Die Maria aus der Sprühdose haucht Kirche neues Leben ein
Statt ihre Kirche aufzugeben, baten Katholiken im badischen Örtchen Goldscheuer den Street-Art Künstler Stefan Strumbel um eine Neugestaltung. Jetzt ist die Kirche eine Attraktion - und die Gemeinde lebt auf.
30.01.2012
Von Christine Süß-Demuth

Von außen wirkt die katholische Dorfkirche im badischen Ort Kehl-Goldscheuer unscheinbar und wenig einladend. Ganz anders innen: Rosafarbene Strahlen gehen vom gekreuzigten Jesus aus und nehmen die ganze Wand des Chorraumes ein. Hinter das Kreuz fällt ein Schatten aus farbigem LED-Licht, je nach kirchlichem Kalender weiß, rot, grün, blau oder violett augeleuchtet. Auf der gegenüberliegenden Orgelempore hat der international bekannte Graffiti-Künstler Stefan Strumbel (32) ein Marienbild mit schwarzer Lackfarbe aufgesprüht.

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Strumbels ungewöhnliche Neugestaltung war in der Gemeinde zunächst heftig umstritten. Doch mittlerweile zeigt sich: Er hat dem Gotteshaus neues Leben eingehaucht. Nicht nur die Atmosphäre sei viel ansprechender geworden, auch die Zahl der Gottesdienstbesucher sei seit der Renovierung im vergangenen Jahr auf das Drei- bis Vierfache gestiegen, sagt Pfarrer Thomas Braunstein.

Eine Heimat in der Kirche finden

Ende 2008: Im beschaulichen Kehler Ortsteil finden sich sonntags höchstens 20 Menschen in die Gottesdienste ein. Die Kirche "Maria, Hilfe der Christen" ist ein Zweckbau aus den 1960er Jahren, Pfarrer Braunstein macht sich wenig Hoffnung, sie erhalten zu können. Eine Umwandlung oder einen Abriss aber wollen die Ortsansässigen nicht. Sie spenden in kurzer Zeit mehr als 25.000 Euro, damit die Kirche renoviert werden kann.

Die Menschen sollen in der Kirche wieder eine Heimat finden, wünscht sich Braunstein. Er fragt den Offenburger Street-Art Künstler Stefan Strumbel um Rat, dessen großes Thema "Heimat" ist. Der entwirft grell lackierte Kuckucksuhren mit Totenköpfen und hat es damit sogar in das "New York Times Magazine" geschafft.

Auch die Botschaft vertrauter biblischer Bilder überträgt Strumbel in die Moderne, indem er Bilder und Stilformen mischt. Er verwendet Elemente aus Romanik, Gotik, Barock, Biedermeier und Comic Art. Dass dies nicht wild und durcheinander, sondern einladend wirken kann, beweist die Kirche "Maria, Hilfe der Christen". Die Menschen fühlen sich wohl in dem Gebäude, das Altes und Neues, Tradition und Moderne verbindet. "So machen Kirche und Glauben total Spaß", sagt eine Gottesdienstbesucherin.

"Erst war ich geschockt, heute bin ich sehr beeindruckt"

Anfangs gab es jedoch heftige Auseinandersetzungen. Unvorstellbar war es für manch Gläubigen, dass die Madonna mit schwarzer Farbe an die Kirchenwand gesprüht werden sollte - und dazu auch noch mit einer Trachtenkappe aus der Region, der "Maschenkapp". Einige wollten sogar ihre Spenden wieder zurückfordern. Doch das Argument des Pfarrers, dass die Mutter Jesu eine Frau aus dem Volk war, überzeugte. Als dann auch die Kostenfrage geklärt war, entschied der Kirchengemeinderat einstimmig: Strumbel soll die Kirche renovieren.

So konnte eine zumindest für Deutschland einmalige Kirche entstehen. Beliebt ist sie nicht nur bei jungen Gottesdienstbesuchern, auch die Älteren sind mittlerweile stolz auf ihr Gotteshaus, über das viele Medien zur Eröffnung berichteten. "Erst war ich leicht geschockt, heute bin ich hier sehr beeindruckt", sagt einer.

"Es ist schön, wenn man Modernes umarmen kann, ohne die Tradition zu vergessen," schreibt eine Besucherin ins Gästebuch. Vereinzelt gibt es aber auch kritische Stimmen: "Die katholische Kirche hätte gut daran getan, sich einen anderen Künstler auszusuchen." Besucher kommen auch aus der benachbarten Schweiz und Frankreich. Mit "belle et simple" (schön und schlicht) bringt es ein Franzose auf den Punkt, der ein ähnliches Interesse am Erhalt von Kirchen bei seinen Landsleuten vermisst.

"Fühlen Sie sich göttlich oder heimatlich geborgen"

Die Menschen in Goldscheuer engagieren sich weiter: Etwa 30 Ehrenamtliche sorgen dafür, dass die Kirche im Winter freitags bis sonntags am Nachmittag geöffnet sein kann. Im Sommer sollen Besichtigungen jeden Tag möglich sein. Kürzlich war sogar ein Kamerateam da, das die Kirche für einen Imagefilm über Deutschland gefilmt hat, wie Pfarrer Braunstein erzählt. "Genießen Sie den Raum, der sich Ihnen hier bietet und fühlen Sie sich göttlich oder heimatlich geborgen", wünscht er den Besuchern.

In der Kirche werden auch ökumenische Gottesdienste und im Frühjahr die Konfirmation der evangelischen Jugendlichen des Ortes gefeiert. Die Graffiti-Kirche dürfte nach dem Geschmack der Konfirmanden sein. Im Gästebuch zumindest sind sich die Jugendlichen Sandro, David und Sven einig: "Voll cool hier".

epd