"Tatort: Kein Entkommen", 5. Februar, 20.15 im Ersten
Schon der Titel deutet an, dass dieser ORF-Krimi ein "Tatort" von seltener Düsternis ist. Die Menschen sterben wie die Fliegen, als wär’s ein Stück von Henning Mankell. Die Abgründe, in die sich Fabian Eder (Regie und Kamera) vorwagt, enthalten das Grauen schlechthin. Die Geschichte wurzelt in den Neunzigern, als in Jugoslawien ein furchtbarer Bürgerkrieg tobte und im Namen konkurrierender Religionen oder einfach nur zum Spaß grässlichste Verbrechen verübt wurden. Mirko Gradic (Christoph Bach) war als Mitglied einer Bande, die sich "Heilige Tiger" nannte, einer der Täter; bis er irgendwann desertierte, nach Wien flüchtete, heiratete und als Josef Müller ein völlig neues Leben begann. Weil er damals alle Gräueltaten fein säuberlich in einem Schulheft notiert hat, ist er aus Sicht der serbischen Milizen eine wandelnde Zeitbombe, die um jeden Preis unschädlich gemacht werden muss.
Trügerische Sicherheit
Eder, der das Drehbuch gemeinsam mit Lukas Sturm geschrieben hat, erzählt die Geschichte als Thriller mit Krimi-Elementen: Nach einem Mordversuch, dem ein völlig unbeteiligter Student zum Opfer fällt, sucht Gradic Schutz bei der Polizei. Seine Spannung bezieht der Film vor allem aus der Frage, ob und wie es gelingt, den Mann, seine Frau und den kleinen Sohn vor den serbischen Schergen zu beschützen, denn die Sicherheit ist trügerisch: Als die Killer das Haus stürmen, in dem die Familie untergebracht worden ist, kommt es zum Blutbad.
Mit einer eindeutigen Haltung, die sich der stets auf politische Korrektheit bedachte deutsche "Tatort" nie trauen würde, zieht Eder für seinen ORF-Krimi eine klare Linie zwischen den Guten und den Bösen. Die Verbrecher morden, ohne mit der Wimper zu zucken. Fast wirkt es ein wenig kraftlos, wenn Sonderermittler Eisner (Harald Krassnitzer) davor warnt, alle Serben über einen Kamm zu scheren. Mit ihren zynischen Sprüchen erinnert die Mörderbande ohnehin jene hinterhältigen Schurken aus dem Action-Kino, die vom Helden ohne moralische Skrupel aus dem Weg geräumt werden dürfen. Allerdings gibt es einen deutlichen Unterschied zwischen Killern und Polizisten: Die Gesetzeshüter gehen nicht einfach zur Tagesordnung über, wenn sie jemanden erschossen haben.
Trotz der schlicht anmutenden Schwarzweiß-Dramaturgie ist das Drehbuch sorgfältig durchdacht. Die Grippewelle, die halb Wien flachlegt, sorgt nicht nur für Momente von seltener Heiterkeit, sondern bringt auch den vermeintlich längst verstorbenen Drahtzieher ins Spiel, den "Heiligen", der wie so viele andere nach dem Ende des Bürgerkriegs ebenfalls in Wien untergetaucht ist; die österreichische Hauptstadt ist heute die viertgrößte serbische Stadt der Welt. Ein komplexer und fesselnder "Tatort", der – auch das legt schon der Titel nahe - noch längst nicht zu Ende ist, wenn die Schurken überwältigt worden sind. Und eine große Rolle für Christoph Bach, der den Exilserben mit einem sehr überzeugenden Akzent ausstattet und die ganze Vielschichtigkeit dieser Rolle auskostet. Dass man relativ früh ahnt, in welche Identität der "Heilige" geschlüpft ist, zumal Eder selbst den entscheidenden Hinweis gibt, tut der Spannung keinen Abbruch.
Der Autor unserer TV-Tipps, Tilmann P. Gangloff, setzt sich seit über 20 Jahren als freiberuflicher Medienkritiker unter anderem für "epd medien" mit dem Fernsehen auseinander. Gangloff (geb. 1959) ist Diplom-Journalist, Rheinländer, Vater von drei Kindern und lebt am Bodensee. Er gehört seit Beginn der 1990er Jahre regelmäßig der Jury für den Adolf-Grimme-Preis an und ist ständiges Mitglied der Jury Kinderprogramme beim Robert-Geisendörfer-Preis, dem Medienpreis der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD).