Bremerin bei Occupy London: Im Zelt mit zwei Wärmflaschen
Seit drei Monaten campen "Occupy"-Aktivisten vor der St.-Paul's-Kathedrale in London - mittendrin eine Bremerin. Nach einem Gerichtsentscheid könnten die Zelte in der City in den nächsten Tagen verschwinden.
29.01.2012
Von Christiane Link

Mit einem durchsichtigen Beutel in der Hand steht Kai Wargalla vor dem Informationszelt des "Occupy London"-Camps vor St. Paul's Cathedral. "Sorry", entschuldigt sich die junge Frau für ihre Verspätung, "ich komme gerade von der Polizeiwache und konnte meine Sachen endlich abholen." Für die junge Frau aus Bremen ist so etwas fast schon Alltag, seit sie im vergangenen Jahr zur "Occupy London"-Bewegung stieß.

Im November wurde sie verhaftet, nachdem sie auf einem Gebäude am Piccadilly Circus mit anderen Aktivisten ein Protestbanner entrollte, mit dem sie gegen das Jahresgehalt in zweistelliger Millionenhöhe eines Firmenchefs protestierten. Sie wurde zwar nach einer Nacht aus dem Gewahrsam entlassen, aber ihre Sachen behielt die Polizei.

In wenigen Stunden tausende Facebook-Fans

Eigentlich wollte die Bremerin nur ein Semester in London studieren, aber unterdessen sind daraus eineinhalb Jahre geworden. Angefangen hat alles mit der Facebook-Seite des Camps, die Kai Wargalla eingerichtet hat und die binnen weniger Stunden Tausende Fans hatte. Eine Wohnung hat sie unterdessen nicht mehr. Die hat sie gegen einen Schlafplatz im Zelt im Herzen Londons eingetauscht, um für ein gerechteres Wirtschaftssystem zu protestieren.

Kai Wargalla vor einem Occupy-Zelt in London. Foto: epd-bild/Mark King

"Aber die letzten zwei Wochen habe ich in einem besetzten Gebäude der UBS-Bank geschlafen, das seit sieben Jahren leer steht. Ich bin so erkältet", sagt sie lächelnd mit roter Nase. Nachts sei das Zelt schon sehr kalt, sie schlafe mit zwei Wärmflaschen.

"Ich habe schon früh gelernt, dass man protestieren muss und nicht alles hinnehmen sollte", sagt die 27-Jährige. Sie ging in Bremen in eine der ersten Integrationsklassen mit behinderten und nicht behinderten Kindern. "Jedes Jahr mussten wir uns aufs Neue dafür einsetzen, dass unsere behinderten Klassenkameraden weiterhin mit uns zur Schule gehen duften und die Finanzierung für die zusätzlichen Lehrkräfte gesichert war." Das habe sie geprägt, sagt sie.

Räumung gerichtlich durchgesetzt

Wie lange Kai Wargalla noch im Herzen der Stadt schlafen und protestieren kann, ist ungewiss. Zwar hat die Kirchengemeinde von St. Paul's Cathedral, vor der die Protestler campen, nach einigem Hin und Her und nicht zuletzt dem Rücktritt ihres Domherren Giles Fraser, davon abgesehen, rechtlich gegen die Demonstranten vorzugehen. Aber die lokalen Behörden haben vor dem höchsten britischen Gericht eine Räumung durchgesetzt. Schon in den nächsten Tagen könnten die etwa 100 Zelte, die derzeit rund um die Kirche stehen, verschwinden. In Berlin wurde das Protestcamp Anfang Januar geräumt.

Ex-Domherr Giles Fraser bezeichnete die Entscheidung des Gerichts als "enttäuschend". Und der Anglikaner sagte weiter: "In einer Welt, in der es so eine große Lücke zwischen Arm und Reich gibt, muss die Stimme des Protestes ständig hörbar sein."

Kai Wargalla hofft, dass die Debatte um ein gerechtes Wirtschaftssystem auch im Falle einer Räumung weitergeht: "Wir haben schon jetzt die politische Debatte beeinflusst und verändert." Aber das Ziel, mehr Gerechtigkeit für alle Menschen zu erreichen, sei noch lange nicht erreicht. "Wir wollen den Leuten klar machen, dass jeder etwas ändern kann." Allerdings würden Revolutionen auch nicht in drei Monaten gemacht, sagt sie. So lange hat die "Occupy London"-Bewegung bereits ihre Zelte vor St. Paul's Cathedral aufgeschlagen.

"Wir sind ein sehr bunter Haufen"

Eigentlich wollte man sich direkt vor der Londoner Börse niederlassen, aber die Sicherheitskräfte waren schneller und haben den Paternoster Platz abgesperrt, bevor die ersten Zelte aufgebaut waren. Deshalb sei das Camp wenige Meter vor einer der bekanntesten Londoner Sehenswürdigkeiten entstanden, sagt Kai Wargalla.

"Wir sind ein sehr bunter Haufen, jeder bringt etwas anderes ins Camp ein", sagt sie und erzählt von dem Obdachlosen Jimmy, der viele Jahre auf den Treppen von St. Paul's lebte und jetzt im Küchenteam des Camps die Aktivisten bekocht. Auch das Verhältnis zur Kirche habe sich unterdessen entspannt. "Der ehemalige Domherr Giles Fraser unterstützt uns sehr und wir versuchen, gute Nachbarn zu sein."

Schon am Eingang des Camps mahnt ein Schild, während der Gottesdienstzeiten sowie fünf Minuten vor und nach dem Glockenläuten kein Megaphon zu benutzen. Einige christlichen Gruppen haben den Aktivisten sogar im Falle einer Räumung ihre Solidarität zugesichert. Sie wollen einen sogenannten Ring of Prayer, einen "Gebetsring", um die Aktivisten formen, sollte die Polizei versuchen, das Camp zu räumen.

epd