Eine gute halbe Stunde ist noch Zeit vor dem Gottesdienst, an dem ein neuer Gemeindepfarrer in dem kleinen fränkischen Ort Bertholdsdorf eingeführt wird. Ein Auto nach dem anderen biegt in die Hauptstraße ein, dick eingemummte Feuerwehrmänner regeln den Verkehr, Frauen tragen Platten mit belegten Brötchen in das Gemeindehaus und der neue Pfarrer gibt schon dem zweiten Fernsehteam an diesem eiskalten Februarsonntag ein Interview. Der Rummel ist groß - schließlich wird nicht alle Tage ein früherer evangelischer bayerischer Landesbischof ein normaler Dorfpfarrer. Ex-Bischof Johannes Friedrich macht diesen Schritt und vor seiner Amtseinführung, gibt er offen zu: "Ich bin schon aufgeregt."
Aber dann steht er auf "seiner" Kanzel vor seiner Gemeinde im Glanz der durch die Buntglasfenster veränderten Wintersonne. Friedrich wirkt sicher und souverän und versichert seinen Bertholdsdorfern, dass nicht alle Tage so viele Medienvertreter im Dorf sein werden. Seit drei Tagen ist er ihr Pfarrer und in dieser kurzen Zeit hat er bereits gemerkt, wie gut es ihm hier geht. Die Mutter des Konfirmanden Christoph hat Krapfen gebacken, die er probieren durfte und Konfirmandin Jeanine hat im Unterricht einen selbst gemachten Kuchen kredenzt.
Die kulinarischen Vorteile eines Dorfpfarrerlebens schildert dem "Neuen" auch der Senior des Pfarrkapitels, Gilbrecht Greifenberg. Er rät "Bruder Friedrich", sich auch mit Geräuchertem und Eiern beschenken zu lassen, diese Gaben habe er selbst auch schon genossen. Friedrich hat jahrelange Erfahrung als Studentenpfarrer, als Dekan in der Großstadt Nürnberg, als Probst von Jerusalem und schließlich als Landesbischof einer Kirche mit 2,6 Millionen Evangelischen. Aber ein Dorfpfarrer ist der heute 63-Jährige in seiner ganzen Dienstzeit noch nie gewesen. Solche Hinweise wie die des Kollegen Greifenberg kann er also brauchen.
"Mir wurde angst und bang – heiß und kalt"
Rund 200 Gottesdienstbesucher verfolgen die Amtseinführung Friedrichs. Dabei muss sich auch ein früherer Bischof und einer der prominentesten Protestanten des Landes verpflichten, sein "Seelsorgeamt gewissenhaft zu führen und sich zu verhalten, wie es seinem Auftrag entspricht". Die Ernennungsurkunde hat der Nachfolger als Bischof unterschrieben: Heinrich Bedford-Strohm. Friedrichs neuer Vorgesetzter gibt sie ihm. Den Windsbacher Dekan Horst Heißmann kennt der neue Bertholdsdorfer Pfarrer noch aus Studienzeiten. Heißmann freut sich über die zahlreichen anwesenden Journalisten und darüber, "dass die Welt erfährt, dass es Bertholdsdorf gibt. Die Menschen, die hier wohnen, sind aller Aufmerksamkeit wert."
Diese Bertholdsdorfer werden an diesem Nachmittag viel gelobt. Sie seien eine Gemeinde, in der noch eine gute fränkische Kirchlichkeit herrsche. Sollten einmal vier Feiertage nacheinander sein, würden sie auch am vierten Tag noch in den Gottesdienst kommen. Außerdem kann hier ein ehemaliger Landesbischof "Eindrücke sammeln, was an ehrenamtlicher Arbeit geleistet wird", sagt die Präsidentin der Dekanatssynode Christa Wittmann, die unter den Gästen ist.
Dass Friedrich in seinen letzten beiden Dienstjahre ausgerechnet in dem Ort bei Windsbach arbeiten wollte, hat der Vertrauensfrau des Kirchenvorstands und Mesnerin, Elfriede Ostertag, erstmal einen Schrecken eingejagt. Ausgerechnet in der "aufmüpfigen Gemeinde", die sich vor knapp zehn Jahren vehement gegen die Kürzung ihrer Pfarrstelle gewehrt hatte, klopfte der Regionalbischof Christian Schmidt für seinen Freund Friedrich im Sommer des vergangenen Jahres an. Ostertag gibt es offen in ihrer Grußrede zu: "Mir wurde angst und bang – heiß und kalt".
Im Gemeindebrief kann man nachlesen, dass er es ernst meint mit dem Dorfpfarrersein
Bedenken waren in der Gemeinde da: Werde der ehemalige Landesbischof überhaupt genug Zeit haben und für sie erreichbar sein? Schließlich ist er noch im Rat der Evangelischen Kirche Deutschlands (EKD), er trägt innerhalb der EKD Verantwortung für die Arbeit in Jerusalem, er ist Präsident der Deutschen Bibelgesellschaft und neuerdings auch Vorsitzender des bayerischen Zentralbibelvereins und wird in diesen Funktionen viel unterwegs sein. Friedrich spricht diese Punkte in seiner Einführungspredigt an. Er wolle nicht ehemaliger Landesbischof genannt werden, sondern einfach Pfarrer sein. Und als erfahrener Theologe und Rhetoriker leitet er von diesem Thema elegant zum Predigttext über: "Der Weise rühme sich nicht seiner Weisheit, und der Starke rühme sich nicht seiner Stärke, der Reiche rühme sich nicht seines Reichtums, "und muss man nicht fortfahren, der Titelträger rühme sich nicht seines Titels?".
Auch im Gemeindebrief ist schon nachzulesen, dass er es ernst meint mit dem Dorfpfarrersein: An drei von vier Sonntagen wird er den Gottesdienst halten. Den fünf Konfirmanden hat er sich zugewandt und sie kommen alle in seiner Einführungspredigt vor. Und er hat im Gemeindebrief seine Handynummer veröffentlicht: "Scheuen Sie sich nicht, mich anzurufen", hat er da geschrieben. "Was immer Sie auf dem Herzen haben."