Missbrauch: Jesuitenpater warnt vor "Dauerpanik"
Zwei Jahre nach Bekanntwerden der Missbrauchsfälle in der katholischen Kirche hat der Jesuitenpater und langjährige Rektor des Berliner Canisius-Kollegs, Klaus Mertes, vor einem Generalverdacht gegen Lehrer gewarnt. Was bei der Aufarbeitung des Missbrauchs nicht helfe, sei eine "Dauerpanik", sagte Mertes dem Evangelischen Pressedienst.
28.01.2012
Von Corinna Buschow

"Wenn Lehrer unter einen Dauerverdacht gestellt werden, können Schulen nicht mehr arbeiten", fügte Mertes hinzu. Er hatte als Leiter der Berliner Schule vor zwei Jahren als erster Missbrauchsfälle in seiner Kirche öffentlich gemacht. Der Pädagoge ist inzwischen Rektor des Kollegs St. Blasien im Schwarzwald.

Gleichwohl sieht der Jesuitenpater mehr Prävention in Schulen als wichtiges Thema. Missbrauch sei ein Querschnittsthema, bei dem Schülerrechte deutlich gemacht werden müssten, sagte Mertes. Die Reflexion von Intimsphäre gewinne in der Schule an Bedeutung in einer Zeit, in der durch das Internet intime Räume auf neue Weise verletzt würden.

Die katholische Kirche habe trotz Aufklärungsbemühungen indes keinen Anlass zur Selbstzufriedenheit, fügte er hinzu. "Sie müssen sich beispielsweise viel tiefer damit beschäftigen, was das für spezielle katholische Strukturen sind, die das Schweigen begünstigen", erklärte er. Es müsse etwas an der Grundatmosphäre geändert werden.

Extreme Schuldgefühle

Dazu gehöre auch, sich die katholische Sexualmoral genauer anzusehen. Manche vom Missbrauch betroffenen Jugendlichen hätten extreme Schuldgefühle entwickelt und deswegen lange nicht sprechen können. "Wir müssen unter dieser Rücksicht kritisch auf uns selbst schauen", sagte Mertes.

Dass die Missbrauchsfälle durch einen Brief von ihm an die mutmaßlich betroffenen Jahrgänge öffentlich wurden, habe er nie bereut, sagte Mertes. Wichtig sei ihm aber, dass damals zuerst die Opfer gesprochen hätten.

Nach Bekanntwerden des Briefs in den Medien waren im Laufe des Jahres 2010 zahlreiche Missbrauchsfälle in der katholischen Kirche und anderen Institutionen bekannt geworden. Der Skandal führte unter anderem zur Einsetzung eines Runden Tisches der Bundesregierung, der Ende November 2011 zum letzten Mal zusammengekommen war. Der neue Missbrauchsbeauftragte der Bundesregierung, Johannes-Wilhelm Rörig, rief am Freitag dazu auf, den Betroffenen sexuellen Kindesmissbrauchs auch nach dem Ende der Arbeit des Gremiums weiter Gehör zu schenken. 

epd