Sprache: Latein ist tot - falsch gedacht!
Sie ist die Sprache der Römer und gilt eigentlich als tot: Latein. Doch im Norden der Republik ist sie wiederauferstanden. Radio Bremen veröffentlicht schon seit mehr als zehn Jahren Nachrichten auf Latein. Was einst eine Folge einer Protestaktion war, gehört heute zum festen Angebot des Internetauftritts des Radiosenders.
03.02.2012
Von Rosa Legatis

Die Sprache gilt zwar als tot, die Ereignisse, über die berichtet wird, sind trotzdem ganz aktuell: Zum Programm von "Nunti Latini Septimanales" und "Nuntii Latini mensis" – den Wochennachrichten und Monatsnachrichten von Radio Bremen (RB) - gehören Meldungen wie die geplanten Sanktionen gegen den Iran oder die Affäre um Bundespräsident Christian Wulff genauso wie zu anderen Nachrichtenformaten - nur eben auf Latein.

Seit zehn Jahren gibt es dieses Angebot auf der Internetseite von Radio Bremen. Verantwortlich dafür sind der Leiter des Nordwestradios, (ein gemeinsames Programm von RB und NDR), Jörg-Dieter Kogel, und sieben weitere Mitstreiter. Sie alle lieben Latein – und die meisten von ihnen sind oder waren im normalen Berufsleben Lehrer. Nun widmen sie sich alle ehrenamtlich dieser nachrichtlichen Leidenschaft. "Es ist eine wunderbare Freizeitbeschäftigung", so der Radiomann Kogel – und er schließt sich dem Schriftsteller Günter Grass an, der schon kurz vor der Gründung der Bremer Lateinnachrichten meinte: "Ich bin dafür, dass man auch das sogenannte Unwichtige lernt." Es sei schön, so Kogel, etwas zu machen, ohne davon einen Profit zu haben, bis auf "eine intelligente Form der Unterhaltung". Denn für die Macher der Lateinnachrichten ist es ein Vergnügen zu schauen, "wie die Römer zum Beispiel das Wort 'Mondlandung' übersetzt hätten".

Startschuss war ein Protest 

2001 nahm das damalige Projekt seinen Anfang. Startschuss war der Plan der Bremer Schulbehörde, die Latein-Leistungskurse abzuschaffen. Aus Protest schlossen sich Eltern zusammen – darunter auch der Programmleiter des Nordwestradios, Vater von drei Töchtern. Am Ende blieb an Bremens Schulen alles beim Alten – dafür "war beim Bier in der Kneipe" die Idee für die Lateinnachrichten entstanden, erinnert sich Jörg-Dieter Kogel. Dabei sei es nicht so leicht gewesen, die richtigen Latein-Experten für das Projekt zu finden – von Anfang an sollte die Qualität stimmen. "Wir haben da echte Spitzenleute gefunden", so Kogel – er sei der miserabelste von allen.

Im Laufe des vergangenen Jahrzehnts haben sich die Lateinnachrichten immer mehr verändert und werden mittlerweile weltweit gelesen – aus Kolumbien, China, Damaskus und Jordanien melden sich die Latein-Freunde in Bremen. "Es ist bemerkenswert, wie weit das reicht." Auch im Reich der Mitte lernen Menschen Latein.

Die Nachrichten sind ein Gemeinschaftswerk

Die journalistische Vorarbeit für die Nachrichten übernimmt Kogel. Er schreibt die Meldungen auf Deutsch vor. Dann ist das Übersetzerteam dran, das auch nach zehn Jahren noch keinerlei "Ermüdungserscheinungen" zeigt, berichtet der Nachrichtenmann schmunzelnd. Für die monatlichen Rückblicke trifft sich die Redaktion, gemeinsam wird dann an den Formulierungen gefeilt. Denn nicht immer kann man alle Begriffe einfach ins Lateinische übertragen: Aus "Ufo" machte das Übersetzerteam "orbes volantes" ("fliegende Kreise") und aus Elektroauto wurde "autocinetum electricum". Auch die Aussprache ist nicht immer ganz eindeutig. Die anfänglichen Streits sind mittlerweile beigelegt – jeder spricht beispielsweise Cicero so aus, wie es die Schule vorgibt, zu der der jeweilige Übersetzer gehört.

Für die wöchentlichen Nachrichten werden die Meldungen per E-Mail versendet, vom Team übersetzt und gegengelesen. Am Ende werden sie, wie auch die monatlichen Rückblicke, noch im Studio vertont. Mittlerweile werden auch Fernsehbeiträge des RB-Regionalprogramms "buten un binnen" bearbeitet und sind im Internet als Videos abrufbar. Dazu gehört auch, dass über die deutschen Interviews lateinische Texte gesprochen werden. Ausgesucht werden dafür Filme, "die mit Bremen zu tun haben und darüber hinaus interessant sind".

Weltweit gibt es kaum Konkurrenz

Auch Nachrichten von Kindern für Kinder auf Latein gehören zum Angebot. Ausgesucht und übersetzt werden diese von Sechst- und Siebtklässlern als Teil des Unterrichts – sie sprechen diese dann auch selbst ein. "Die Kinder kommen mit leuchtenden Augen ins Studio", berichtet Jörg-Dieter Kogel. Die Mädchen und Jungen würden dabei merken, dass sie etwas können, eine Sprache, die sonst fast niemand kann. "Die merken, das macht Spaß – und das ist ein guter Grund für die Kinder, Latein zu lernen."

Fast konkurrenzlos sind die Bremer Altphilologen mit ihren Lateinnachrichten. Nur der öffentlich-rechtliche Rundfunk in Finnland und Radio Vatikan – dieser Sender allerdings nur mit kirchlichen Meldungen – haben noch ähnliche Angebote. Da die Macher ehrenamtlich arbeiten, kostet das Internetangebot auch keine Gebühren, betont der Programmleiter des Nordwestradios - über den Äther gehen die Lateinnachrichten nicht. Die Meldungen werden von dem Übersetzerteam Radio Bremen zur Verfügung gestellt. "Wir sagen: Macht damit, was ihr wollt – und der Sender ist hocherfreut darüber". 


Rosa Legatis ist freie Journalistin.