Die Arbeit in einem Behindertenwohnheim war ihr Traumjob. Doch vor zwei Jahren ging bei Beate Schneider (Name geändert) auf einmal nichts mehr. Die Diagnose war schnell gestellt: Die Sozialarbeiterin wurde von ihrem Arzt mit Burn-out in die Klinik geschickt. "Aber die Diagnose war falsch", sagt die fünffache Mutter. "Ich hatte Depressionen und massive Eheprobleme."
Ihr Fall sei keine Ausnahme, sondern eher die Regel, sagt der Vorsitzende der Stiftung Deutsche Depressionshilfe, Ulrich Hegerl. "Ein Großteil der Menschen, die wegen Burn-out eine Auszeit nehmen, leidet de facto schlicht an einer depressiven Erkrankung", urteilt der Leipziger Psychiater. Mit seiner vehementen Kritik am "Modebegriff Burn-out" hat Hegerl eine öffentliche Debatte angestoßen. Seit Monaten ringen Psychiater, Psychotherapeuten und Psychologen in den Medien um eine klare Definition der Burn-out-Diagnose. Denn die gibt es bislang nicht.
Das aber soll sich jetzt ändern. Am 7. März will die Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Nervenheilkunde (DGPPN) in Berlin ein Positionspapier vorstellen, das Klarheit in die Begrifflichkeiten bringen und Ärzten künftig dabei helfen soll, genauere Diagnosen zu stellen.
"In unserer Leistungsgesellschaft klingt die Diagnose Burn-out besser"
"In den Medien ist viel durcheinandergeraten", sagt der Freiburger Psychiater Mathias Berger. Er ist einer der sieben Experten in der Arbeitsgruppe, die das Papier derzeit entwickelt. "Man gewinnt den Eindruck, dass Burn-out als eine Krankheit der Starken und Depressionen als Krankheit der Schwachen gilt." Das aber sei fatal.
Viele Prominente wie Rosenstolz-Sänger Peter Plate oder die Kommunikationswissenschaftlerin Miriam Meckel, die sich zu ihrem "Ausgebranntsein" bekannten, zeigen für Berger aufgrund ihrer eigenen Schilderung in den Medien Anzeichen einer eigentlichen Depression. "Aber in unserer Leistungsgesellschaft klingt die Diagnose Burn-out besser, denn wer ausgebrannt ist, kann sich darauf berufen, vorher bis zum Umfallen gearbeitet zu haben", kritisiert der 64-jährige Ärztliche Direktor für Psychiatrie an der Freiburger Uniklinik.
Allerdings ist Berger vorsichtig, Burn-out wie sein Kollege Hegerl nur als eine "Ausweichdiagnose für Depressionen" zu verstehen. "Es ist ein überlastungsbedingter Risikozustand", sagt er. Im Positionspapier soll daher auch betont werden, dass die burnout-typische Erschöpfung in erster Linie mit der Überlastung am Arbeitsplatz oder innerhalb der Familie zu tun hat.
Arbeitsüberlastung kann Auslöser für Erkrankung sein
Dieser Zustand sei aber noch keine Erkrankung, die intensiver behandelt werden müsse. "Hier kann es schon helfen, wenn der Arbeitsdruck reduziert wird oder die Betroffenen lernen, sich besser zu entspannen und ihre Freizeit erholsamer zu gestalten."
Doch aus dem "Risikozustand Burn-out" kann sich laut Berger schnell das "Vollbild einer Depression" oder anderer psychischer Störungen wie Panikattacken, Angststörungen oder Süchte entwickeln, wenn jemand dazu eine Veranlagung hat. "Arbeitsüberlastung, das heißt Burn-out, ist als auslösender oder aufrechterhaltender Faktor für die Erkrankung zu sehen", erklärt Berger.
Zahlreiche Kollegen wie der Hamburger Psychologe Matthias Burisch sehen das anders. Sie definierten Burn-out nicht als einen "Zustand", sondern einen "krisenhaften Prozess", der in verschiedenen Phasen verläuft und an dessen Ende Depression, Verzweiflung und Suizidabsichten stehen. 130 Symptome ordnet Burisch dem Burn-out-Syndrom zu.
Eine klare Unterscheidung treffen
Berger und seine Arbeitsgruppe dagegen wollen in dem Positionspapier eine klare Unterscheidung treffen zwischen psychischen Erkrankungen, die eine intensive medikamentöse und psychotherapeutische Behandlung erfordern, und einer zeitweiligen Erschöpfung, die aus der Überforderung am Arbeitsplatz resultiert. Denn beim Burn-out, sagt Berger, seien nicht nur Ärzte und Psychologen gefragt, sondern auch Arbeitgeber.
"Fast in ganz Europa sind psychosoziale Belastungen am Arbeitsplatz als Gesundheitsrisiko anerkannt, nur in Deutschland nicht", moniert der Psychiater und verweist auf Statistiken der Krankenkassen. Laut AOK hat die Überlastung im Job im vergangenen Jahr bei knapp 100.000 Beschäftigten zu 1,8 Millionen Fehltagen geführt. Berger fordert Therapeuten, Betriebsärzte und Gewerkschaften auf, bei Unternehmen Druck zu machen: "Arbeitgeber sind auch für die psychische Gesundheit ihrer Mitarbeiter verantwortlich."
Beate Schneider zumindest ist auf Verständnis gestoßen. "Meine Kollegen haben mit großer Anteilnahme reagiert", erzählt sie. Eine Einzel- und Paartherapie half ihr, Job, Ehe und Familie wieder in Einklang zu bringen. "Es war gar kein Problem, wenn ich die Dienstpläne für meine Therapie ändern musste."