nicht immer militärisch seien.

Noch immer gilt Tourismus als "weiße Industrie", als Teil des Wirtschaftssystems, das keinen Schaden anrichtet, sagt Fuchs. Dabei sei er vergleichbar mit der Textilwirtschaft, die auch an vielen Orten Ausbeutung, Kinderarbeit und Umweltverschmutzung verursache. Probleme, die auch durch Tourismus hervorgerufen oder verstärkt werden können. Nicht selten kollidiert Tourismus zum Beispiel mit dem Menschenrecht auf Wasser.

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Dabei ist der Tourismus kein Wirtschaftszweig wie jeder andere. Zwar verkaufen die Veranstalter hier genauso ein Produkt wie in anderen Sparten. "Die Chance liegt jedoch beim Kunden", sagt Fuchs. Denn der holt sich – anders als die Jeans oder die Ananas – das Produkt direkt vor Ort ab. "Gehen Sie in einheimischen Restaurants essen, buchen Sie ihre Unterkunft bei einem regionalen Betreiber", rät Fuchs. So könne man die Wirtschaft vor Ort unterstützen – auch mit kleinem Reisebudget. Und schon vor dem Urlaub könne man im Reisebüro Fragen stellen, um einen Blick hinter die idyllische Urlaubskulisse zu erhaschen: Sind die Angestellten vor Ort sozialversichert? Gibt es ein Umweltmanagement-System? Hat der Veranstalter den Verhaltenskodex zum Schutz von Kinder gegen sexuelle Ausbeutung unterzeichnet? Fuchs: "Es ist die Chance des Konsumenten, Standards einzufordern." Auch wenn das noch viel zu selten passiere.

Wer im Deutschlandtourismus arbeitet, ist im "absoluten Niedriglohnbereich" tätig

Aber trägt Tourismus nicht zur Stärkung der Wirtschaft eines Landes bei? "Das kann man nicht schnell und pauschal mit ja oder nein beantworten", sagt Fuchs. Abhängig sei dies von vielen Aspekten: Ist die Airline eine staatliche des Landes? Wem gehören die Hotels? Werden Produkte aus regionaler Landwirtschaft eingesetzt oder werden viele Produkte importiert? Auch die Infrastrukturkosten blieben oft unberücksichtigt, zum Beispiel für Flughäfen und Straßenbau. Grundsätzlich, sagt Fuchs, werde die positive wirtschaftliche Wirkung für die Menschen im Urlaubsland oft überschätzt. "Auch beim Tourismus ist unser Lebensstil nicht nachhaltig.

Bleibt der Urlaub vor der eigenen Haustür in den Bergen Bayerns oder an Nord- und Ostsee - immer noch die beliebtesten Urlaubsziele der Deutschen. Aber auch das mit dem Urlaub in der Heimat ist so eine Sache: "Über die Arbeitsbedingungen im Discount wird mittlerweile viel berichtet und geredet", sagt Fuchs. "Aber kaum jemandem ist bewusst, dass die vielen Beschäftigten im Deutschlandtourismus, die Bier ausschenken, putzen oder die Betten machen, im absoluten Niedriglohnbereich tätig und oft nicht oder nur unzureichend sozialversichert sind."

Was also tun, wenn der Urlaub vor der Tür steht? Auch für Reisen gibt es mittlerweile Labels. Allerdings gibt es nicht das eine Siegel wie der "Blaue Engel" oder das "Bio-Gütesiegel", das für bestimmte Kriterien in Umweltfragen oder Bioproduktion steht, sondern rund 100 für den Tourismusbereich. Das macht die Informationssuche schwieriger, denn darunter gibt es beispielsweise auch Siegel, die sich die Veranstalter selber geben – unabhängige Beurteilung ist also nicht garantiert. Zusammen mit Partnern aus Österreich und der Schweiz informiert Tourism Watch in einer Broschüre über die führenden Siegel, wie beispielsweise das CSR-Siegel, und was sie eigentlich beurteilen.

Die Touristen der Zukunft kommen aus Indien, Russland und China

Und in Zukunft? Der Reisemarkt verändert sich stark, sagt Fuchs. Das liegt an den neuen so genannte "Quellmärkten" Indien, China, Russland. Deren Mittelschicht könne sich zunehmend das Reisen leisten und werde für die Branche immer wichtiger. "Gleichzeitig sind dies Länder, für die menschenrechtliche oder sozial-ethische Fragen in Sachen Urlaub noch viel weiter weg sind als bei uns", sagt Fuchs.

Und dann ist da ja auch noch unsere Suche nach dem Paradies auf Erden. "Reisen kann nur inmitten der Zerrissenheit der Welt stattfinden", sagt Fuchs. "Die Illusion von der heilen Welt ist nur abgeschottet von der Wirklichkeit, in speziellen Ressorts möglich – fernab der Realität." Aber ist das die Art Urlaub, die Art der Weltwahrnehmung, die wir wollen?


Maike Freund ist Redakteurin bei evangelisch.de