Ägypten: Neue Gewalt nach tödlichen Fußball-Krawallen
Die Lage in Ägypten nach den Gewaltexzessen im Anschluss an ein Fußballspiel bleibt explosiv. Demonstranten und Sicherheitskräfte liefern sich Straßenschlachten. In Suez starben zwei Menschen. In Kairo wurden Hunderte verletzt.

Das Blutvergießen in Ägypten geht weiter. In Suez starben bei Zusammenstößen mit Sicherheitskräften zwei Menschen. Wie der US-Sender CNN am Freitagmorgen unter Berufung auf den Manager eines Krankenhauses berichtete, wurden die beiden erschossen. 25 Protestierer wurden nach Polizeiangaben verletzt.

Zuvor hätten Hunderte Protestierende das Hauptquartier der Sicherheitskräfte in Suez mit Steinen und Molotow-Cocktails angegriffen, zitierte der Sender einen hohen Polizeioffizier. Die Sicherheitskräfte hätten Tränengas eingesetzt und in die Luft geschossen. Auslöser der jüngsten Unruhen waren blutige Krawalle nach einem Fußballspiel am Mittwochabend in Port Said, bei denen mindestens 71 Menschen getötet und Hunderte verletzt worden waren.

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Bei Zusammenstößen zwischen Demonstranten und Sicherheitskräften wurden am Donnerstag in Kairo nach Angaben des Gesundheitsministeriums mehr als 600 Menschen verletzt. Fast 10.000 Menschen hatten sich vor dem Innenministerium versammelt, um gegen die Untätigkeit der Sicherheitskräfte bei den tödlichen Fußball-Krawallen zu protestieren. Sie riefen Slogans gegen den herrschenden Militärrat und die Polizei.

"Das ist Krieg und kein Fußball"

Der Abpfiff des Spiels schien für die Schläger ein Startsignal zu sein. Von allen Seiten stürmten sie auf das Fußballfeld und nahmen die Verfolgung der Spieler der Gegenmannschaft auf. Die Profis des beliebten Kairoer Klubs Al-Ahli rannten um ihr Leben. Anhänger der Heimmannschaft Al-Masri in Port Said setzten mit Flaschen, Steinen und Messern nach. Die Bilanz nach dem Mittwochspiel: 71 Tote, Hunderte Verletzte. Wie Fernsehaufnahmen zeigten, hatten Polizei und Militär am Mittwoch in Port Said tatenlos zugesehen.

Nach dem ersten Schock begann in Ägypten die Suche nach den Schuldigen. Diese Aktion sei von langer Hand geplant worden, zeigten sich Teammitglieder von Al-Ahli überzeugt. Der Mannschaftsarzt wurde von der Zeitung "Al-Masry Al-Youm" mit den Worten zitiert: "Das ist Krieg und kein Fußball." Diskussionen über die Hintergründe entbrannten. Al-Masri hatte doch den Gegner aus Kairo mit 3:1 geschlagen. Warum sollten gerade Fans des siegreichen Teams so wütend angreifen? Ahli-Fans, die eine prominente Rolle bei der vor einem Jahr begonnenen Revolution in Ägypten spielten, kündigten Demonstrationen gegen den herrschenden Militärrat an.

Muslimbruderschaft sieht "dubiose Kräfte" am Werk

Nach den Gewaltexzessen zog die ägyptische Regierung erste Konsequenzen. Während einer Sondersitzung des Parlaments gab Ministerpräsident Kamal al-Gansuri am Donnerstag bekannt, dass er die Führung des ägyptischen Fußballverbandes abgesetzt und den Gouverneur von Port Said abgelöst habe.

Die Muslimbruderschaft - stärkste Fraktion in Ägyptens neuem Parlament - sah Mächte am Werk, die dem Übergang des nordafrikanischen Landes in eine friedliche Demokratie schaden wollten. Es gehe um "dubiose Kräfte", die eng mit dem früheren Regime von Präsident Husni Mubarak in Verbindung stünden, lautete ihre Erklärung. Die Jugendbewegung hielt den regierenden Militärrat für verantwortlich. Das Motiv: Die Generäle könnten sich als Garant für Stabilität profilieren - und mit dem Versprechen eines starken Staates, der die Bürger besser schützt, auch künftig an der Macht bleiben.

Ägypter haben lange Jahre schmerzhafte Erfahrung mit bezahlten Schlägertrupps gemacht, die regelmäßig zur Einschüchterung der Bürger eingesetzt wurden. Gerade während der Wahlen unter Mubarak wurde das Volk auf diese Art gefügig gemacht. Während der Massenproteste vor einem Jahr, die zum Sturz des langjährigen Machthabers führten, bäumte sich das Regime noch einmal auf und brachte sämtliche Repressalien zum Einsatz.

Zunächst schürte es Angst: Die Polizei zog sich zurück, Häftlingen gelang ominöserweise die Massenflucht aus den Gefängnissen. Angreifer - die häufig als Polizisten in Zivil identifiziert wurden - kamen in die Wohnviertel, brandschatzten, plünderten. Schließlich stürmten bezahlte Schläger auf Kamelen den zentralen Tahrir-Platz in Kairo und ritten unter den Augen der Sicherheitskräfte friedliche Demonstranten nieder.

Dreitägige Staatstrauer

So fällt auch nach der Ära Mubarak der Verdacht bei exzessiven Gewaltausbrüchen sofort auf eigens dafür engagierte Banden. Das war nach den tödlichen Ausschreitungen zwischen Christen und Muslimen im Oktober in der Kairoer Innenstadt der Fall und auch bei den jüngsten Krawallen auf dem Tahrir-Platz.

Tatsache ist aber auch, dass die Polizei nicht mehr so massiv in der Öffentlichkeit präsent ist und Kriminelle das immer wieder ausnutzen. Organisierte Gewalt, die nicht vom Staat ausgeübt wird, ist ein neues Phänomen. Allein in den vergangenen Tagen gab es mehrere spektakuläre Banküberfälle in der Hauptstadt und den Vororten, bei denen mehrere hunderttausend Euro erbeutet wurden.

Dass unter den sogenannten Ultras, dem harten Kern der ägyptischen Fußballfans, Gewalt ausbricht, ist indes keine neue Entwicklung. Doch in dieser Brutalität hat es das noch nicht gegeben.

Im sozialen Netzwerk Facebook und dem Mitteilungsdienst Twitter diskutieren Ägypter, ob den Ahli-Fans wegen ihrer wichtigen Rolle beim Sturz Mubaraks ein Denkzettel verpasst werden sollte. Die Ahli-Ultras waren eine Speerspitze der Revolution. Sie stellten sich der Polizei und Schlägerbanden entgegen. Frauen berichteten auf Twitter, wie Ultras sie vor Schergen des alten Regimes geschützt hätten. Die Ahli-Jugend geht auch heute noch für ihre Revolution auf die Straße. Bis Samstag gedenken jetzt die fußballverrückten Ägypter während einer dreitägigen nationalen Trauer des schwärzesten Tages ihres Lieblingssports.

"Der Militärrat kann für gewaltfreie Wahlen sorgen, aber ein Fußballspiel nicht absichern?"

Das Parlament will jetzt binnen einer Woche die genauen Umstände für das Blutvergießen klären lassen. Ursache dafür sind nicht enden wollende Spekulationen, dass die Gewalt politisch motiviert war. Ziel sei es, die Revolution zu diskreditieren und den demokratischen Wandel zu stoppen, hieß es in Online-Diskussionsforen. Das Militär wolle Chaos säen, um sich als Schutzmacht unverzichtbar zu machen. Nach einer anderen Theorie wollten die Sicherheitskräfte den Ahli-Fans einen Denkzettel verpassen, weil sie Demonstranten vor der Gewalt des Militärs schützten.

Die Opposition attackierte das Militär scharf. Die Bewegung des 6. April, die mit ihren Massenprotesten vor einem Jahr den Sturz Mubaraks herbeigeführt hatte, erklärte, die Generäle verursachten das Chaos, um die Ägypter davon zu überzeugen, dass das Land ohne den Militärrat nicht zu regieren sei.

Vorgesehen ist, dass der Militärrat um Feldmarschall Mohammed Hussein Tantawi die Macht bis Ende Juni an einen neu gewählten Präsidenten abgibt. Die Jugendbewegung fragte: "Ist es logisch, dass der Militärrat für gewaltfreie Wahlen sorgen, aber ein Fußballspiel nicht absichern konnte?"

dpa