TV-Tipp des Tages: "Plötzlich 70!" (Sat.1)
Mode-Designerin Mel führt ein Leben auf der Überholspur, ordnet ihr Dasein komplett der Karriere unter und vernachlässigt dafür die Menschen, die ihr lieb und teuer sein sollten.
03.02.2012
Von Tilmann P. Gangloff

"Plötzlich 70!", 7. Februar, 20.15 Uhr auf Sat.1

"Plötzlich fett!" hieß eine Komödie, die Sat.1 im letzten Sommer gezeigt hat: Ein Fitness-Guru wurde für seine Arroganz gegenüber allen Dicken bestraft, indem er über Nacht kolossal verfettete. "Plötzlich 70!", man ahnt es, erzählt im Grunde die gleiche Geschichte, bloß mit anderem Vorzeichen: Mode-Designerin Mel (Yvonne Catterfeld) führt ein Leben auf der Überholspur, ordnet ihr Dasein komplett der Karriere unter und vernachlässigt dafür die Menschen, die ihr lieb und teuer sein sollten. Außerdem sind ihr alle ein Graus, die ihr irgendwie im Weg stehen; sei es an der Kasse im Supermarkt oder bei der Arbeit, wo eine ältere Schneiderin für Mels Geschmack viel zu langsam arbeitet. Um der Designerin einen Denkzettel zu verpassen, reibt eine thailändische Masseurin sie mit einem Zauberöl ein, denn "die Schildkröte sieht mehr vom Weg als der Hase." Mel erblickt allerdings erst mal vor allem Falten: Als sie am nächsten Morgen aufwacht, sieht sie älter aus als ihre Mutter (Ursela Monn).

Wie schon in "Plötzlich fett!", als Sebastian Ströbels Gewicht sehr überzeugend aufs Doppelte aufgeblasen würde, so hat das Maskenbild auch diesmal verblüffende Arbeit geleistet. Wer zufällig in den Film reinschaltet und nicht weiß, wer die Hauptrolle spielt, wird Yvonne Catterfeld unter den diversen Silikonzusätzen nicht erkennen. Im Gesicht der alten Frau gehören allein noch die Augen und die Unterlippen der Schauspielerin, der Rest ist künstlich; aber höchst glaubwürdig.

Wettbewerb mit der Chefdesignerin

Natürlich dient die Geschichte vor allem ihrer Moral. Buch (Daniel Scotti-Rosin) und Regie (Matthias Steurer) halten sich in dieser Hinsicht aber merklich zurück, der charakterliche Wandel Mels vollzieht sich eher im Hintergrund, denn selbstredend sieht sie überhaupt nicht ein, ihre Ziele aufzugeben, bloß weil ihre junge Seele in einem alten Körper steckt. Auslöser der ganzen Geschichte war ihre Entscheidung, zum dritten Mal einen Urlaub mit ihrem Freund (Steffen Groth) zu verschieben. Eigentlich wollte Mark ihr auf Bali einen Heiratsantrag machen, aber dann bietet Mels Chef ihr eine einmalige Chance: Im Wettbewerb mit der Chefdesignerin des Unternehmens hat sie eine Woche Zeit, Entwürfe für die Stewardess-Uniformen einer deutschen Fluggesellschaft vorzulegen.

Nachdem ihr der demografische Wandel über Nacht am eigenen Leib widerfahren ist, kann sie natürlich nicht mehr in die Firma; jedenfalls nicht als Mel. Sie erzählt Mark, sie sei in New York, entschuldigt sich im Betrieb mit Windpocken, und zieht zu ihrer Mutter. Bei der regelmäßig von ihrer Konkurrentin sabotierten Realisierung ihrer Entwürfe hilft ihr ausgerechnet die alte Näherin, über die sie immer geschimpft hat. Und weil Mels siebzigjähriger Körper ihrem geistigen Tempo ohnehin nicht gewachsen ist, dämmert ihr langsam, dass das Leben viel zu kurz ist, um es auf der Überholspur zu verbringen. Eine sehenswerte, durchaus auch nachdenkliche Komödie. Und das von einem Sender, der nach wie vor dem Jugendwahn frönt, denn auch für Sat.1 sind nur die Zuschauer unter fünfzig werbrelevant.


Der Autor unserer TV-Tipps, Tilmann P. Gangloff, setzt sich seit über 20 Jahren als freiberuflicher Medienkritiker unter anderem für "epd medien" mit dem Fernsehen auseinander. Gangloff (geb. 1959) ist Diplom-Journalist, Rheinländer, Vater von drei Kindern und lebt am Bodensee. Er gehört seit Beginn der 1990er Jahre regelmäßig der Jury für den Adolf-Grimme-Preis an und ist ständiges Mitglied der Jury Kinderprogramme beim Robert-Geisendörfer-Preis, dem Medienpreis der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD).