Hartes Vorgehen der Behörden gegen Bürgerrechtler und tödliche Schüsse auf demonstrierende Tibeter überschatten den Besuch von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) in China. Einen Tag vor ihrer Abreise an diesem Mittwoch wurde der langjährige Dissident Zhu Yufu am Dienstag wegen "Anstiftung zur Untergrabung der Staatsgewalt" vor Gericht gestellt. Ihm droht eine mehrjährige Haftstrafe. Menschenrechtsgruppen forderten die Kanzlerin auf, in Peking die verschärfte Verfolgung von Dissidenten und den gewaltsamen Einsatz von Sicherheitskräften bei Tibeter-Protesten anzusprechen.
Die Kanzlerin soll am Donnerstag zu Gesprächen mit Regierungschef Wen Jiabao in Peking eintreffen. Am Freitag wird Merkel nach einem Termin mit Staats- und Parteichef Hu Jintao nach Guangzhou (Kanton) in Südchina weiterreisen. Im Mittelpunkt der dreitägigen Reise stehen die Euro-Krise und der neue EU-Sparpakt sowie internationale Fragen wie Iran, Syrien und Nordkorea. Auch die Menschenrechte und die "besorgniserregende Lage" der Tibeter müssten zentrale Themen sein, forderte Kai Müller von der International Campaign for Tibet (ICT).
Erneut Tibeter erschossen
Bei Protesten von Tibetern in Südwestchina hatten chinesische Sicherheitskräfte vergangene Woche nach exiltibetischen Angaben sieben Menschen erschossen. Die Lage in den betroffenen Gebieten in Südwestchina und in Tibet selbst ist seither angespannt. Klöster und Tempel nahe Lhasa wurden aufgefordert, Sicherheitsmaßnahmen zu verschärfen. Auch mit Kontrollen an Straßensperren will der Parteichef der tibetischen Hauptstadt, Qi Zhala, gegen "Separatisten" vorgehen, wie aufmüpfige Tibeter gerne beschrieben werden.
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Hunderte tibetische Pilger wurden nach Angaben der exiltibetischen Regierung bei ihrer Rückkehr aus Nepal an Kontrollpunkten festgenommen und mit dem Zug vom Bahnhof in Lhasa ins Innere Chinas transportiert. Die Polizei wolle die tibetischen Heimkehrer verhören, ob sie "politische Aktivitäten" planten, wurden Quellen zitiert.
"Es ist an der Zeit, Chinesen!"
Auch gegen Bürgerrechtler wird weiter hart durchgegriffen: In Hangzhou in der ostchinesischen Provinz Zhejiang wurde kurzer Prozess mit dem Veteranen der Demokratiebewegung in China, Zhu Yufu, gemacht. Vor allem wegen eines Gedichts, das als Aufruf zu Protesten verstanden wurde, wurden dem 58-Jährigen umstürzlerische Aktivitäten vorgeworfen, wie Anwalt Li Dunyong telefonisch der Nachrichtenagentur dpa berichtete. Das Urteil werde im Februar erwartet.
Der seit Ende der 70er Jahre aktive Bürgerrechtler war im März 2011 nach Aufrufen zu "Jasmin-Protesten" nach arabischem Vorbild in China inhaftiert worden. "Wenn dieses Gedicht nicht gewesen wäre, hätten sie ihn wohl nicht festgenommen", berichtete sein Anwalt. Darin heißt es: "Es ist an der Zeit, Chinesen! Der Platz gehört jedem. Die Füße sind eure. Es ist an der Zeit, eure Füße zu benutzen und auf den Platz zu gehen, um eine Entscheidung zu treffen."
Merkel will für Dissidenten eintreten
Die Anklage warf Zhu Yufu auch seine Aktivitäten in der verbotenen Demokratischen Partei Chinas, Aufrufe zur Unterstützung inhaftierter Aktivisten, Interviews sowie Schriften vor, die er während der "Jasmin"-Aufrufe veröffentlicht hatte. Wegen seines Einsatzes für Demokratie hat der zum Christentum bekehrte Zhu Yufu früher bereits neun Jahre im Gefängnis gesessen. Seit Ende Dezember waren schon drei andere Bürgerrechtler wegen ähnlicher Vorwürfe zu ungewöhnlich hohen Haftstrafen von neun und zehn Jahren verurteilt worden.
Vor ihrem Aufbruch nach China hat Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) Gespräche über Freiheit und den Umgang mit Dissidenten angekündigt. "Je mehr Menschen Bildung erlangen, je mehr Menschen genug zu essen haben und sich entwickeln können, desto stärker und drängender wird diese Frage auf die Tagesordnung kommen", sagte die Kanzlerin der "Welt" (Mittwoch).
Die Kanzlerin betonte, sie werde in China über ihre Überzeugungen und Werte so sprechen wie in Deutschland. Das Thema sei wichtig, denn für die Diskussion über Menschenrechte zahlten "viele Dissidenten und Oppositionelle oft einen hohen Preis".
Die Kanzlerin solle alle Gelegenheiten nutzen, um die Sorge über die Verschlechterung der Menschenrechtslage in China zu äußern, sagte Sharon Hom von Human Rights in China (HRiC). "Die Menschen sollten sich bewusst machen, dass die chinesische Kommunistische Partei ein bisschen Ähnlichkeiten mit der deutschen Nazi-Regierung aufweist und die Reaktion und Haltung der freien Welt auch sehr ähnlich ist, wenn es mit jener Zeit verglichen wird", sagte auch Mark Shan von der Organisation ChinaAid.