"Renn, wenn du kannst", 8. Februar, 20.15 Uhr auf Arte
Der Titel ist perfide, denn rennen kann Ben nur noch in seinen Träumen: Seit einem Unfall ist er querschnittsgelähmt. Seine Verbitterung verbirgt er hinter Sarkasmus, seine Zivildienstleistenden behandelt er wie Sklaven, was einen entsprechenden Verschleiß zur Folge hat. Erst Zivi Christian gelingt es, dem intelligenten Zyniker die Stirn zu bieten. Die beiden werden sogar Freunde. Aber das, was sie am meisten verbindet, steht auch zwischen ihnen: die Liebe zur selben Frau. Ben hat Annika schon seit zwei Jahren täglich mit dem Fernrohr beobachtet; Christian lernt die Cellistin eher zufällig kennen, als sie ihn mit dem Fahrrad über den Haufen fährt.
Mit wenig Geld, aber dafür um so größerer Zuneigung zu den drei Hauptfiguren erzählen Dietrich und Anna Brüggemann diese "Jules und Jim"-Geschichte: Der Bruder führt Regie, die Schwester spielt die weibliche Hauptrolle, das Drehbuch haben sie gemeinsam geschrieben. Die Ästhetik ist sparsam, die Kamera bewegt sich nur wenig, dafür wird um so mehr (und manchmal auch ein bisschen zuviel) geredet. Das macht aber nichts, weil Robert Gwisdek (als Ben) und Jacob Matschenz (als Christian) gemeinsam mit Anna Brüggemann ein unwiderstehliches Trio bilden. Außerdem bieten diverse Szenen von verblüffender Heiterkeit immer wieder kurzweilige Abwechslung. Meist sind sie im Grunde eher tragisch als witzig; erst Bens Galgenhumor sorgt für die komische Wendung.
Schmerzlicher Abschied von der Kindheit
Darüber hinaus geht es natürlich auch um den typischen Schmerz, den jede Metamorphose und erst recht der Abschied von der Kindheit mit sich bringt. Die Beziehung der beiden jungen Männer zu Annika entwickelt sich dagegen quasi subkutan, hinter den Bildern. Am Ende fühlt sie sich zwar stärker zu Ben hingezogen, doch der doziert ziemlich abgeklärt darüber, wie unmöglich die Liebe zwischen Rollstuhlfahrern und Nichtbehinderten sei. Der missratene Versuch, die Liebe auch körperlich zu vollziehen, ist bittere Bestätigung. Überhaupt zeigt Brüggemann den Behindertenalltag ziemlich ungeschminkt: von der mühsamen Prozedur, ins Auto zu klettern, bis hin zu der Herausforderung, diverse Stockwerke zu überwinden, wenn mal der Strom ausfällt.
Bens böse Sprüche sind die Würze der Geschichte, doch der Film lebt auch von vielen schönen Ideen, die nicht bloß witzig und originell sind, sondern immer wieder auch für eine elegante Verbindung zwischen den einzelnen Szenen sorgen. Zu diesen Triebfedern der Handlung gehört beispielsweise eine Büste, bei der nie ganz klar wird, ob sie nun Bach oder Goethe darstellt; jedenfalls fällt sie ständig irgendwo runter. Und auch Bens Fortbewegungsmittel sind Motoren der Geschichte, zumal sein Pontiac Bonneville Cabrio ein Traum ist. Am Schluss wird es dann richtig surreal, aber auch das passt zu diesem wunderbaren großen kleinen Film.
Der Autor unserer TV-Tipps, Tilmann P. Gangloff, setzt sich seit über 20 Jahren als freiberuflicher Medienkritiker unter anderem für "epd medien" mit dem Fernsehen auseinander. Gangloff (geb. 1959) ist Diplom-Journalist, Rheinländer, Vater von drei Kindern und lebt am Bodensee. Er gehört seit Beginn der 1990er Jahre regelmäßig der Jury für den Adolf-Grimme-Preis an und ist ständiges Mitglied der Jury Kinderprogramme beim Robert-Geisendörfer-Preis, dem Medienpreis der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD).